Eine verdünnte Säure ist keine Säure…

Aus Anmerkung 1 Buchst. d zu Kapitel 29 KN, wonach zur Position 2931 KN „andere organisch-anorganische Verbindungen“ auch wässrige Lösungen gehören, ergibt sich nicht die Zollbefreiung einer wässrigen Lösung der unter CAS RN 2809-21-4 genannten Etidronsäure. Eine wässrige Lösung von Etidronsäure fällt nicht unter die in Anhang 3 des Teils – I Titel – II C Nr. 1 Ziff. 1 KN gelistete CAS RN 2809-21-4 (Etidronsäure). In dieser Liste aufgeführte Substanzen sind nur in ihrer reinen Form zollbefreit. Der Wassergehalt der Lösung ist nicht Teil der reinen Etidronsäure und keine -der Zollbefreiung unschädliche- bei der chemischen Herstellung des Endproduktes verbliebene Verunreinigung.

Eine verdünnte Säure ist keine Säure…

Eine Zollfreiheit bereits ergibt sich nicht aus der zolltariflichen Einreihung der Ware HEDP-60 in die Unterposition 2931 90 90 KN.

Zwar trifft es zu, dass nach Anmerkung 1 Buchst. d zu Kapitel 29 KN zur Position 2931 KN „Andere organisch-anorganische Verbindungen:“ auch wässrige Lösungen gehören. Mit der zolltariflichen Einreihung in die Unterposition 2931 90 90 KN ist aber keine Aussage darüber getroffen, ob für wässrige Lösungen einer Substanz Zollbefreiung gewährt wird. Diese Entscheidung ist vielmehr eigenständig in Teil I Titel II C Nr. 1 Ziff. 1 KN geregelt. Danach sind nur die pharmazeutischen Substanzen, die sowohl durch die CAS RN identifiziert als auch durch die INN, aufgelistet im Anhang 3, erfasst werden, von den Zöllen befreit.

Etidronsäure der Warennummer 2931 90 90 KN ist in Anhang 3 der VO Nr. 1006/2011 unter der CAS RN 2809-21-4 als pharmazeutischer Stoff, für den Zollfreiheit gilt, aufgeführt. Für diesen Stoff ist als Maßnahme geregelt, dass der Zusatzcode 2500 zu verwenden ist, während für „andere“, unter die Unterposition fallende Waren der Zusatzcode 2501 zu verwenden ist.

Die zu tarifierende Ware HEDP-60 nicht identisch mit der unter der CAS RN 2809-21-4 gelisteten Etidronsäure. Der entscheidende Unterschied besteht darin, dass HEDP-60 neben der Etidronsäure zu 40 % aus Wasser besteht.Der Bundesfinanzhof teilt nicht die Auffassung, der Wasseranteil sei für die Zollbefreiung als Etidronsäure nicht schädlich, weil Wasser eine für den Herstellungsprozess notwendige und auch in dem fertig hergestellten Erzeugnis zwangsläufig vorhandene Substanz sei.

Denn der hier zu beurteilende Wassergehalt der Ware HEDP-60 ist gerade nicht das für die chemische Reaktion erforderliche und verwendete Wasser, sondern der verbliebene Überschuss. Erst durch eine Reduktion dieses überschüssigen Wassers wird die feste kristalline Struktur der Etidronsäure erreicht.

Mit den Ausführungen im EuGH, Urteil in Slg. 2011, I-677 lässt sich die gegenteilige Auffassung nicht begründen. Der EuGH hatte die Frage zu beantworten, ob einer in der Liste der Substanzen in Anhang 3 des Teils – III KN aufgeführten pharmazeutischen Substanz, der andere, insbesondere pharmazeutische, Substanzen hinzugefügt worden sind, noch die Zollbefreiung zugutekommen kann, die anwendbar gewesen wäre, wenn diese Substanz in reiner Form vorgelegen hätte. Er legt die zollbefreiende Regelung der KN dahin aus, dass Substanzen nicht zollbefreit sind, wenn sie -abgesehen von eventuellen in diesen Substanzen vorhandenen Verunreinigungen aus Rückständen- nicht in reiner Form vorliegen. Substanzen wie die von ihm zu beurteilenden, die der Grundsubstanz in unterschiedlichen Mengen hinzugefügt worden sind und die als solche nicht Teil dieser Substanz oder des Erzeugnisses sind, aus dem die Substanz gewonnen wurde, erkennt der EuGH nicht als solche -der Zollbefreiung unschädliche- Verunreinigungen aus Rückständen an.

Der Bundesfinanzhof kann diesen Darlegungen nicht entnehmen, dass befreiungsschädlich nur Substanzen sein können, die der Grundsubstanz hinzugefügt wurden und die in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit der Herstellung des Erzeugnisses stehen. Eine derart erweiternde Interpretation des EuGH, Urteils widerspricht der vorangestellten Grundaussage, wonach die Bestimmung, die die Anwendung einer Zollbefreiung vorsieht, eine Ausnahme von dem Grundsatz darstellt, dass in die Europäische Union eingeführte Erzeugnisse generell zollpflichtig sind, und sie daher als abweichende Bestimmung eng auszulegen ist.

Abgesehen davon ist der 40%ige Wasseranteil der Ware HEDP-60 selbst unter Zugrundelegung der Auffassung des Finanzgericht nicht als unschädliche „Verunreinigung aus Rückständen“ anzusehen. Zwar ist Wasser nach den Feststellungen des Finanzgericht Teil der Grundsubstanz der Etidronsäure. Die reine Etidronsäure in ihrer festen, kristallinen Struktur entsteht aber erst durch Reduktion des Wassers. Auch wenn diese Substanz als chemisches Endprodukt ein Monohydrat, also wasserhaltig ist, ist es nicht identisch mit der wässrigen Lösung der Ware HEDP-60. Der Wasseranteil der Ware HEDP-60 ist nach der chemischen Reaktion mit Wasser, die zur Herstellung der Etidronsäure erforderlich war, als Überschuss an Wasser verblieben. Er ist gerade nicht Teil der „reinen“ Etidronsäure der CAS RN 2809-21-4, sondern Teil der wässrigen Lösung der Etidronsäure, die in der Liste des Anhang 3 zu Teil III KN nicht aufgeführt ist.

Der Einwand, Etidronsäure sei in der vorliegenden Lösung am besten stabil zu halten und damit in dieser Form handelbar, ändert daran ebenfalls nichts. Der EuGH hat die Zollbefreiung für eine pharmazeutische Grundsubstanz (dort Chitosan) verneint, der andere Substanzen zum Schutz (vor Oxydation) beigefügt waren, um ihre Haltbarkeit zu verlängern, jedenfalls wenn es (wie dort vom EuGH festgestellt und vorliegend unstreitig) grundsätzlich möglich ist, die Substanz durch Vakuumverpackung zu schützen. Anders als das Finanzgericht meint, kann es keinen Unterschied machen, dass im Streitfall Wasser Teil der Grundsubstanz Etidronsäure ist und nicht -wie im Fall des EuGH als „Fremdsubstanz“- zu einem Zweck zugeführt wurde, der für die Herstellung unerheblich ist. Denn wie oben bereits erörtert, ist der Wassergehalt von HEDP-60 gerade nicht das Wasser, welches für die Herstellung der Etidronsäure erforderlich war, sondern die zu ihrem Schutz belassene „Umhüllung“.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 23. April 2014 – VII R 27/13