Verdeckte Gewinnausschüttungen einer deutschen Tochtergesellschaft – aufgrund eines US-Embargos

Bei einer verdeckten Gewinnausschüttung (vGA) im Sinne des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG in Form einer verhinderten Vermögensmehrung kann sich eine Vorteilseignung daraus ergeben, dass der Gesellschafter eigenen Aufwand erspart. Die Aufwandsersparnis kann sich auch aus dem Verzicht auf die Vereinbarung eines Erstattungs- beziehungsweise Ausgleichsanspruchs ergeben. Der Ansatz einer verhinderten Vermögensmehrung hat in dem Zeitpunkt zu erfolgen, zu dem der Vermögensvorteil, der zu erzielen unterlassen wurde, hätte bilanziert werden müssen.

Verdeckte Gewinnausschüttungen einer deutschen Tochtergesellschaft – aufgrund eines US-Embargos

In dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall hatte die deutsche GmbH geklagt,  Teil eines Konzerns mit einer in den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) ansässigen Muttergesellschaft ist, die mittelbar über zwischengeschaltete Gesellschaften zu 100 % am Kapital der GmbH beteiligt ist. In den Jahren 2004 bis 2006 schloss die GmbH mit der in Venezuela ansässigen Auftraggeberin Verträge über die Modernisierung von dortigen Produktionsanlagen. Anfang des Jahres 2007 belegten die USA den Staat Venezuela mit einem Wirtschaftsembargo, sodass US-amerikanische Unternehmen Abnehmer in Venezuela nicht mehr beliefern durften. Daher wies die Geschäftsleitung der Muttergesellschaft die GmbH an, die von der Auftraggeberin erteilten Aufträge nicht weiter auszuführen. Diese Entscheidung teilte die GmbH der Auftraggeberin im Frühjahr 2007 schriftlich mit. Die Auftraggeberin erhob deshalb in Venezuela im Jahr 2009 gegen die GmbH Klage und machte Schadensersatzforderungen geltend. In einem von der GmbH angestrengten Schiedsverfahren vor der internationalen Handelskammer entschied diese, dass die GmbH unter der aufschiebenden Bedingung, dass die Auftraggeberin die in Venezuela erhobene Klage zurücknimmt, an die Auftraggeberin einen bestimmten Gesamtbetrag, bestehend aus Schadensersatz, Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung und anteilige Verfahrenskosten zu leisten habe. Die GmbH bildete in ihren Jahresabschlüssen wegen etwaiger an die Auftraggeberin zu leistender Schadensersatzzahlungen eine Rückstellung. Im Streitjahr 2011 zahlte die GmbH Verfahrenskosten für das Schiedsverfahren; die in diesem Verfahren angefallenen Anwaltskosten trug die X. In der Folgezeit führte das Finanzamt bei der GmbH eine steuerliche Außenprüfung durch. Der Prüfer und ihm folgend das Finanzamt sahen zum Streitjahr in der Zahlung der Verfahrenskosten sowie der Schadensersatzforderung (Aufstockung der Rückstellung) eine vGA, weil die Auftragsstornierung allein im Interesse der Konzernmutter erfolgt sei. Das Finanzamt erließ deshalb gegenüber der GmbH einen Änderungsbescheid über Körperschaftsteuer für 2011 mit einem um diese vGA erhöhten zu versteuernden Einkommen.

Ein Einspruch blieb ohne Erfolg. Der daraufhin erhobenen Klage gab das Schleswig-Holsteinische Finanzgericht statt[1]. Auf die dagegen gerichtete Revision des Finanzamtes hob der Bundesfinanzhof das finanzgerichtliche Urteil auf und verwies die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück an das Schleswig-Holsteinische Finanzgericht:

Das Finanzgericht ist rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass im Streitfall eine verhinderte Vermögensmehrung bereits wegen ihrer fehlenden Eignung ausscheide, einen sonstigen Bezug im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG bei der Gesellschafterin auszulösen. Deshalb hat es die erforderlichen Feststellungen dazu, ob eine Vermögensverschiebung von der GmbH an ihre Gesellschafterin durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist, bisher nicht getroffen.

