Innergemeinschaftliche Lieferungen können unter den Voraussetzungen des § 6a UStG steuerfrei sein.

Nach § 6a Abs. 1 Satz 1 UStG ist eine innergemeinschaftliche Lieferung steuerfrei, wenn bei einer Lieferung die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:
- Der Unternehmer oder der Abnehmer hat den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet,
- 2. der Abnehmer ist
- ein Unternehmer, der den Gegenstand der Lieferung für sein Unternehmen erworben hat,
- eine juristische Person, die nicht Unternehmer ist oder die den Gegenstand der Lieferung nicht für ihr Unternehmen erworben hat, oder
- bei der Lieferung eines neuen Fahrzeuges auch jeder andere Erwerber
und
- der Erwerb des Gegenstands der Lieferung unterliegt beim Abnehmer in einem anderen Mitgliedstaat den Vorschriften der Umsatzbesteuerung.
Der Unternehmer hat diese Voraussetzungen gemäß § 6a Abs. 3 UStG i.V.m. §§ 17a ff. UStDV nachzuweisen.
Unionsrechtlich beruht die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferung auf Art. 28c Teil A Buchst. a Unterabs. 1 der 6. USt-Richtlinie 77/388/EWG[1].
Steuerfrei sind unter den Bedingungen, die die Mitgliedstaaten zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und Missbrauch festlegen danach „… die Lieferungen von Gegenständen im Sinne des Artikels 5, die durch den Verkäufer oder durch den Erwerber oder für ihre Rechnung nach Orten außerhalb des in Artikel 3 bezeichneten Gebietes, aber innerhalb der Gemeinschaft versandt oder befördert werden, wenn diese Lieferungen an einen anderen Steuerpflichtigen oder an eine nichtsteuerpflichtige juristische Person bewirkt werden, der/die als solcher/solche in einem anderen Mitgliedstaat als dem Beginn des Versands oder der Beförderung der Gegenstände handelt“.
Der Unternehmer kann grundsätzlich die Steuerfreiheit für die innergemeinschaftliche Lieferung in Anspruch nehmen, wenn er die nach § 6a Abs. 3 UStG i.V.m. §§ 17a ff. UStDV bestehenden Nachweispflichten erfüllt[2]. Kommt der Unternehmer demgegenüber den Nachweispflichten nicht oder nur unvollständig nach, erweisen sich die Nachweisangaben bei einer Überprüfung als unzutreffend oder bestehen zumindest berechtigte Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit der Angaben, die der Unternehmer nicht ausräumt, ist von der Steuerpflicht der Lieferung auszugehen; trotz derartiger Mängel ist die Lieferung aber steuerfrei, wenn objektiv zweifelsfrei feststeht, dass die Voraussetzungen der Steuerfreiheit erfüllt sind[3].
Der Unternehmer hat die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG gemäß § 6a Abs. 3 UStG i.V.m. §§ 17a ff. UStDV beleg- und buchmäßig nachzuweisen.
Der Unternehmer soll dabei gemäß § 17a Abs. 2 UStDV in den Fällen, in denen er oder der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert, den Nachweis führen
- durch das Doppel der Rechnung (§§ 14, 14a des Gesetzes),
- durch einen handelsüblichen Beleg, aus dem sich der Bestimmungsort ergibt, insbesondere Lieferschein,
- durch eine Empfangsbestätigung des Abnehmers oder seines Beauftragten sowie
- in den Fällen der Beförderung des Gegenstands durch den Abnehmer durch eine Versicherung des Abnehmers oder seines Beauftragten, den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet zu befördern.
Die Voraussetzungen der Steuerbefreiung müssen eindeutig und leicht nachprüfbar aus der Buchführung zu ersehen sein (§ 17c Abs. 1 Satz 2 UStDV).
Nach § 17c Abs. 2 UStDV soll der Unternehmer regelmäßig Folgendes aufzeichnen:
- den Namen und die Anschrift des Abnehmers;
- den Namen und die Anschrift des Beauftragten des Abnehmers bei einer Lieferung, die im Einzelhandel oder in einer für den Einzelhandel gebräuchlichen Art und Weise erfolgt;
- den Bestimmungsort im übrigen Gemeinschaftsgebiet.
