Haftung des Bahnunternehmens im grenzüberschreitenden Autoreisezugverkehr

Ein Eisenbahnunternehmen haftet im grenzüberschreitenden Autoreisezugverkehr gemäß Art. 36 § 1 CIV grundsätzlich verschuldensunabhängig für Schäden, die im Obhutszeitraum am Kraftfahrzeug eines Fahrgastes entstehen. Der Haftungsausschlussgrund des Art. 36 § 3 Buchst. a CIV (Fehlen oder Mängel der Verpackung) umfasst nicht die mit der Beförderung in offenen Wagen verbundene besondere Gefahr.

Haftung des Bahnunternehmens im grenzüberschreitenden Autoreisezugverkehr

Die Haftung des Beförderers für die Schäden an dem transportierten Pkw beurteilt sich nach den Vorschriften der CIV. Gemäß Art. 1 § 1 CIV gelten die Einheitlichen Rechtsvorschriften für jeden Vertrag über die entgeltliche oder unentgeltliche Beförderung von Personen auf der Schiene, wenn der Abgangsund der Bestimmungsort in zwei verschiedenen Mitgliedstaaten im vorliegenden Fall Frankreich und Deutschland liegen. Wird für die Beschädigung eines mitbeförderten Fahrzeugs Schadensersatz geltend gemacht, kommen gemäß Art. 47 CIV die Bestimmungen über die Haftung für Reisegepäck (Art. 36 bis Art. 43 CIV) zur Anwendung.

Nach Art. 36 § 1 CIV haftet der Beförderer unabhängig davon, ob ihn ein Verschulden trifft, unter anderem für den Schaden, der durch Beschädigung des Reisegepäcks in der Zeit von der Übernahme durch den Beförderer bis zur Auslieferung entsteht. Das Reisegepäck muss während der Beförderung auf der Schiene beschädigt worden sein.

Im hier entschiedenen Fall lagen die bei der Abholung des Fahrzeugs am Zielort Kornwestheim festgestellten Schäden zum Zeitpunkt der Übernahme des Pkw durch den Beförderer noch nicht vor. Sie konnten daher nur während der Haftungszeit des Beförderers entstanden sein mit der Folge, dass die Voraussetzungen für eine Haftung gemäß Art. 36 § 1 CIV erfüllt sind.

Die Haftung des Beförderers für diese Schäden ist nicht ausgeschlossen.

Einen Haftungsausschluss gemäß Art. 36 § 2 CIV verneint der Bundesgerichtshof. Nach dieser Vorschrift ist der Beförderer von der Haftung gemäß Art. 36 § 1 CIV befreit, soweit die Beschädigung durch Umstände verursacht worden ist, die der Beförderer nicht vermeiden und deren Folgen er nicht abwenden konnte. Der Beweis dafür, dass die Beschädigung durch eine der in Art. 36 § 2 CIV erwähnten Tatsachen verursacht wurde, obliegt gemäß Art. 37 § 1 CIV dem Beförderer. Demgemäß muss dieser im Einzelnen darlegen, dass der eingetretene Schaden auch durch Anwendung äußerster wirtschaftlich zumutbarer Sorgfalt nicht verhindert werden konnte[1]. Vorliegend hatte der beklagte Beförderer lediglich pauschal behauptet, die festgestellten Schäden könnten auch durch Steinschlag oder Vandalismus entstanden sein, was für einen Haftungsausschluss nach Art. 36 § 2 CIV nicht ausreicht.

Die Haftung des Beförderers für die streitgegenständlichen Schäden ist auch nicht gemäß Art. 36 § 3 Buchst. a und b CIV ausgeschlossen.

Nach Art. 36 § 3 Buchst. a CIV ist der Beförderer von der Haftung gemäß Art. 36 § 1 CIV befreit, soweit die Beschädigung aus der besonderen Gefahr entstanden ist, die mit dem Fehlen einer Verpackung verbunden ist.

Das Landgericht Dortmund[2] hat angenommen, der Wortlaut des Art. 36 § 3 Buchst. a CIV umfasse auch den Fall einer „Offenen-Wagen-Gefahr“. Die auf einem Autoreisezug beförderten Fahrzeuge hätten üblicherweise keine Verpackung und müssten eine solche im Regelfall auch nicht haben, weil das Gefährdungspotential beim Transport auf einem Autoreisezug nicht höher sei als bei einer Nutzung des Fahrzeugs im normalen Straßenverkehr. Die Beförderung auf der Schiene sei nur ein Ersatz für die Benutzung des Fahrzeugs auf der Straße.

