Der Antrag auf Steuererlass nach § 34c Abs. 5 EStG i.V.m. den Regelungen des Auslandstätigkeitserlasses[1] wird zeitlich durch die Festsetzungsverjährung und nicht bereits durch die Bestandskraft der Steuerfestsetzung begrenzt.

Nach § 34c Abs. 5 EStG können die obersten Finanzbehörden der Länder oder die von ihnen beauftragten Finanzbehörden mit Zustimmung des BMF die auf ausländische Einkünfte entfallende deutsche Einkommensteuer ganz oder zum Teil erlassen oder in einem Pauschbetrag festsetzen, wenn es aus volkswirtschaftlichen Gründen zweckmäßig ist oder die Anwendung des Abs. 1 der Vorschrift besonders schwierig ist. Die Norm räumt insoweit den Finanzbehörden in verfassungskonformer Weise einen Ermessensspielraum ein und stellt einen Auffangtatbestand für diejenigen Fälle dar, in denen die Regelungen in den vorhergehenden Normabsätzen im konkreten Einzelfall nicht zu sachgerechten, außenwirtschaftlich erwünschten Ergebnissen führen[2]. Die nach § 34c Abs. 5 EStG erforderliche „volkswirtschaftliche Zweckmäßigkeit“ liegt danach nur dann vor, wenn die Steuerbegünstigung der deutschen Außenwirtschaft dient. Vor diesem Hintergrund dient der Auslandsttätigkeitserlass, soweit er gestützt auf § 34c Abs. 5 EStG die Möglichkeit eines Erlasses von Einkommensteuer durch die Finanzverwaltung schafft, in erster Linie der Förderung der deutschen Exportwirtschaft[3].
Soweit die auf ausländische Einkünfte entfallende deutsche Einkommensteuer nach dem Auslandsttätigkeitserlass ganz oder zum Teil erlassen werden soll, ist darüber verfahrensrechtlich nicht im Steuerfestsetzungsverfahren oder im Rahmen der Feststellung von Besteuerungsgrundlagen, sondern durch einen eigenständigen Bescheid zu entscheiden[4]. Auch wenn dieser Verwaltungsakt regelmäßig mit der Steuerfestsetzung verbunden wird, ändert das nichts daran, dass es sich hierbei um eine gesonderte Entscheidung handelt. Mit Blick auf die Steuerfestsetzung handelt es sich um einen Grundlagenbescheid, der eine Bindungswirkung auslöst, die ggf. nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO umzusetzen ist[5].
Im Gesetz bzw. im Auslandsttätigkeitserlass ist insoweit allerdings nicht geregelt, innerhalb welcher zeitlicher Grenzen ein Antrag auf Steuererlass nach § 34c Abs. 5 EStG i.V.m. den Regelungen des Auslandsttätigkeitserlass gestellt werden kann.
Teilweise wird dazu die Auffassung vertreten, schon aus der Natur der Entscheidung nach § 34c Abs. 5 EStG als Grundlagenbescheid folge, dass der Erlass der Entscheidung zeitlich durch die Festsetzungsverjährung und nicht bereits durch die Bestandskraft der Steuerfestsetzung begrenzt werde[6].
Demgegenüber wird aber geltend gemacht, Anträge auf Durchführung eines Erlassverfahrens nach § 34c Abs. 5 EStG könnten nicht mehr gestellt werden, wenn die Steuerfestsetzung bestandskräftig sei und nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehe[7].
Der Bundesfinanzhof schließt sich im Ergebnis der erstgenannten Auffassung an.
Er geht hierbei davon aus, dass es sich bei § 34c Abs. 5 EStG um eine gegenüber den allgemeinen Erlassregelungen in §§ 163 und 227 AO speziellere Regelung handelt[8], die allerdings ggf. unter Rückgriff auf die genannten allgemeinen Regelungen auszufüllen ist.
Äußert sich eine Verwaltungsvorschrift (hier: der Auslandsttätigkeitserlass) zu einem nach allgemeinen Grundsätzen als Ermessenskriterium dienenden Punkt (hier: zum Zeitfaktor) nicht, so kann dies bedeuten, dass sie die Berücksichtigung des zeitlichen Elements generell ausschließen will. Sie kann aber auch so zu begreifen sein, dass sie sich auf die Nichtregelung beschränkt und die Lücke mit Hilfe der allgemeinen Grundsätze aufzufüllen ist[9]. Die Gerichte dürfen dabei Verwaltungsanweisungen nur darauf überprüfen, ob die Auslegung durch die Behörde möglich ist[10].
