US-Sekundärsanktionen gegen den Iran – und das Verbot, es in der EU zu befolgen

Das unionsrechtliche Verbot, den Sekundärsanktionen nachzukommen, die die Vereinigten Staaten gegen Iran verhängt haben, kann in einem Zivilprozess geltend gemacht werden.

US-Sekundärsanktionen gegen den Iran – und das Verbot, es in der EU zu befolgen

Dieses Verbot gilt zwar auch ohne eine gesonderte Aufforderung oder Weisung einer Verwaltungs- oder Justizbehörde der Vereinigten Staaten, doch darf es nicht die unternehmerische Freiheit einer von ihm erfassten Person dadurch verletzen, dass es bei ihr zu unverhältnismäßigen wirtschaftlichen Verlusten führt.

Bei der Bank Melli Iran (im Folgenden: BMI) handelt es sich um eine iranische Bank im Eigentum des iranischen Staates, die über eine Zweigniederlassung in Deutschland verfügt. Sie schloss mit Telekom, einer Tochtergesellschaft der Deutsche Telekom AG, die ihren Sitz in Deutschland hat und etwa die Hälfte ihres Umsatzes mit ihrer Tätigkeit in den Vereinigten Staaten erwirtschaftet, mehrere Verträge über die Erbringung von Telekommunikationsdienstleistungen zur Entfaltung ihrer Geschäftstätigkeiten. 2018 zogen sich die Vereinigten Staaten aus dem iranischen Atomabkommen zurück, das 2015 unterzeichnet wurde und die Kontrolle des iranischen Atomprogramms und die Aufhebung der Wirtschaftssanktionen gegen Iran zum Ziel hat. Als Folge dieses Rückzugs verhängten die Vereinigten Staaten gemäß dem Iran Freedom and Counter-Proliferation Act of 2012 (Gesetz von 2012 über die Freiheit und die Bekämpfung der Proliferation in Iran) erneut Sanktionen gegen Iran sowie gegen die in der SDN-Liste, der  Specially Designated Nationals and Blocked Persons List, aufgeführten Personen, zu denen BMI gehört. Seit diesem Zeitpunkt ist es für jedermann verboten, außerhalb des Gebiets der Vereinigten Staaten Geschäftsbeziehungen mit den Personen zu unterhalten, die auf dieser Liste stehen.

Infolge dieser Entscheidung erließ die Union die Delegierte Verordnung (EU) 2018/1100 der Kommission vom 6. Juni 2018 zur Änderung des Anhangs der Verordnung (EG) Nr. 2271/96 des Rates zum Schutz vor den Auswirkungen der extraterritorialen Anwendung von einem Drittland erlassener Rechtsakte sowie von darauf beruhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen[1], mit der der Anhang der Verordnung (EG) Nr. 2271/96 des Rates vom 22. November 1996 zum Schutz vor den Auswirkungen der extraterritorialen Anwendung von einem Drittland erlassener Rechtsakte sowie von darauf beruhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen[2] dahin geändert wurde, dass das Gesetz von 2012 über die Freiheit und die Bekämpfung der Proliferation in Iran aufgenommen wurde. In ihr wird insbesondere den betreffenden Personen verboten, den im Anhang aufgeführten Gesetzen oder sich daraus ergebenden Maßnahmen nachzukommen (Art. 5 Abs. 1), soweit keine Ausnahmegenehmigung vorliegt, die von der Europäischen Kommission erteilt werden kann, wenn durch die Nichtbefolgung der Rechtsvorschriften von Drittländern die Interessen der von der Verordnung erfassten Personen oder der Union schwer geschädigt würden (Art. 5 Abs. 2).

