Beteiligung an einer französischen SICAV – und das bewertungsrechtliche Schachtelprivileg

Nach § 19 Abs. 1 Nr. 2 des Bewertungsgesetzes in der hier maßgeblichen Fassung (BewG) werden für inländische Gewerbebetriebe (§ 95 BewG) Einheitswerte festgestellt (§ 180 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung -AO-). In dem Feststellungsbescheid (§ 179 AO) ist auch über die Frage der Gewährung der Vergünstigung für Schachtelgesellschaften zu entscheiden. Der Einheitswertbescheid ist nach § 182 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 180 Abs. 1 Nr. 1 AO für den Vermögensteuerbescheid bindend. Bei der Festsetzung der Vermögensteuer kann daher nicht mehr über Umfang und Wert des anzusetzenden Betriebsvermögens entschieden werden[1].

Beteiligung an einer französischen SICAV – und das bewertungsrechtliche Schachtelprivileg

Wirtschaftsgüter, die nach dem Vermögensteuergesetz oder anderen Gesetzen von der Vermögensteuer befreit sind, gehören gemäß § 101 Nr. 1 BewG nicht zum Betriebsvermögen. Im Streitfall kommt eine Steuerbefreiung nach Art.20 Abs. 1 Buchst. a i.V.m. Buchst. b Doppelbuchst. aa DBA-Frankreich 1959/1989 in Betracht.

Gemäß Art.20 Abs. 1 Buchst. a DBA-Frankreich 1959/1989 sind von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer die in Frankreich gelegenen Vermögensteile ausgenommen, die nach diesem Abkommen in Frankreich besteuert werden können. Diese Regelung ist bei Dividenden gemäß Art.20 Abs. 1 Buchst. b Doppelbuchst. aa Satz 1 DBA-Frankreich 1959/1989 nur auf die Nettoeinkünfte anzuwenden, die den Dividenden entsprechen, die von einer in Frankreich ansässigen Kapitalgesellschaft an eine in Deutschland ansässige Kapitalgesellschaft gezahlt werden, der mindestens 10 % des Gesellschaftskapitals der erstgenannten Gesellschaft gehören. Diese Bestimmung gilt nach Art.20 Abs. 1 Buchst. b Doppelbuchst. aa Satz 2 DBA-Frankreich 1959/1989 auch für Beteiligungen, deren Dividenden unter den Art.20 Abs. 1 Buchst. b Doppelbuchst. aa Satz 1 DBA-Frankreich 1959/1989 fallen würden.

Bei dem bewertungsrechtlichen Schachtelprivileg des Art.20 Abs. 1 Buchst. b Doppelbuchst. aa Satz 2 DBA-Frankreich 1959/1989 handelt es sich -nicht anders als bei dem die Schachteldividenden betreffenden Satz 1 dieser Regelung- unbeschadet des Verweises auf Buchst. a dieser Vorschrift nicht um eine Rechtsgrund, sondern um eine Rechtsfolgenverweisung, die ihre tatbestandlichen Voraussetzungen eigenständig anordnet[2].

Ob einesociéte d´investissement à capital variable (SICAV) eine in Frankreich ansässige Person ist, ist nach Maßgabe des Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a DBA-Frankreich 1959/1989 zu beurteilen. Danach ist „eine in einem Vertragsstaat ansässige Person“ eine solche, die nach dem Rechte dieses Staates dort aufgrund ihres Wohnsitzes, ihres Aufenthaltes, des Ortes ihrer Geschäftsleitung oder eines anderen ähnlichen Merkmals steuerpflichtig ist. Das DBA-Frankreich 1959/1989 enthält allerdings keine Bestimmung darüber, wie der Begriff der Kapitalgesellschaft zu verstehen ist. Insoweit ist daher gemäß Art. 2 Abs. 2 DBA-Frankreich 1959/1989 auf das jeweilige innerstaatliche Recht zurückzugreifen[3]. Für die Qualifizierung einer ausländischen Person -hier einer SICAV- als Kapitalgesellschaft i.S. des Art.20 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 und Buchst. b Doppelbuchst. aa DBA-Frankreich 1959/1989 ist im Wege eines sog. Typenvergleichs[4] entscheidend darauf abzustellen, ob sie nach deutschem Recht als Kapitalgesellschaft anzusehen ist. Die weitere Frage, ob diese Gesellschaft als eigenständiges Steuersubjekt verstanden wird und damit grundsätzlich eine Steuerpflicht in Frankreich begründet, ist nach französischer Steuerrechtslage zu beantworten[5].

Die für die Gewährung des bewertungsrechtlichen Schachtelprivilegs erforderliche Ansässigkeit einer SICAV in Frankreich i.S. des Art.20 Abs. 1 Buchst. b Doppelbuchst. aa Satz 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a DBA-Frankreich 1959/1989 kann nicht allein deshalb bejaht werden, weil -wie vom Finanzgericht angenommen- eine SICAV eine in Frankreich zwar steuerbefreite, jedoch „abstrakt“ (unbeschränkt) steuerpflichtige Kapitalgesellschaft ist. Vielmehr setzt die Gewährung des bewertungsrechtlichen Schachtelprivilegs voraus, dass es sich bei einer SICAV nach deutschem Recht um eine Kapitalgesellschaft handelt, die in Frankreich nach Maßgabe von Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a DBA-Frankreich 1959/1989 aufgrund ansässigkeitsbegründender Merkmale prinzipiell steuerpflichtig ist. Auch das bewertungsrechtliche Schachtelprivileg kann demnach nur unter den Voraussetzungen gewährt werden, unter denen nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs[6] die Voraussetzungen des abkommensrechtlichen Schachtelprivilegs nach Art.20 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 und Buchst. b Doppelbuchst. aa Satz 1 DBA-Frankreich 1959/1989 für Ausschüttungen einer SICAV an eine deutsche Kapitalgesellschaft erfüllt sind.

Die Feststellung der einschlägigen ausländischen Rechtsnormen sowie die Ermittlung der für den Rechtsformtypenvergleich notwendigen gesellschaftlichen Merkmale gehört zu den zu klärenden tatsächlichen Rechtsgrundlagen[7]. Sollten diese Feststellungen ergeben, dass die SICAV in Frankreich als steuerlich transparent behandelt wird, wäre sie keine i.S. des Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a DBA-Frankreich 1959/1989 in Frankreich ansässige Kapitalgesellschaft mit der Folge, dass das von der Klägerin begehrte bewertungsrechtliche Schachtelprivileg zu versagen wäre.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 20. Januar 2015 – II R 42/12

  1. BFH, Entscheidungen vom 30.11.1993 – II B 183/92, BFHE 172, 530, BStBl II 1994, 150; vom 10.03.2005 – II R 51/03, BFH/NV 2005, 1500[]
  2. BFH, Urteil vom 06.06.2012 – I R 52/11, BFHE 237, 356, BStBl II 2014, 240[]
  3. BFH, Urteil in BFHE 237, 356, BStBl II 2014, 240, Rz 11[]
  4. dazu z.B. BFH, Entscheidungen vom 04.04.2007 – I R 110/05, BFHE 217, 535, BStBl II 2007, 521; vom 15.03.1995 – II R 24/91, BFHE 177, 497, BStBl II 1995, 653[]
  5. BFH, Urteil in BFHE 237, 356, BStBl II 2014, 240, Rz 12[]
  6. BFH, Urteil in BFHE 237, 356, BStBl II 2014, 240[]
  7. BFH, Urteil in BFHE 237, 356, BStBl II 2014, 240, Rz 14; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 118 FGO Rz 26, m.w.N.[]