Montagearbeiten ausländischer Frmen – und das Sozialkassenverfahren der Bauwirtschaft

Im Streitzeitraum war nach § 1 Abs. 3 Satz 2, Abs. 1 Satz 1 Arbeitnehmerentsendegesetz vom 26.02.1996 idF vom 21.12 2007 (AEntG aF) bzw. nach § 8 Abs. 1 Satz 1, § 6 Abs. 2 AEntG in der ab dem 24.04.2009 geltenden Fassung ein Arbeitgeber mit Sitz im Ausland verpflichtet, einer gemeinsamen Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes, der nach für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen die Einziehung von Urlaubskassenbeiträgen übertragen ist, diese Beiträge zu leisten, wenn der Betrieb überwiegend Bauleistungen iSv. § 175 Abs. 2 SGB III aF (jetzt § 101 Abs. 2 SGB III) erbrachte.

Montagearbeiten ausländischer Frmen – und das Sozialkassenverfahren der Bauwirtschaft

Bauleistungen in diese Sinne sind alle Leistungen, die der Herstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen[1]. Im hier streitigen Zeitraum waren der Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) vom 20.12 1999 idF vom 05.12 2007 aufgrund der AVE-Bekanntmachung vom 15.05.2008 und[2] der VTV vom 18.12 2009 aufgrund der AVE-Bekanntmachung vom 25.06.2010 allgemeinverbindlich. Die gesetzliche Erstreckung von tarifvertraglichen Normen, die aufgrund einer AVE für inländische Arbeitgeber und Arbeitnehmer gelten, auf Arbeitgeber mit Sitz im Ausland und ihre im räumlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags beschäftigten Arbeitnehmer erfasst nur solche Arbeitgeber mit Sitz im Ausland, deren Betrieb von einem für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag des Baugewerbes erfasst wird[3].

Nach § 1 Abs. 2 Abschn. VI Unterabs. 1 Satz 3 VTV gilt als selbständige Betriebsabteilung auch eine Gesamtheit von Arbeitnehmern, die außerhalb der stationären Betriebsstätte eines nicht von den Abschnitten I bis IV erfassten Betriebs baugewerbliche Arbeiten ausführt. Die Einbeziehung der „Gesamtheit von Arbeitnehmern“ in den betrieblichen Geltungsbereich des VTV durch die mit Wirkung vom 01.09.2002 für allgemeinverbindlich erklärte Neufassung des VTV vom 04.07.2002[4] erfolgte vor dem Hintergrund, dass § 1 Abs. 4 AEntG in der bis zum 31.12 2003 geltenden Fassung gegen europäisches Recht verstieß[5].

Eine Gesamtheit iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. VI Unterabs. 1 Satz 3 VTV ist eine Gruppe von Arbeitnehmern, die koordiniert, dh. geführt und geleitet, außerhalb der stationären Betriebsstätte arbeitszeitlich überwiegend baugewerbliche Arbeiten ausführt. Nicht erforderlich ist eine ständige Zusammenarbeit aller der Gesamtheit angehörenden Arbeitnehmer. Die Gesamtheit kann sowohl vor Ort als auch aus einer Betriebsstätte heraus koordiniert werden. Sie muss baugewerbliche Arbeiten außerhalb der stationären Betriebsstätte ausführen. Werden auch Arbeiten innerhalb der stationären Betriebsstätte ausgeführt, dürfen diese sowohl quantitativ als auch qualitativ allenfalls von untergeordneter Bedeutung sein, selbst wenn es sich um Arbeiten im Zusammenhang mit den baugewerblichen Arbeiten außerhalb der stationären Betriebsstätte handelt[6].

Der Fiktion einer selbständigen Betriebsabteilung nach § 1 Abs. 2 Abschn. VI Unterabs. 1 Satz 3 VTV steht nicht entgegen, dass die Gesamtheit von Arbeitnehmern baugewerbliche Arbeiten lediglich als Hilfs- oder Nebentätigkeit oder etwa als zusätzliches Serviceangebot zu einer nicht in den betrieblichen Geltungsbereich des VTV fallenden Tätigkeit des Arbeitgebers ausführt[7].

Ein koordinierter Einsatz einer Gesamtheit von Arbeitnehmern iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. VI Unterabs. 1 Satz 3 VTV setzt auch nicht notwendig voraus, dass die baulichen Tätigkeiten „auf sich beschränkt organisiert“ und hinsichtlich des Personaleinsatzes getrennt von der baufremden Haupttätigkeit gesteuert und abgestimmt werden müssen.