Da nach deutschem Recht „[e]in Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, … nichtig [ist], wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt“ (§ 134 BGB) und Telekom ab 2018 sämtliche Verträge mit BMI vor deren Ablauf ohne ausdrückliche Begründung und ohne Genehmigung der Kommission gekündigt hatte, griff BMI die Kündigung der Verträge vor den deutschen Gerichten an. Im ersten Rechtszug wurde Telekom dazu verurteilt, die fraglichen Verträge bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfristen zu erfüllen. Die ordentliche Kündigung der Verträge wurde hingegen für mit Art. 5 der Verordnung vereinbar befunden. BMI legte Berufung beim Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg ein, das den Gerichtshof mit einem Vorabentscheidungsersuchen um Auslegung von Art. 5 Abs. 1 der Verordnung, u. a. im Hinblick auf die Art. 16 und 52 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und den in Art. 5 Abs. 2 der Verordnung vorgesehenen Genehmigungsmechanismus befasst hat.

Der Gerichtshof der Europäischen Union (Große Kammer) entschied nun unter Berücksichtigung der weiten Formulierung von Art. 5 Abs. 1 der Verordnung als Erstes, dass das Verbot, Forderungen oder Verboten nachzukommen, die in bestimmten, von einem Drittland unter Verletzung des Völkerrechts erlassenen Gesetzen vorgesehen sind, auch dann Anwendung findet, wenn keine gesonderte Aufforderung oder Weisung einer Verwaltungs- oder Justizbehörde zu deren Einhaltung vorliegt. Diese Auslegung wird durch die Ziele der Verordnung gestützt, die u. a. die bestehende Rechtsordnung und die Interessen der Union im Allgemeinen im Hinblick auf eine möglichst weitgehende Verwirklichung des Ziels eines freien Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern wie auch die Interessen der in Rede stehenden Personen schützen soll. Der Gerichtshof weist hierzu darauf hin, dass die Verordnung unter Berücksichtigung der Androhung von Rechtsfolgen, die nach einem solchen Gesetz auf den Personen lasten, für die solche Forderungen oder Verbote grundsätzlich gelten, zur Bekämpfung der Wirkungen dieses Gesetzes ungeeignet wäre, wenn das in Art. 5 Abs. 1 vorgesehene Verbot unter der Bedingung einer Erteilung von Weisungen durch eine Verwaltungs- oder Justizbehörde eines Drittlands stünde.

Als Zweites stellt der Unionsgerichtshof fest, dass das in Art. 5 Abs. 1 vorgesehene Verbot klar, genau und unbedingt formuliert ist, so dass es in einem Zivilprozess wie dem hier vorliegenden geltend gemacht werden kann. Anschließend bestätigt er, dass eine von der Verordnung erfasste Person, die nicht über eine Genehmigung der Kommission verfügt, in Anbetracht von Art. 5 Abs. 1 der Verordnung die zwischen ihr und einer in der SDN-Liste aufgeführten Person bestehenden Verträge kündigen kann, ohne eine solche Kündigung begründen zu müssen. Im Rahmen eines Zivilprozesses über einen behaupteten Verstoß gegen das in der Verordnung vorgesehene Verbot obliegt es allerdings der Person, an die sich dieses Verbot richtet, rechtlich hinreichend nachzuweisen, dass ihr Verhalten – hier die Kündigung sämtlicher Verträge – nicht darauf abzielte, den von der Verordnung erfassten amerikanischen Gesetzen nachzukommen, wenn dies auf den ersten Blick der Fall zu sein scheint.

Im vorliegenden Fall weist der Unionsgerichtshof darauf hin, dass das deutsche Recht demjenigen, der sich darauf beruft, dass ein Rechtsgeschäft wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot wie das in Art. 5 Abs. 1 der Verordnung vorgesehene nichtig sei, die Möglichkeit gibt, diese Nichtigkeit vor Gericht geltend zu machen. Er stellt allerdings fest, dass in diesem Fall die Beweislast nach deutschem Recht vollumfänglich bei der Person liegt, die den Verstoß gegen Art. 5 der Verordnung geltend macht, obgleich die fraglichen Beweismittel ihr im Allgemeinen nicht zugänglich sind, was die Feststellung eines Verstoßes gegen das in Art. 5 Abs. 1 vorgesehene Verbot für das angerufene Gericht erschweren und somit dessen Wirksamkeit beeinträchtigen kann.