Bereits vor der Neuregelung der §§ 14, 14a UStG 1999 durch das Steueränderungsgesetz 2003[4] war der Unternehmer, der steuerfreie Lieferungen i.S. des § 6a UStG ausführt, seit 1993 gemäß § 14a Abs. 1 UStG, zur Ausstellung von Rechnungen verpflichtet, in denen er auf die Steuerfreiheit hinweist[5].
Mit einer Rechnung, die keinen Hinweis auf die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferung enthält, kann der Unternehmer ebenso wenig wie mit einer Rechnung über eine der Differenzbesteuerung nach § 25a UStG unterliegende Lieferung ohne den entsprechenden Hinweis[6] den gemäß § 17a Abs. 2 Nr. 1 UStDV erforderlichen Belegnachweis für eine innergemeinschaftliche Lieferung führen[5].
Maßgeblich ist insoweit, dass die Mitgliedstaaten gemäß Art. 22 Abs. 8 der Richtlinie 77/388/EWG die Pflichten vorsehen können, die sie als erforderlich erachten, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und Steuerhinterziehungen zu vermeiden, sofern diese Pflichten im Handelsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten nicht zu Förmlichkeiten beim Grenzübertritt führen, wobei vom Lieferanten gefordert werden kann, dass er alle Maßnahmen ergreift, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden können, um sicherzustellen, dass der von ihm getätigte Umsatz nicht zu seiner Beteiligung an einer Steuerhinterziehung führt[7].
Zu den Maßnahmen, die danach zulässigerweise vom Unternehmer gefordert werden können, gehört auch die Erteilung einer Rechnung, die auf das Vorliegen einer innergemeinschaftlichen Lieferung und deren Steuerfreiheit hinweist. Denn ohne derartige Rechnung ergibt sich für den Abnehmer der Lieferung kein Hinweis auf das Vorliegen einer innergemeinschaftlichen Lieferung und der hiermit verbundenen Verpflichtung zur Vornahme der Erwerbsbesteuerung[5]. Das Rechnungsdoppel im Sinne von § 17a Abs. 2 Nr. 1 UStDV dient dabei dadurch dem Nachweis der Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG, weil sich aus ihm ergeben soll, dass es sich bei der Lieferung um eine innergemeinschaftliche Lieferung handelt, die zusammen mit dem innergemeinschaftlichen Erwerb zu einem innergemeinschaftlichen Umsatz gehört. Beides bezweckt, die „Steuereinnahmen auf den Mitgliedstaat zu verlagern, in dem der Endverbrauch der gelieferten Gegenstände erfolgt“[8].
Der Unternehmer, der die Steuerfreiheit nicht beleg- und buchmäßig nachweisen kann, ist grundsätzlich berechtigt, die Voraussetzungen der Steuerfreiheit objektiv nachzuweisen[9]. Nur in Sonderfällen besteht dieses Recht nicht, wie z.B. bei einer Täuschung über die Identität des Abnehmers[10].
Hat der Unternehmer eine Lieferung als steuerfrei behandelt, obwohl die Voraussetzungen nach § 6a Abs. 1 UStG nicht vorliegen, ist die Lieferung gemäß § 6a Abs. 4 Satz 1 UStG gleichwohl steuerfrei, wenn die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung auf unrichtigen Angaben des Abnehmers beruht und der Unternehmer die Unrichtigkeit dieser Angaben auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht erkennen konnte[11].
Für diese Vorschrift besteht zwar keine ausdrückliche Grundlage in der Richtlinie 77/388/EWG. Sie entspricht jedoch der Rechtsprechung des EuGH. Danach sind die zuständigen Behörden des Liefermitgliedstaats nicht befugt, einen gutgläubigen Lieferanten, der Beweise vorgelegt hat, die dem ersten Anschein nach sein Recht auf Befreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung von Gegenständen belegen, zu verpflichten, später Mehrwertsteuer auf diese Gegenstände zu entrichten, wenn die Beweise sich als falsch herausstellen, jedoch nicht erwiesen ist, dass der Lieferant an der Steuerhinterziehung beteiligt war, soweit er alle ihm zur Verfügung stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um sicherzustellen, dass die von ihm vorgenommene innergemeinschaftliche Lieferung nicht zu seiner Beteiligung an einer solchen Steuerhinterziehung führt[12].