Um von einem koordinierten Einsatz der Gesamtheit von Arbeitnehmern auszugehen, ist es notwendig, dass die ihr angehörenden Arbeitnehmer koordiniert, dh. geführt und geleitet in einer geplanten, arbeitsteiligen und aufeinander abgestimmten Kooperation zusammenwirken[8]. Dazu bedarf es auf operativer Ebene zielgerichteter Anweisungen an die der Gesamtheit angehörenden Beschäftigten im Hinblick auf die von ihnen zu verrichtenden Arbeiten. Die zur Gesamtheit gehörenden Arbeitnehmer müssen dabei keineswegs ständig alle zusammenarbeiten, sondern sie können auch in kleinere Einheiten aufgeteilt und an unterschiedlichen Orten eingesetzt werden. Stets erforderlich ist jedoch, dass alle Arbeitnehmer im Hinblick auf die von ihnen als Gesamtheit zu erfüllenden Aufgaben und entsprechend den an diese gerichteten Vorgaben koordiniert eingesetzt und geleitet werden. Davon ist auch dann auszugehen, wenn die zu erledigenden Arbeiten auf kleinere Einheiten verteilt und von diesen sodann auf verschiedenen Baustellen ausgeführt werden[9]. Da § 1 Abs. 2 Abschn. VI Unterabs. 1 Satz 3 VTV nicht vorgibt, auf welche Weise die Koordination der Gesamtheit von Arbeitnehmern stattzufinden hat, kann die Gesamtheit sowohl durch einen ihr angehörenden Arbeitnehmer, zB einen Polier, als auch aus einer stationären Betriebsstätte heraus durch dort ansässige Mitarbeiter geführt und geleitet werden[10].

Die stationäre Betriebsstätte, aus der heraus die Koordination erfolgt, muss sich nicht in Deutschland befinden. § 1 Abs. 2 Abschn. VI Unterabs. 1 Satz 3 VTV gibt dies nicht vor. Das Abstellen auf den Ort der Koordination widerspräche auch dem Zweck der Tarifnorm, nach dem diejenigen Arbeitnehmer dem betrieblichen Geltungsbereich des VTV unterstellt werden sollen, die aufgrund der von ihnen als Gesamtheit ausgeführten baugewerblichen Arbeiten funktional einen Baubetrieb bilden. Dies hängt von der koordinierten Durchführung baugewerblicher Arbeiten, nicht aber von der geografischen Lage des Ortes ab, von dem aus die Leitung erfolgt.

Der Annahme, die nach Deutschland entsandten Arbeitnehmer der Arbeitgeberin hätten eine selbständige Betriebsabteilung nach § 1 Abs. 2 Abschn. VI Unterabs. 1 Satz 3 VTV gebildet, steht jedoch entgegen, wenn die Arbeitnehmer nicht als Gesamtheit außerhalb der stationären Betriebsstätte der Arbeitgeberin eingesetzt waren. Es kann deshalb dahinstehen, ob die nach Deutschland entsandten Arbeitnehmer der tschechischen Arbeitgeberin baugewerbliche Arbeiten im Sinne des VTV verrichtet haben.

Eine Gesamtheit von Arbeitnehmern iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. VI Unterabs. 1 Satz 3 VTV liegt nur vor, wenn die Arbeitnehmer außerhalb der stationären Betriebsstätte arbeiten. Maßgeblich ist danach nicht eine äußerlich wahrnehmbare räumliche und organisatorische Abgrenzung, sondern allein die Ausführung der Arbeiten außerhalb der stationären Betriebsstätte[11]. Ein innerbetrieblicher Arbeitseinsatz der Gesamtheit steht daher der Fiktion einer selbständigen Betriebsabteilung nach § 1 Abs. 2 Abschn. VI Unterabs. 1 Satz 3 VTV grundsätzlich entgegen. Diese Bestimmung verlangt zwar nicht, dass die baugewerblichen Arbeiten stets außerhalb der stationären Betriebsstätte aufzunehmen sind oder die Arbeitnehmer auswärtig untergebracht sein müssen, wie dies zB bei Montagearbeitern typischerweise der Fall ist. Auch wenn die Arbeitnehmer der Gesamtheit anlässlich ihrer Arbeitsaufnahme in einer stationären Betriebsstätte Weisungen und Pläne für ihre baugewerbliche Arbeit außerhalb der stationären Betriebsstätte erhalten und in der Betriebsstätte das von ihnen benötigte Material zusammenstellen, um es in einen Transporter zu verladen, den sie nach dem auswärtigen Einsatz wieder in die Betriebsstätte zurückbringen, steht dies einem Tätigwerden außerhalb der Betriebsstätte iSd. § 1 Abs. 2 Abschn. VI Unterabs. 1 Satz 3 VTV nicht entgegen, wenn diese innerbetrieblichen Nebenarbeiten im Vergleich zu den Arbeiten außerhalb der stationären Betriebsstätte sowohl quantitativ als auch qualitativ nur von marginaler Bedeutung sind[12].

