Zustellung ausländischer Klagen in Deutschland

Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet die allgemeine Handlungsfreiheit im umfassenden Sinne[1].

Zustellung ausländischer Klagen in Deutschland

Die Zustellung ist ein staatlicher Hoheitsakt, mit dem ein ausländisches Gerichtsverfahren gefördert wird. Dem Zustellungsempfänger wird zwar weder ein bestimmtes Handeln abverlangt noch ein bestimmtes Verhalten verboten. Er muss sich allerdings auf das ausländische Verfahren einlassen, wenn er keine Rechtsnachteile erleiden will, die er durch aktive Beteiligung am Verfahren möglicherweise abwenden kann. Außerdem wird er dem Risiko einer Verurteilung ausgesetzt, die zu einer Vollstreckung in sein im Ausland belegenes Vermögen führen kann, ohne dass die deutsche öffentliche Gewalt ihn davor zu schützen vermag.

Selbst wenn man darin einen Eingriff sieht, ist dieser grundsätzlich mit Art. 2 Abs. 1 GG vereinbar[2].

Die allgemeine Handlungsfreiheit kann auf der Grundlage des HZÜ, das mit Gesetz vom 22.12 1977[3] Eingang in die deutsche Rechtsordnung gefunden hat, eingeschränkt werden. Gegen dessen Verfassungsmäßigkeit bestehen keine Bedenken, soweit es hier entscheidungserheblich ist. Das Übereinkommen soll seiner Präambel zufolge sicherstellen, dass gerichtliche und außergerichtliche Schriftstücke, die im Ausland zuzustellen sind, ihren Empfängern rechtzeitig zur Kenntnis gelangen. Außerdem soll es die gegenseitige Rechtshilfe unter den Vertragsstaaten dadurch verbessern, dass die technische Abwicklung der Zustellung vereinfacht und beschleunigt wird. Damit dient das Übereinkommen wichtigen Belangen des Gemeinwohls, die geeignet sind, einen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit zu rechtfertigen[4].

Die gesetzliche Regelung verstößt auch nicht deshalb gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, weil die Zustellung nicht schon wegen Unvereinbarkeit des Klagebegehrens mit dem innerstaatlichen ordre public, sondern nur dann verweigert werden darf, wenn der ersuchte Staat sie für geeignet hält, seine Hoheitsrechte oder seine Sicherheit zu gefährden (vgl. Art. 13 HZÜ). Diese Beschränkung der Überprüfungsbefugnis rechtfertigt sich aus dem Ziel des Übereinkommens. Würden die Grundsätze der innerstaatlichen Rechtsordnung bereits zum Maßstab für die Zustellung gemacht, so würde der internationale Rechtshilfeverkehr erheblich beeinträchtigt. Zum einen könnte die Prüfung der Klagen auf ihre Vereinbarkeit mit dem innerstaatlichen ordre public zu großen Verzögerungen bei der Zustellung führen. Zum anderen käme sie einer Erstreckung inländischer Rechtsvorstellungen auf das Ausland gleich und würde dem Ziel zuwiderlaufen, dem ausländischen Kläger die Führung eines Prozesses gegen einen inländischen Beklagten im Ausland zu ermöglichen. Eine solche Einschränkung des Rechtshilfeverkehrs ist grundsätzlich um so weniger geboten, als im Zeitpunkt der Zustellung der Ausgang des Verfahrens noch völlig offen ist. Bei der Abwägung ist darüber hinaus zu berücksichtigen, dass das Haager Zustellungsübereinkommen die Rechtsstellung von Parteien mit Sitz oder Wohnsitz in Deutschland, die in einen Zivilrechtsstreit in einem der anderen Vertragsstaaten verwickelt werden, entscheidend verbessert, indem es sicherstellt, dass diese grundsätzlich im Ausland nicht mit einem Zivilverfahren überzogen werden können, von dem sie keine Kenntnis haben[5].

Ob die Zustellung einer im Ausland anhängigen Klage selbst dann mit Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar wäre, wenn das mit der Klage angestrebte Ziel offensichtlich gegen unverzichtbare Grundsätze eines freiheitlichen Rechtsstaats verstieße, bedarf auch vorliegend keiner grundsätzlichen Klärung. Die im amerikanischen Klageverfahren gegen die Beschwerdeführerin zum Tragen kommenden Rechtsinstitute und Regelungen begründen weder für sich genommen noch in Kumulation einen solchen offensichtlichen Verstoß.

