Maßgebender Zeitpunkt für die Feststellung einer Gepflogenheit im Sinne von Art. 23 Abs. 1 S. 3 b) EuGVVO ist nicht die Einreichung der Klage, sondern der Vertragsschluss des streitigen Verfahrens1.

Die Parteien müssen sich zumindest zu Beginn ihrer Geschäftsbeziehung über die Geltung der Gerichtsstandsklausel geeinigt und das Vertragsverhältnis gelebt haben.
Angesichts der möglichen Folgen einer Gerichtsstandsvereinbarung für die Parteien im Prozess sind die in Art. 23 Abs. 1 S. 3 EuGVVO aufgestellten Voraussetzungen für die Wirksamkeit von Gerichtsstandsklauseln eng auszulegen. Der Abschluss einer Gerichtsstandsvereinbarung setzt gem. Art. 23 Abs. 1 S. 3 lit. a EuGVVO voraus, dass die die Zuständigkeit begründende Klausel tatsächlich Gegenstand einer Willenseinigung zwischen den Parteien gewesen sein muss, die klar und deutlich zum Ausdruck gekommen ist2. Die Formerfordernisse des — autonom, d. h. anhand der Zielsetzung und Systematik des EuGVVO, auszulegenden — Art. 23 Abs. 1 S. 3 lit. a EuGVVO sollen gewährleisten, dass die Einigung zwischen den Parteien tatsächlich feststeht3. Denn nur dann kann auf die Feststellung eines erneuten Konsenses der Parteien verzichtet werden4. Gepflogenheiten können also nur die Form, nicht jedoch die Einigung ersetzen5. Gemessen an diesen strengen Formerfordernissen kann die Bezugnahme auf Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB), die ihrerseits eine Gerichtsstandsvereinbarung enthalten, nur ausreichen, wenn die Zustimmung der anderen Partei zu der von den allgemeinen Grundsätzen abweichenden Zuständigkeitsvereinbarung tatsächlich feststeht6. Demzufolge müssen im internationalen Rechtsverkehr die AGB mit der Gerichtsstandsklausel dem Vertragspartner grundsätzlich bei Vertragsschluss tatsächlich vorgelegen haben7. Die bloße Möglichkeit, sich den Text zu verschaffen, reicht im internationalen Recht auch im Verkehr zwischen Kaufleuten in der Regel nicht aus8. Seine Rechtfertigung findet dies darin, dass in Anbetracht der unterschiedlichen Rechtsordnungen und Gepflogenheiten erhebliche Unterschiede zwischen den jeweiligen nationalen Klauselwerken bestehen, so dass der Gegner des Klauselverwenders vielfach nicht absehen kann, mit welchem Klauselinhalt er sich im Einzelnen einverstanden erklärt; auch ist eine Inhaltskontrolle der AGB nach nationalem Recht nicht überall gewährleistet9. Diese Rechtsgrundsätze gelten auch im Rahmen des Art. 23 Abs. 1 S. 3 lit. b EuGVVO10.
Oberlandesgericht Stuttgart, Urteil vom 31. Juli 2012 — 5 U 150⁄11
- OLG Karlsruhe, IPRspr 2002 Nr. 131b; Musielak/Stadler, ZPO, 9. Aufl. 2012, Art. 23 EuGVVO Rn. 10; Hau, IPRax 2005, 301, 304; Staudinger/Hausmann, BGB, Neubearb. 2011, IntVertrVerfR Rn. 277; Zöller/Geimer, a.a.O., Art. 23 EuGVVO Rn. 30; offen gelassen in BGH, NJW-RR 2005, 150, 152 [↩]
- OLG Celle, NJW-RR 2010, 136, 137 [↩]
- OLG Celle, a.a.O.; EuGH, NJW 1977, 494 zu der Vorgängernorm Art. 17 Abs. 1 EuGVÜ [↩]
- OLG Düsseldorf, TranspR 1981, 26; OLG Zweibrücken, IPRspr 1983 Nr. 142; Staudinger/Hausmann, a.a.O., IntVertrVerfR RN 278 [↩]
- BGH, IPRax 2005, 338 [= NJW-RR 2005, 150, 152] m. Anm. Hau 301; Staudinger/Hausmann, a.a.O., IntVertrVerfR RN 278 [↩]
- EuGH, a.a.O.; OLG Oldenburg, Urteil vom 20.12.2008 — 8 U 138⁄07, BeckRS 2008, 06401; OLG Celle, a.a.O. [↩]
- OLG Celle, a.a.O., 137 f.; OLG Oldenburg, a.a.O.; OLG Jena, Urteil vom 10.11.2010 — 7 U 303⁄10, BeckRS 2011, 03846; Staudinger/Hausmann, a.a.O., IntVertrVerfR RN 270 [↩]
- OLG Celle, a.a.O.; OLG Jena, a.a.O.; Baumbach/Hopt, HGB, 35. Aufl.2012, Einl. vor § 1 RN 87; Staudinger/Hausmann, a.a.O., IntVertrVerfR RN 270 m.w.N. [↩]
- BGH, NJW ‑RR 2002, 370, 371; OLG Jena, a.a.O. [↩]
- OLG Celle, a.a.O., 138 [↩]