Als Drittes entscheidet der Gerichtshof der Europäischen Union schließlich, dass die Art. 5 und 9 der Verordnung, wonach „[j]eder Mitgliedstaat … die Sanktionen für den Fall einer Zuwiderhandlung gegen einschlägige Vorschriften dieser Verordnung fest[legt]„, die „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein“ müssen, im Licht der Art. 16 und 52 der Charta der Feststellung der Unwirksamkeit einer Kündigung von Verträgen nicht entgegenstehen, soweit die Feststellung der Unwirksamkeit keine unverhältnismäßigeninsbesondere wirtschaftlichen Auswirkungen für die betreffende Person hat. Mangels einer Genehmigung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung wäre die fragliche Kündigung im vorliegenden Fall, sollte sie gegen Art. 5 Abs. 1 der Verordnung verstoßen, nach deutschem Recht nichtig. Eine solche Feststellung der Unwirksamkeit kann allerdings, wenn sie zu einer Beschränkung der unternehmerischen Freiheit führen kann, nur unter Beachtung der in Art. 52 Abs. 1 der Grundrechte-Charta normierten Bedingungen in Betracht gezogen werden.

Hierzu führt der Unionsgerichtshof u. a. zu der Bedingung, den Wesensgehalt der in Art. 16 der Charta garantierten unternehmerischen Freiheit zu achten, aus, dass die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung der zwischen BMI und Telekom geschlossenen Verträge nicht zur Folge hätte, dass Telekom die Möglichkeit genommen würde, ihre Interessen allgemein im Rahmen einer Vertragsbeziehung geltend zu machen, sondern diese Möglichkeit vielmehr beschränken würde. Außerdem ist die Beschränkung der unternehmerischen Freiheit, die sich aus der etwaigen Feststellung der Unwirksamkeit einer gegen das in Art. 5 Abs. 1 der Verordnung vorgesehene Verbot verstoßenden Vertragskündigung ergibt, grundsätzlich erforderlich, um die Wirkungen der betreffenden Rechtsvorschriften des Drittlands zu bekämpfen und damit die bestehende Rechtsordnung und die Interessen der Union im Allgemeinen zu schützen.

Der Gerichtshof der Europäischen Union stellte dem vorlegenden Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg daher anheim, im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Beschränkung der unternehmerischen Freiheit von Telekom die Verfolgung der von der Verordnung verfolgten Ziele, der mit der Feststellung der Unwirksamkeit dieser gegen das in Art. 5 Abs. 1 der Verordnung vorgesehene Verbot verstoßenden Vertragskündigung gedient wird, gegen die Wahrscheinlichkeit abzuwägen, dass dieses Unternehmen wirtschaftlichen Verlusten ausgesetzt wird, sowie gegen deren Ausmaß für den Fall, dass es die Geschäftsverbindung mit BMI nicht beenden würde. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist auch der Umstand relevant, dass Telekom, vorbehaltlich einer Prüfung, bei der Kommission keinen Antrag auf Befreiung von dem in Art. 5 Abs. 1 der Verordnung normierten Verbot gestellt hat.

Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 21. Dezember 2021 – C -124/20

  1. ABl.EU 2018, L 199 I, S. 1[]
  2. ABl.EG 1996, L 309, S. 1, in der durch die Verordnung (EU) Nr. 37/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Januar 2014 zur Änderung bestimmter Verordnungen zur gemeinsamen Handelspolitik hinsichtlich der Verfahren für die Annahme bestimmter Maßnahmen, ABl.EU 2014, L 18, S. 1, und die Delegierte Verordnung (EU) 2018/1100 der Kommission vom 6. Juni 2018 zur Änderung des Anhangs der Verordnung (EG) Nr. 2271/96, ABl.EU 2018, L 199 I, S. 1, geänderten Fassung[]