VGA sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs Vermögensminderungen (verhinderte Vermögensmehrungen), die durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst oder mitveranlasst sind, sich auf die Höhe des Unterschiedsbetrags gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG auswirken und in keinem Zusammenhang zu einer offenen Ausschüttung stehen. Für den größten Teil der entschiedenen Fälle hat der Bundesfinanzhof die Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis angenommen, wenn die Kapitalgesellschaft ihrem Gesellschafter oder einer diesem nahestehenden Person einen Vermögensvorteil zuwendet, den sie bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlich und gewissenhaft handelnden Geschäftsleiters einem Nichtgesellschafter nicht gewährt hätte[2]. Zudem muss der Vorgang geeignet sein, bei dem begünstigten Gesellschafter einen sonstigen Bezug im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG auszulösen[3].

Ob das Handeln einer Kapitalgesellschaft durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst oder mitveranlasst ist, muss im gerichtlichen Verfahren in erster Linie das Finanzgericht anhand aller Umstände des konkreten Einzelfalls beurteilen[4].

Das Finanzgericht hat im Hinblick auf die von der GmbH gezahlten Gerichtskosten und die Zuführung zur Rückstellung für drohende Schadensersatzansprüche eine vGA in Form der Vermögensminderung zu Recht verneint. Denn diese Vermögensminderungen waren nicht durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst. Die GmbH leistete die Zahlung aufgrund einer eigenen rechtlichen Verpflichtung an einen fremden Dritten und folglich nicht aus im Gesellschaftsverhältnis liegenden Gründen; Entsprechendes gilt mit Blick auf das Risiko, auf Schadensersatz in Anspruch genommen zu werden[5].

Das Finanzgericht hat jedoch eine vGA unter dem Gesichtspunkt einer verhinderten Vermögensmehrung wegen fehlender Vorteilseignung (sonstiger Bezug im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG) rechtsfehlerhaft verneint, weil es die Rechtsgrundsätze des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Situation der Vermögensverlagerung durch eine Aufwandsersparnis beim Gesellschafter nicht beachtet hat.

Eine Vorteilseignung kann sich bei einer vGA in Form einer verhinderten Vermögensmehrung insbesondere daraus ergeben, dass der Gesellschafter eigenen Aufwand erspart, weil die Gesellschaft ihn trägt[6]. Eine solche Aufwandsersparnis kann sich auch aus dem Verzicht auf die Vereinbarung eines Erstattungs- beziehungsweise Ausgleichsanspruchs ergeben[7]. Dabei setzt eine verhinderte Vermögensmehrung entgegen der Ansicht der GmbH nicht zwingend eine Nutzungs- oder Ressourcenüberlassung an den Gesellschafter voraus. Sie wurde von der Rechtsprechung zum Beispiel auch bei einer Spende der Gesellschaft an eine dem Gesellschafter besonders nahestehende gemeinnützige Organisation[8] oder bei der Hinnahme von strukturellen Dauerverlusten[9] angenommen, da der Gesellschafter in diesen Fällen ein von ihm angestrebtes, in seinem persönlichen Interesse liegendes Ziel ohne einen andernfalls notwendigen eigenen Aufwand erreicht.

