Eine auf Strafschadensersatz (punitive damages) gerichtete Schadensersatzklage vor einem US-amerikanischen Gericht verstößt nicht von vornherein gegen unverzichtbare Grundsätze eines freiheitlichen Rechtsstaats.

Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet die allgemeine Handlungsfreiheit im umfassenden Sinne[1]. Diese steht gemäß Art. 2 Abs. 1 Halbsatz 2 GG unter dem Vorbehalt der verfassungsmäßigen Ordnung[2] und kann daher auf der Grundlage des Haager Zustellungsübereinkommens, dem die für die Bundesgesetzgebung zuständigen Organe zugestimmt haben[3] und gegen dessen Verfassungsmäßigkeit keine Bedenken bestehen[4], eingeschränkt werden.
Das Haager Zustellungsübereinkommen will die gegenseitige Rechtshilfe unter den Vertragsparteien dadurch verbessern, dass die technische Abwicklung der Zustellung vereinfacht und beschleunigt wird. Dadurch soll sichergestellt werden, dass gerichtliche und außergerichtliche Schriftstücke, die im Ausland zuzustellen sind, ihren Empfängern rechtzeitig zur Kenntnis gelangen[5]. Diese Erwägungen schließen es grundsätzlich aus, dass die innerstaatliche Rechtsordnung zum Prüfungsmaßstab für die Zustellung gemacht wird[6]. Anderenfalls könnte die materielle Prüfung des Zustellungsersuchens zu Verzögerungen bei der Zustellung oder, wegen Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Rechtsauffassungen, zu einer Vereitelung der Zustellung führen, was durch das Haager Zustellungsübereinkommen gerade ausgeschlossen werden sollte. Ein Zustellungsersuchen kann nach dem Wortlaut von Art. 13 Abs. 1 HZÜ jedoch abgelehnt werden, wenn der ersuchte Staat die Zustellung für geeignet hält, seine Hoheitsrechte oder seine Sicherheit zu gefährden.
Ob die Zustellung einer Klage wegen eines Verstoßes gegen Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip auch dann zu unterbleiben hätte, wenn das mit der Klage angestrebte Ziel offensichtlich gegen unverzichtbare Grundsätze des freiheitlichen Rechtsstaats verstieße, hat das Bundesverfassungsgericht bislang nicht entschieden[7]. Ein solcher Verstoß könnte etwa vorliegen, wenn das Verfahren vor den ausländischen Gerichten in einer offenkundig missbräuchlichen Art und Weise genutzt wird, um eine Forderung durchzusetzen, die – jedenfalls in ihrer Höhe – keine substantielle Grundlage hätte, der Beklagte mit dem angegriffenen Verhalten offensichtlich nichts zu tun hat oder erheblicher publizistischer Druck aufgebaut wird, um ihn zu einem ungerechtfertigten Vergleich zu drängen[8]. Anhaltspunkte dafür, dass die Klage in diesem Sinne offensichtlich rechtsmissbräuchlich wäre, bestehen indes nicht.
Eine auf Strafschadensersatz (punitive damages) gerichtete Schadensersatzklage verstößt nicht von vornherein gegen unverzichtbare Grundsätze eines freiheitlichen Rechtsstaats[9]. Wie das Kammergericht festgestellt hat, ist eine Verletzung von Rechten der „B., Inc.“ durch die Beschwerdeführerin nicht auszuschließen. Den Vorwurf, die geltend gemachte Forderung sei offensichtlich maßlos überhöht, kann die Beschwerdeführerin jedenfalls nicht auf die deutlich geringere Höhe der von ihr gezogenen Nutzungen oder die Höhe des Vergleichsangebots stützen. Weder muss ein Schaden mit dem Nutzen für den Schädiger korrelieren, noch gibt die Höhe einer dem Schädiger zur Streitbeilegung angebotenen Vergleichszahlung einen Anhaltspunkt für den dem Geschädigten zugefügten Schaden. Es ist auch nicht Aufgabe der um Zustellung ersuchten deutschen Hoheitsträger, selbständig eine mögliche Schadenssumme zu ermitteln und diese ins Verhältnis zu dem schädigenden Ereignis oder gar der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Zustellungsempfängers zu setzen[10].
Dass für ein amerikanisches Zivilverfahren hohe Anwaltskosten anfallen können und die Beschwerdeführerin diese selbst im Falle des Obsiegens nicht ersetzt bekäme, begründet ebenfalls keinen Verstoß gegen unverzichtbare rechtsstaatliche Grundsätze, sondern ist eine Folge der unternehmerischen Entscheidung für eine grenzüberschreitende Teilnahme am Wirtschaftsleben[11].
Die nach US-amerikanischem Recht in weiterem Umfang zulässige parallele Prozessführung vor verschiedenen Gerichten weicht zwar vom deutschen Recht ab[12], verstößt jedoch deshalb ebenfalls noch nicht gegen unverzichtbare Grundsätze des freiheitlichen Rechtsstaats, zumal auch nach US-amerikanischem Recht sich widersprechende Urteile in der gleichen Sache verhindert werden[13].
Schließlich kann die Durchführung einer die Klage begleitenden Medienkampagne, die einen Missbrauchsvorwurf stützen könnte[14], nicht allein aus der Berichterstattung über die öffentlich einsehbare Klage abgeleitet werden. Wie das Kammergericht festgestellt hat, war die Berichterstattung über die Klageerhebung zudem ganz überwiegend neutral.
Eine Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG scheidet von vornherein aus. Der Klagezustellung kommt schon deshalb keine berufsregelnde Tendenz zu, weil sie den Empfänger zwar in ein Gerichtsverfahren einbezieht, aber noch keine Entscheidung über den Ausgang des Verfahrens trifft[15]. Sie ist deshalb auch nicht geeignet, vermögenswerte Rechte im Sinne von Art. 14 Abs. 1 GG zu beeinträchtigen.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 9. Januar 2013 – 2 BvR 2805/12
- vgl. BVerfGE 80, 137, 152 m.w.N.[↩]
- vgl. BVerfGE 6, 32, 37 f.; 74, 129, 152; 80, 137, 153[↩]
- Gesetz zu dem Haager Übereinkommen vom 15.11.1965 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen vom 22.12.1977, BGBl II 1977 S. 1452[↩]
- vgl. BVerfGE 91, 335, 339 ff.; BVerfGK 10, 203, 205; 11, 312, 316; 14, 202, 207[↩]
- vgl. BVerfGE 91, 335, 339 f.[↩]
- BVerfGE 108, 238, 246[↩]
- vgl. BVerfGE 91, 335, 343; 108, 238, 247; BVerfGK 10, 203, 206; 11, 312, 317; 14, 202, 208[↩]
- vgl. BVerfGE 108, 238, 248; BVerfGK 10, 203, 206; 11, 312, 321; 14, 202, 208[↩]
- vgl. BVerfGE 91, 335, 343 ff.; 108, 238, 247[↩]
- vgl. BVerfGK 11, 312, 321; 14, 202, 208[↩]
- vgl. BVerfGK 11, 312, 319; auch BGHZ 118, 312, 325 f.[↩]
- vgl. § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO[↩]
- vgl. z.B. Hay, US-Amerikanisches Recht, 5. Auflage 2011, Rn.201 ff.[↩]
- vgl. BVerfGE 108, 238, 248[↩]
- vgl. BVerfGK 10, 203, 207[↩]