Urteile aus anderen EU-Staaten – und ihre Vollstreckbarerklärung ohne Sicherheitsleistung

Eine Vollstreckung des erstinstanzlichen italienischen Urteils in Deutschland widerspricht nicht im Sinne von Art. 34 Nr. 1 EuGVVO aF offensichtlich dem deutschen verfahrensrechtlichen ordre public.

Urteile aus anderen EU-Staaten – und ihre Vollstreckbarerklärung ohne Sicherheitsleistung

Zwar sind erstinstanzliche Urteile eines italienischen Gerichts anders als entsprechende Urteile eines deutschen Gerichts im gesetzlichen Regelfall ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar (art. 282 cpc; § 709 ZPO). Diese unterschiedliche Rechtslage allein rechtfertigt es jedoch nicht, die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung einer ausländischen Entscheidung nach Art. 45 Abs. 1, Art. 34 Nr. 1 EuGVVO aF zu versagen.

Eine Anwendung der Vorbehaltsklausel des Art. 34 Nr. 1 EuGVVO aF kommt nur in Betracht, wenn die Anerkennung oder Vollstreckung der in einem anderen Mitgliedsstaat erlassenen Entscheidung gegen einen wesentlichen Rechtsgrundsatz verstieße und deshalb in einem nicht hinnehmbaren Gegensatz zur Rechtsordnung des Vollstreckungsstaates stünde. Es muss sich bei diesem Verstoß um eine offensichtliche Verletzung einer in der Rechtsordnung des Vollstreckungsstaates als wesentlich geltenden Rechtsnorm oder eines dort als grundlegend anerkannten Rechts handeln. Bei der Prüfung des Verfahrens des Urteilsstaates kann deshalb nicht schon dann die Anerkennung versagt werden, wenn die Entscheidung in einem Verfahren erlassen worden ist, das von zwingenden Vorschriften des deutschen Prozessrechts abweicht. Ein Versagungsgrund ist vielmehr nur dann gegeben, wenn die Entscheidung des ausländischen Gerichts aufgrund eines Verfahrens ergangen ist, das sich von den Grundprinzipien des deutschen Verfahrensrechts in einem solchen Maße entfernt, dass nach der deutschen Rechtsordnung das Urteil nicht als in einem geordneten, rechtsstaatlichen Verfahren ergangen angesehen werden kann[1].

Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Dass nicht rechtskräftige Entscheidungen eines Zivilgerichts nur gegen Sicherheitsleistung des Gläubigers vorläufig vollstreckt werden dürfen, ist, wie die Regelungen in § 708 ZPO und § 710 ZPO zeigen, kein ausnahmslos geltender Grundsatz des deutschen Zivilverfahrensrechts. Umgekehrt stellt auch die Regelung im italienischen Verfahrensrecht den Schuldner nicht schutzlos. Er kann beim Berufungsgericht beantragen, die Vollstreckung des angefochtenen Urteils ganz oder zum Teil auszusetzen (art. 283 cpc). Ferner ist zu berücksichtigen, dass auch im Verfahren der Vollstreckbarerklärung die Aussetzung des Verfahrens angeordnet oder die Vollstreckung von der Leistung einer Sicherheit abhängig gemacht werden kann, um den Schuldner vor den Folgen einer Vollstreckung vor Rechtskraft des Urteils zu schützen (Art. 46 Abs. 1 und 3 EuGVVO aF). Von einer offensichtlichen, untragbaren Abweichung von Grundprinzipien des deutschen Verfahrensrechts kann danach nicht die Rede sein.

Auch der hilfsweise Antrag, die Zwangsvollstreckung von der Leistung einer Sicherheit abhängig zu machen, ist jedenfalls unbegründet.

Nach Art. 46 Abs. 1 und 3 EuGVVO aF kann auch noch das mit einer Rechtsbeschwerde befasste Gericht auf Antrag des Schuldners das Exequaturverfahren aussetzen oder die Zwangsvollstreckung von einer Sicherheit abhängig machen, wenn gegen die Entscheidung im Ursprungsmitgliedstaat ein ordentlicher Rechtsbehelf eingelegt ist[2]. Die Entscheidung über einen solchen Antrag steht im Ermessen des Gerichts. Fraglich erscheint allerdings, ob das Rechtsbeschwerdegericht befugt ist, eine Sicherheitsleistung anzuordnen, wenn die Rechtsbeschwerde – wie hier – unzulässig und damit der Weg zu einer Sachentscheidung nicht eröffnet ist[3]. Einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu dieser Frage nach Art. 267 AEUV bedarf es jedoch nicht, weil der Antrag in der Sache unbegründet ist.

Ausreichende Gründe für die Anordnung einer Sicherheitsleistung vermag der Bundesgerichtshof nicht zu erkennen.

Die zu vollstreckende Entscheidung ist nicht aufgrund einer lediglich summarischen Prüfung, sondern in einem ordentlichen Klageverfahren unter umfassender Beteiligung der Schuldnerin ergangen. Nach italienischem Recht ist die Entscheidung ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar; das Berufungsgericht kann aber auf Antrag die Vollstreckbarkeit beim Vorliegen schwerwiegender Gründe aussetzen (art. 282, 283 cpc). Die Schuldnerin ist deshalb im Ausgangsverfahren nicht schutzlos.