Eine solche Aufwandsersparnis kommt auch im Streitfall in Betracht[10]. Sollte die Muttergesellschaft die GmbH durch eine erteilte Weisung zu einem Vertragsbruch veranlasst haben, ohne dafür eine fremdübliche Gegenleistung zu erbringen, hätte sie insoweit Aufwand erspart. Ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter würde einen geschlossenen Vertrag einhalten, wenn er zu dessen Bruch nicht aufgrund äußerer Umstände (zum Beispiel gesetzliches Verbot) oder zur Verhinderung eines bei Vertragsdurchführung (ex ante) drohenden größeren Schadens gezwungen wäre. Andernfalls hätte ein Nichtgesellschafter einen solchen Geschäftsleiter allenfalls dann zu einem Vertragsbruch bewegen können, wenn er die Übernahme des damit verbundenen Schadensrisikos und einen angemessenen Gewinnausgleich verbindlich zugesagt hätte. Erreicht ein Gesellschafter dieses Ziel stattdessen aus im Gesellschaftsverhältnis liegenden Gründen ohne entsprechende Zusagen, erspart er insoweit eigenen Aufwand. Die Ausführungen des Finanzgerichtes, dass die Muttergesellschaft das Ergebnis der von der GmbH erbrachten „Leistungen“ anders als im Fall des BFH-Urteils vom 08.08.2001[11] nicht habe auf eigene Kosten herbeiführen können, tragen diesem Umstand nicht in der gebotenen Weise Rechnung; die Muttergesellschaft hätte der GmbH eine Schadensübernahme und einen Gewinnausgleich verbindlich zusagen können, um sie zum Vertragsbruch zu bewegen.

Das Streitjahr wäre auch das Jahr, in dem eine vGA in Höhe von … € zeitlich zu berücksichtigen wäre. Der Ansatz einer verhinderten Vermögensmehrung ist dem Zeitpunkt zuzuordnen, in dem der Vermögensvorteil, der zu erzielen unterlassen wurde, hätte bilanziert werden müssen[12]. Hätte die GmbH im Streitfall eine vorherige Zusage der Muttergesellschaft  zur Schadensübernahme zur Voraussetzung des Vertragsbruchs gemacht, wäre ihr Steuerbilanzgewinn im Streitjahr um … € höher gewesen. Für die von ihr in Höhe von … € geleisteten Verfahrenskosten hätte ihr ein zu aktivierender Erstattungsanspruch gegenüber der Muttergesellschaft zugestanden. Die im Streitjahr vorgenommene Rückstellungserhöhung um … € hätte nicht erfolgen dürfen, weil insoweit Rückgriffsansprüche zur Kompensation heranzuziehen wären[13].

Der Bundesfinanzhof kann wegen fehlender entsprechender Feststellungen des Finanzgerichtes nicht abschließend darüber entscheiden, ob die verhinderte Vermögensmehrung aufseiten der GmbH ihre Ursache im Gesellschaftsverhältnis gehabt hat. Das Finanzgericht hat diese Feststellungen im zweiten Rechtsgang nachzuholen.

Insbesondere wird es substantielle Feststellungen zum Inhalt des US-Embargos zu treffen haben. Denn der Vertragsbruch wäre nicht durch das Gesellschaftsverhältnis (mit-)veranlasst gewesen, wenn sich eine entsprechende Verpflichtung der GmbH bereits aus dem Embargo ergeben hätte. Entsprechende Feststellungen zum maßgeblichen ausländischen Recht zu treffen, ist Aufgabe des Finanzgerichtes als Tatsacheninstanz[14].

Ferner wird es festzustellen haben, ob die Muttergesellschaft den Vertragsbruch der GmbH durch die erteilte Weisung (mit-)veranlasst hat. Dabei wäre der Vertragsbruch dann nicht durch das Gesellschaftsverhältnis (mit-)veranlasst, wenn ein ordentlich und gewissenhaft handelnder Geschäftsleiter sich auch ohne entsprechende Weisung aufgrund der im Falle einer Vertragsfortführung gegebenenfalls drohenden wirtschaftlichen Folgen für den Vertragsbruch entschieden hätte.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 22. Mai 2024 – I R 2/21