Das Finanzamt versteht den Auslandsttätigkeitserlass so, dass ein Antrag nur bis zur Bestandskraft der Steuerfestsetzung gestellt werden kann. Dass das nicht zutreffend ist, ergibt sich aber bereits daraus, dass die Finanzverwaltung das Zeitmoment im ebenfalls auf § 34c Abs. 5 EStG gestützten Pauschalierungserlass[11] positiv dahingehend geregelt hat, dass der dortige Antrag gestellt werden kann, „solange die Steuerfestsetzung noch nicht unanfechtbar ist oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung steht“. Daraus, dass der Auslandsttätigkeitserlass eine entsprechende Regelung nicht enthält, lässt sich nur schließen, dass der Erlassgeber eine zeitliche Beschränkung der Antragstellung dort gerade nicht hat vornehmen wollen.
Selbst wenn man aber den Auslandsttätigkeitserlass als lückenhaft auffassen und ihn nach allgemeinen Grundsätzen ergänzen wollte, ergäbe sich nichts anderes: Nach hergebrachter Rechtsprechung zu § 163 AO ist ein Erlass nämlich auch dann möglich, wenn die Steuerfestsetzung bereits bestandskräftig ist[12]. Dies gilt jedenfalls, soweit die Steuerfestsetzung offensichtlich und eindeutig unrichtig ist und es dem Steuerpflichtigen nicht möglich oder nicht zumutbar war, sich gegen die Fehlerhaftigkeit rechtzeitig zu wehren[13]. Im Streitfall handelt es sich indessen nicht um eine fehlerhafte, sondern um eine zutreffende Steuerfestsetzung, weil die Begünstigungen nach dem Auslandsttätigkeitserlass ausschließlich über das Billigkeitsverfahren, nicht aber isoliert im Rahmen des Festsetzungsverfahrens geltend gemacht werden können.
war kann im Rahmen der Ermessensentscheidung über die Billigkeitsmaßnahme der Zeitablauf auch als solcher berücksichtigt werden und er bildet insoweit einen selbständigen Grund für den Rechtsverlust, der neben die Verwirkung tritt und von dieser zu trennen ist[14]. Indessen tritt ein solcher Rechtsverlust aber nicht bereits vor dem Ablauf der Festsetzungsverjährung ein. Hierfür spricht, dass das Festsetzungsverfahren einerseits und das Billigkeitsverfahren andererseits zwei getrennte Verfahren sind und ein nach Eintritt der Bestandskraft ergangener Billigkeitserweis nach § 34c Abs. 5 EStG im Rahmen der Festsetzung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO nachträglich zu berücksichtigen ist.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 17. Juni 2020 – I R 7/18
- BMF, Schreiben vom 31.10.1983, BStBl I 1983, 470[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.04.1978 – 2 BvL 2/75, BVerfGE 48, 210, BStBl II 1978, 548; BFH, Urteile vom 18.08.1987 – VIII R 297/82, BFHE 151, 25, BStBl II 1988, 139; vom 14.06.1991 – VI R 185/87, BFHE 165, 208, BStBl II 1991, 926[↩]
- BFH, Beschluss vom 08.12.2010 – I B 98/10, BFH/NV 2011, 596[↩]
- BFH, Urteil vom 25.04.2001 – I R 80/97, BFH/NV 2001, 1541[↩]
- vgl. BFH, Beschluss vom 12.07.2012 – I R 32/11, BFHE 237, 307, BStBl II 2015, 175 zum Antrag nach R 14 Abs. 2 Satz 3 der Einkommensteuer-Richtlinien 2005[↩]
- so etwa Weinschütz in Lademann, EStG, § 34c EStG Rz 137; Prokisch in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 34c Rz E 13; Kuhn in Herrmann/Heuer/Raupach, § 34c EStG Rz 171; Blümich/Wagner, § 34c EStG Rz 115[↩]
- Gosch, DStZ 1988, 136, 140; derselbe in Kirchhof, EStG, 19. Aufl., § 34c Rz 35[↩]
- ebenso Gosch, DStZ 1988, 136, 137 ff.; Kuhn, a.a.O.; a.A. Prokisch in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 34c Rz E 3[↩]
- BFH, Urteil vom 21.07.2016 – X R 11/14, BFHE 254, 497, BStBl II 2017, 22[↩]
- vgl. BFH, Urteile vom 13.01.2011 – V R 43/09, BFHE 233, 58, BStBl II 2011, 610; in BFHE 254, 497, BStBl II 2017, 22[↩]
- BMF, Schreiben vom 10.04.1984, BStBl I 1984, 252, Tz. 2[↩]
- vgl. BFH, Urteile vom 17.06.2004 – IV R 9/02, BFH/NV 2004, 1505; in BFHE 254, 497, BStBl II 2017, 22[↩]
- BFH, Urteil in BFH/NV 2004, 1505, m.w.N.[↩]
- vgl. BFH, Urteil in BFHE 254, 497, BStBl II 2017, 22, m.w.N.[↩]