Die Steuerfreiheit nach § 6a Abs. 4 Satz 1 UStG setzt voraus, dass der Unternehmer den Nachweispflichten nach § 6a Abs. 3 UStG i.V.m. §§ 17a ff. UStDV als Voraussetzung für die Steuerfreiheit nach § 6a Abs. 4 Satz 1 UStG ihrer Art nach nachkommt[13]. Maßgeblich ist hierfür die formelle Vollständigkeit, nicht aber auch die inhaltliche Richtigkeit der Beleg- und Buchangaben, da § 6a Abs. 4 Satz 1 UStG das Vertrauen auf unrichtige Abnehmerangaben schützt[14].
Im hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Streitfall ist zu berücksichtigen, dass der Beleg- und Buchnachweis in mehrfacher Hinsicht unvollständig ist. Denn die Klägerin hat keine Rechnung mit dem erforderlichen Hinweis auf die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferung erteilt; weiter liegen auch keine Aufzeichnungen über die Anschrift des beauftragten Sohnes der Abnehmerin vor. Die Klägerin hat daher nicht alle ihr zur Verfügung stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen, um eine objektive Beteiligung an einer Steuerhinterziehung auszuschließen, ohne dass es dabei darauf ankommt, ob ihr ein subjektiver Vorwurf zu machen ist. Dass der Klägerin eine qualifizierte Bestätigungsabfrage zur USt-Id-Nr. der Abnehmerin vorlag, ersetzt das Fehlen des Beleg- und Buchnachweises nicht[14].
Bundesfinanzhof, Urteil vom 15. Februar 2012 – XI R 42/10
Bundesfinanzhof,
- Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern[↩]
- BFH, Urteile vom 12.05.2009 – V R 65/06, BFHE 225, 264, BStBl II 2010, 511, unter II.B.2.b; vom 12.05.2011 – V R 46/10, BFHE 234, 436, BStBl II 2011, 957, unter II.1.c[↩]
- BFH, Urteile in BFHE 225, 264, BStBl II 2010, 511, unter II.B.2.b; und in BFHE 234, 436, BStBl II 2011, 957, unter II.1.c[↩]
- vom 15.12.2003, BGBl I 2003, 2645[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 234, 436, BStBl II 2011, 957, unter II.2.b aa[↩][↩][↩]
- BFH, Urteil vom 30.03.2006 – V R 47/03, BFHE 213, 148, BStBl II 2006, 634[↩]
- EuGH, Urteil vom 27.09.2007 – C-409/04 [Teleos u.a.], Slg. 2007, I-7797, UR 2007, 774, Rz 64 f.; BFH, Urteil in BFHE 234, 436, BStBl II 2011, 957, unter II.2.b aa[↩]
- EuGH, Urteil in Slg. 2007, I-7797, UR 2007, 774, Rz 23 f., 36 f. und 41; vgl. auch EuGH, Urteile vom 27.09.2007 – C-146/05 [Collée], Slg. 2007, I-7861, UR 2007, 813, Rz 22; vom 27.09.2007 – C-184/05 [Twoh International], Slg. 2007, I-7897, UR 2007, 782, Rz 22; vom 22. April 2010 – C-536/08 und C-539/08 [X und Facet Trading], Slg. 2010, I-3581, BFH/NV 2010, 1225, Rz 30; und vom 07.12.2010 – C-285/09 [R], UR 2011, 15, DStR 2010, 2572, Rz 37; BFH, Urteil in BFHE 234, 436, BStBl II 2011, 957, unter II.2.b aa[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 234, 436, BStBl II 2011, 957, unter II.3.[↩]
- EuGH, Urteil in UR 2011, 15, DStR 2010, 2572[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 234, 436, BStBl II 2011, 957, unter II.4.a[↩]
- EuGH, Urteil in Slg. 2007, I-7797, UR 2007, 774, Leitsatz 3; BFH, Urteil in BFHE 234, 436, BStBl II 2011, 957, unter II.4.a[↩]
- BFH, Urteil vom 15.07.2004 – V R 1/04, BFH/NV 2005, 81, Leitsatz 2[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 234, 436, BStBl II 2011, 957, unter II.4.b[↩][↩]