  1. Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 17.12.2020 – 1 K 16/19, EFG 2021, 578[]
  2. z.B. BFH, Urteile vom 16.03.1967 – I 261/63, BFHE 89, 208, BStBl III 1967, 626; vom 08.10.2008 – I R 61/07, BFHE 223, 131, BStBl II 2011, 62; vom 22.12.2010 – I R 47/10, BFH/NV 2011, 1019; vom 15.02.2012 – I R 19/11, BFHE 236, 452; Beschluss vom 13.07.2021 – I R 16/18, BFHE 274, 36, BStBl II 2022, 119[]
  3. z.B. BFH, Urteile vom 07.08.2002 – I R 2/02, BFHE 200, 197, BStBl II 2004, 131; vom 22.08.2007 – I R 32/06, BFHE 218, 523, BStBl II 2007, 961; vom 04.05.2022 – I R 25/19, BFH/NV 2022, 1313; BFH, Beschluss vom 13.07.2021 – I R 16/18, BFHE 274, 36, BStBl II 2022, 119[]
  4. ständige Rechtsprechung, z.B. BFH, Beschluss vom 19.12.2007 – I R 83/06, BFH/NV 2008, 988[]
  5. dem Ergebnis zustimmend z.B. Schmitz-Herscheidt, NWB 2021, 2089[]
  6. z.B. BFH, Urteile vom 04.12.1996 – I R 54/95, BFHE 182, 123; vom 17.05.2000 – I R 79/99, BFHE 192, 97, BStBl II 2000, 480; vom 15.05.2002 – I R 92/00, BFHE 199, 217; vom 14.07.2004 – I R 57/03, BFHE 206, 431, BStBl II 2011, 285; vom 27.07.2016 – I R 12/15, BFHE 255, 39, BStBl II 2017, 217, Rz 6; vom 22.11.2023 – I R 9/20, BFH/NV 2024, 731, Rz 18; BFH, Beschluss vom 13.07.2021 – I R 16/18, BFHE 274, 36, BStBl II 2022, 119, Rz 33; ebenso Oppenländer, Verdeckte Gewinnausschüttung, 2004, S. 24[]
  7. z.B. BFH, Urteil vom 27.07.2016 – I R 12/15, BFHE 255, 39, BStBl II 2017, 217, Rz 6 sowie BFH, Beschluss vom 09.07.2003 – I B 194/02, BFH/NV 2003, 1349[]
  8. BFH, Beschlüsse vom 19.12.2007 – I R 83/06, BFH/NV 2008, 988; und vom 13.07.2021 – I R 16/18, BFHE 274, 36, BStBl II 2022, 119[]
  9. BFH, Urteile vom 15.05.2002 – I R 92/00, BFHE 199, 217; und vom 22.08.2007 – I R 32/06, BFHE 218, 523, BStBl II 2007, 961[]
  10. gleicher Ansicht Pohl, GmbH-Rundschau 2021, 612, 619; Brandis/Heuermann/Rengers, § 8 KStG Rz 281; a.A. wohl Schmitz-Herscheidt, NWB 2021, 2089; Göllner, EFG 2021, 582[]
  11. BFH, Urteils vom 08.08.2001 – I R 106/99, BFHE 196, 173, BStBl II 2003, 487[]
  12. Bott/Hamacher/Schober/Schulz in Bott/Walter, KStG, § 8 Rz 536; Lang in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, § 8 Abs. 3 KStG Teil C Rz 357; im Ergebnis ebenso BFH, Urteile vom 15.12.2004 – I R 6/04, BFHE 209, 57, BStBl II 2009, 197, unter II. 1.b und d; und vom 22.11.2023 – I R 9/20, BFH/NV 2024, 731, Rz 29[]
  13. BFH, Urteil vom 17.02.1993 – X R 60/89, BFHE 170, 397, BStBl II 1993, 437; s. ausdrücklich § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. c EStG[]
  14. BFH, Urteil vom 15.03.1995 – I R 14/94, BFHE 177, 263, BStBl II 1995, 502; BFH, Urteile vom 13.06.2013 – III R 63/11, BFHE 242, 34, BStBl II 2014, 711, Rz 26; vom 24.05.2023 – X R 28/21, BFHE 280, 494, Rz 47[]