Der Umstand, dass die im Ursprungsstaat ergangene Entscheidung noch nicht rechtskräftig ist, ist tatbestandliche Voraussetzung der Anordnung einer Sicherheitsleistung nach Art. 46 Abs. 3 EuGVVO. Ob die Entscheidung Bestand haben wird, ist in diesem Fall notwendigerweise ungewiss. Dieser Ungewissheit allein kann deshalb bei der Ausübung des dem Exequaturgericht eingeräumten Ermessens keine ausschlaggebende Bedeutung zukommen[4]. Vermag der Schuldner hingegen darzulegen, dass sein Rechtsbehelf im Ursprungsstaat offenkundig Erfolg haben wird, kann dies die Anordnung einer Sicherheitsleistung nahe legen. Eine solche offenkundige Erfolgsaussicht zeigt die Rechtsbeschwerde jedoch nicht auf. Die Frage, ob bei der Beurteilung der Erfolgsaussicht alle Umstände zu berücksichtigen sind oder nur solche, die vor den Gerichten des Ursprungsstaats noch nicht vorgebracht werden konnten[5], kann daher dahinstehen.

Auch auf die Notwendigkeit, einen möglichen Anspruch auf Erstattung der vollstreckten Beträge gegen einen in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ansässigen Gläubiger vor den dortigen Gerichten verfolgen zu müssen, kann eine Anordnung nach § 46 Abs. 3 EuGVVO aF grundsätzlich nicht gestützt werden, weil die Rechtsverfolgung innerhalb der Europäischen Union durch die Zuständigkeits- und Anerkennungsregelungen der EuGVVO im Regelfall gewährleistet ist[6]. Die Anordnung einer Sicherheitsleistung kann hingegen veranlasst sein, wenn aufgrund konkreter Umstände die begründete Besorgnis besteht, dass der Gläubiger später zur Erstattung der vollstreckten Beträge nicht mehr in der Lage sein wird. Solche Umstände trägt die Rechtsbeschwerde jedoch nicht vor.

Der Gesichtspunkt, dass die Verfahrensökonomie es gebiete, die Ursprungsentscheidung nur unter Anordnung einer Sicherheitsleistung für vollstreckbar zu erklären, um so einen zweiten, auf die Erstattung der vollstreckten Beträge gerichteten Prozess zu vermeiden, greift ebenfalls nicht durch. Nach der Konzeption der EuGVVO sollen auch nicht rechtskräftige, nur vorläufig vollstreckbare Entscheidungen in anderen Mitgliedstaaten vollstreckt werden können. Die Verordnung nimmt damit in Kauf, dass im Falle der Abänderung der zu vollstreckenden Entscheidung die bereits vollstreckten Beträge vom Schuldner in einem zweiten Verfahren geltend gemacht werden müssen. Gründe der Verfahrensökonomie können die Anordnung einer Sicherheitsleistung deshalb nur unter besonderen Umständen rechtfertigen, etwa wenn der im Ursprungsstaat eingelegte Rechtsbehelf offenkundig Erfolg haben muss. Dies wird von der Rechtsbeschwerde jedoch, wie oben ausgeführt wurde, nicht dargelegt.

Der Schuldnerin kann auch nicht gestattet werden, die Zwangsvollstreckung durch eigene Sicherheitsleistung abzuwenden. Die Normen der EuGVVO sehen eine solche Möglichkeit nicht vor[7].

Die Regelung in § 20 AVAG betrifft nur den Fall der Sicherungsvollstreckung bis zum Ablauf des Exequaturverfahrens. Diese steht hier nicht in Rede.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17. September 2015 – IX ZB 47/14

  1. vgl. BGH, Beschluss vom 23.06.2005 – IX ZB 64/04 Rn. 6, nv; vom 14.06.2012 – IX ZB 183/09, WM 2012, 1445 Rn. 10 f; jeweils mwN[]
  2. Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 3. Aufl., Art. 46 EuGVVO Rn. 50; Simons/Hausmann/Althammer, Brüssel I-Verordnung, Art. 46 Rn. 1; Rauscher/Mankowski, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, Art. 46 Brüssel I-VO Rn. 2; Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 8. Aufl., Art. 46 EuGVVO Rn. 2[]
  3. bejahend offenbar Österreichischer OGH, Beschluss vom 30.05.2006 – 3 Ob 49/06 zu 3.[]
  4. vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 26.02.2010 – 5 W 68/09, IPRspr 2010, 645 49; weiter: OLG Düsseldorf, NJW-RR 1997, 572 und RIW 1998, 969; OLG Köln, IPRax 2006, 51, 52; OLG Celle, NJW-RR 2007, 718, 719][]
  5. so für den Fall eines Antrags auf Aussetzung des Vollstreckbarerklärungsverfahrens nach Art. 46 Abs. 1 EuGVVO aF: EuGH, Urteil vom 04.10.1991 – C183/90, Slg 1991, I4743 Rn. 33, 36 f[]
  6. BGH, Beschluss vom 15.05.2014 – IX ZB 26/13, NJW 2014, 2365 Rn. 8[]
  7. vgl. OLG Stuttgart, aaO[]