Dieser Beurteilung vermag der Bundesgerichtshof nicht beizutreten. Das Landgericht Dortmund berücksichtigt nicht genügend die Regelungen zu Haftungsausschlüssen des Beförderers in anderen internationalen Transportrechtsübereinkommen. In Art. 23 § 3 CIM, der bei der internationalen Eisenbahnbeförderung von Gütern zur Anwendung kommt, wird hinsichtlich eines Haftungsausschlusses des Beförderers ausdrücklich zwischen der Beförderung des Gutes in offenen Wagen und dem Fehlen einer Verpackung des Gutes unterschieden. Eine gleichartige Differenzierung findet sich auch in Art. 17 Abs. 4 Buchst. a und b CMR. Die Haftungsausschlussgründe gemäß Art. 36 § 3 CIV sehen demgegenüber eine derartige Unterscheidung nicht vor. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Differenzierung zwischen den besonderen Gefahren eines Gütertransports auf offenen Wagen und dem Fehlen einer Verpackung des Gutes in den Einheitlichen Rechtsvorschriften für den Vertrag über die internationale Eisenbahnbeförderung von Personen versehentlich unterblieben ist.

Die Vorschrift des Art. 36 § 3 Buchst. a CIV regelt den Fall, dass eine an sich vorgesehene Verpackung des Gutes entweder vollständig fehlt oder diese zwar vorhanden, aber mangelhaft ist. Die Fallgestaltung, dass das Gut üblicherweise nicht verpackt wird und von einer fehlenden Verpackung deshalb keine besondere Gefahr ausgeht, fällt dagegen nicht in den Anwendungsbereich des Art. 36 § 3 Buchst. a CIV. Wäre dies anders, würde über Art. 36 § 3 Buchst. a CIV der in Art. 23 § 3 Buchst. a CIM für den dortigen Anwendungsbereich geregelte Haftungsausschluss der Beförderung des Gutes auf offenen Wagen auch für den Anwendungsbereich der CIV eingeführt[3]. Für einen derartigen Haftungsausschluss ergibt sich in den einschlägigen Bestimmungen der CIV aber kein Anhalt. Die Revision weist mit Recht darauf hin, dass es mit dem zwingenden und abschließenden (vgl. Art. 5 CIV) Charakter der Bestimmungen der CIV unvereinbar ist, die in Art. 36 § 3 CIV geregelten Haftungsausschlüsse um den Haftungsausschluss der Beförderung des Gutes auf offenen Wagen zu erweitern.

Der Beförderer kann sich auch nicht mit Erfolg auf den Haftungsausschluss gemäß Art. 36 § 3 Buchst. b CIV berufen. Nach dieser Bestimmung ist der Beförderer von seiner Haftung gemäß Art. 36 § 1 CIV befreit, soweit die Beschädigung des Gutes aus seiner natürlichen Beschaffenheit entstanden ist. Kraftfahrzeuge, die auf einem Autoreisezug befördert werden, müssen regelmäßig keine Verpackung haben, weil das Gefährdungspotential bei einem derartigen Transport nicht höher ist als bei einer Benutzung des Fahrzeugs im Straßenverkehr. Dann kann auch keine besondere Gefahr aus der natürlichen Beschaffenheit des Kraftfahrzeugs im Sinne von Art. 36 § 3 Buchst. b CIV gegeben sein.

Ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV hält der Bundesgerichtshof im Streitfall nicht erforderlich, weil an der Auslegung der maßgeblichen Bestimmungen der CIV keine vernünftigen Zweifel bestehen[4].

Bundesgerichtshof, Urteil vom 12. Dezember 2013 – I ZR 65/13

  1. vgl. zu der mit Art. 36 § 2 CIV inhaltsgleichen Bestimmung des Art. 23 § 2 CIM MünchKomm-.HGB/Freise, 2. Aufl., Art. 23 CIM Rn. 22[]
  2. LG Dortmund, Urteil vom 05.03.2013 – 1 S 164/11[]
  3. vgl. LG Hildesheim, TranspR 2003, 196, 198; Grau, TranspR 2003, 198 f.[]
  4. vgl. hierzu BGH, Urteil vom 09.10.2013 – I ZR 115/12, TranspR 2013, 433 Rn. 24 f. = RdTW 2013, 447[]