Im hier entschiedenen Fall sind die von der Arbeitgeberin meist wiederkehrend nach Deutschland entsandten Arbeitnehmer vorwiegend in der Produktion in Tschechien und nur kurz in der Montage eingesetzt worden. Im Regelfall haben sie weniger als die Hälfte der Arbeitstage eines Monats in Deutschland gearbeitet. Außerdem gab es erhebliche Pausen zwischen den kurzen Einsätzen. Selbst solche Arbeitnehmer, die in einem Monat auf zwei Baustellen eingesetzt wurden, sind in der Regel weniger als zehn Tage pro Monat in Deutschland beschäftigt gewesen.

Davon ausgehend handelte es sich bei den nach Deutschland entsandten Arbeitnehmern der Arbeitgeberin nicht um eine außerhalb der stationären Betriebsstätte der Arbeitgeberin tätige Gesamtheit iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. VI Unterabs. 1 Satz 3 VTV. Es fehlt an einem koordinierten Einsatz dieser Arbeitnehmer als eine von den Produktionsmitarbeitern im Sinne einer Gesamtheit zu unterscheidende Einheit. Diese Arbeitnehmer können nach den getroffenen Feststellungen nicht als homogene, eigenständige Personengruppe von den übrigen, ausschließlich in der stationären Betriebsstätte der Arbeitgeberin beschäftigten Arbeitnehmern abgegrenzt werden. Es ist kein „fester Kern“ von Montagearbeitnehmern auszumachen, der etwa nur bei Bedarf durch weitere Arbeitnehmer aus der Produktion aufgestockt worden wäre. Vielmehr haben alle nach Deutschland entsandten Arbeitnehmer nach den getroffenen Feststellungen während des gesamten Streitzeitraums, zu jeweils individuell unterschiedlichen Zeiten – den wesentlichen Teil ihrer kalenderjährlichen Arbeitszeit in der Produktion verbracht. Bei allen Arbeitnehmern gab es vorliegend im Streitzeitraum sowohl Unterbrechungen der Einsätze durch zum Teil monatelange Pausen als auch etliche Entsendungen mit einer Dauer von nur fünf Tagen und weniger im Monat, obwohl – bis auf wenige Ausnahmen – jeweils auf mehr als nur einer Baustelle Arbeiten zu verrichten waren. Da die Arbeitnehmer zudem in größenmäßig variierenden Gruppen entsandt wurden, die sich auch personell immer wieder unterschiedlich zusammensetzten, zum Teil war sogar nur ein Arbeitnehmer allein auf einer Baustelle in Deutschland tätig, fehlte es auch an einer inneren personellen Verbundenheit, durch die sich eine Gesamtheit iSd. § 1 Abs. 2 Abschn. VI Unterabs. 1 Satz 3 VTV auszeichnet.

Baustellen sind grundsätzlich nicht als selbständige Betriebsabteilungen iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. VI Unterabs. 1 Satz 2 VTV anzusehen[13]. Ebenso wenig handelt es sich bei einer Baustelle um eine Gesamtheit iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. VI Unterabs. 1 Satz 3 VTV, wenn nicht alle Tatbestandsmerkmale dieser Norm erfüllt sind. Das ist hier nicht der Fall.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17. Juni 2015 – 10 AZR 257/14

  1. vgl. BAG 16.05.2012 – 10 AZR 190/11, Rn. 12, BAGE 141, 299[]
  2. seit dem 1.01.2010[]
  3. BAG 17.10.2012 – 10 AZR 500/11, Rn. 13[]
  4. AVE vom 30.10.2002, Bekanntmachung im BAnz. Nr. 218 vom 22.11.2002 S. 25297[]
  5. vgl. EuGH 25.10.2001 – C-49/98 ua. – [Finalarte ua.] Slg. 2001, I-7831[]
  6. BAG 19.11.2014 – 10 AZR 787/13, Rn. 12[]
  7. BAG 19.11.2014 – 10 AZR 787/13, Rn. 15[]
  8. BAG 19.11.2014 – 10 AZR 787/13, Rn. 16; vgl. auch BAG 17.10.2012 – 10 AZR 500/11, Rn. 17[]
  9. BAG 19.11.2014 – 10 AZR 787/13, Rn. 17[]
  10. BAG 19.11.2014 – 10 AZR 787/13, Rn. 18[]
  11. BAG 19.11.2014 – 10 AZR 787/13, Rn.19[]
  12. BAG 19.11.2014 – 10 AZR 787/13 – aaO[]
  13. BAG 21.11.2007 – 10 AZR 782/06, Rn. 30 mwN[]