Zu diesen Rechtsinstituten hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung teilweise bereits Stellung genommen:

So hat es entschieden, dass eine auf Strafschadensersatz nach US-amerikanischem Recht (punitive or exemplary damages) gerichtete Klage nicht von vornherein gegen unverzichtbare rechtsstaatliche Grundsätze verstößt[6].

Dies gilt auch für die von deutscher Seite grundsätzlich zu respektierende rechtspolitische Entscheidung, für deliktisches Handeln mit einer Vielzahl von Geschädigten Sammelklagen (class actions) zuzulassen, an denen sich das einzelne Mitglied der „class“ nicht beteiligen muss, solange auch im class action -Verfahren unabdingbare Verteidigungsrechte gewahrt bleiben. Art. 13 Abs. 2 HZÜ verbietet es explizit, die Erledigung eines Zustellungsersuchens allein deshalb abzulehnen, weil der ersuchte Staat ein Verfahren nicht kennt, das dem entspricht, für das der Antrag gestellt wird. Diese Einschränkung des Vorbehalts auf der völkerrechtlichen Ebene ist mit dem Grundgesetz vereinbar: Im Hinblick auf das Haager Zustellungsübereinkommen hat sich die deutsche Rechtsordnung im Bereich des Zivilprozessrechts für das Recht des ersuchenden Staates geöffnet. Die deutsche öffentliche Gewalt wird für die ersuchende ausländische Behörde tätig, um das in jener Rechtsordnung anhängige innerstaatliche Verfahren über die Grenzen der nationalen Hoheitsgewalt hinaus zu fördern. Dies schließt grundsätzlich auch die Zustellung von Klagen mit ein, die in für die deutsche Rechtsordnung unbekannten Verfahrensarten erhoben worden sind[7].

Auch die Unterwerfung unter eine pre-trial discovery, ein zwischen Klageerhebung und mündlicher Verhandlung durchgeführtes Beweis- und Beweisermittlungsverfahren[8], stellt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts jedenfalls nicht ohne Weiteres einen Verstoß gegen unverzichtbare Grundsätze eines freiheitlichen Rechtsstaats dar[9]. Zwar kann ein solches Verfahren in Richtung einer „Ausforschung“ des Gegners ausgestaltet werden[10], die reine Möglichkeit verstößt aber im Verfahren der Klagezustellung nicht gegen wesentliche Grundsätze der deutschen Rechtsordnung[11]. Vor einer konkreten gegen die Beschwerdeführerin gerichteten Beweisaufnahme hätte es außerdem weiterer Rechtshilfeentscheidungen deutscher Hoheitsträger bedurft, sodass sie durch die Klagezustellung nicht zugleich schutzlos einer Ausforschung ausgeliefert worden wäre[11]. Daraus, dass die Bundesrepublik Deutschland, wie die Beschwerdeführerin vorträgt, aufgrund des nach Art. 23 HBÜ erklärten Vorbehalts und der entsprechenden Regelung in § 14 Abs. 1 des Ausführungsgesetzes zum HBÜ Rechtshilfeersuchen, die eine pre-trial discovery of documents zum Gegenstand haben, nicht erledige, was in der Praxis dazu führe, dass amerikanische Beweisaufnahmen in Deutschland nicht nach dem HBÜ, sondern – unter Verletzung der Souveränität der Bundesrepublik Deutschland – in direkter Anwendung des amerikanischen Beweiserhebungsrechts durchgeführt würden[12], ergibt sich nichts anderes. Ein Verweis auf die Möglichkeiten des ersuchenden Staates, das ausländische Klageverfahren gegebenenfalls ohne die erbetene Rechtshilfe durchzuführen, ist als Argument für die Verweigerung der Zustellung im Interesse des inländischen Beklagten nicht geeignet. Denn auch bei einer Verweigerung der Zustellung ist eine Verbesserung der Rechtsstellung des inländischen Beklagten nicht gewährleistet. Der inländische Beklagte ist nicht davor geschützt; vom amerikanischen Kläger dennoch in den Prozess hineingezogen zu werden, da das ausländische Verfahren nach Maßgabe des Art. 15 Abs. 2 HZÜ auch ohne Nachweis der Zustellung durchgeführt werden kann[13].

Die grundsätzliche Respektierungspflicht könnte ihre Grenze zwar dort erreichen, wo das Verfahren vor den ausländischen Gerichten in einer offenkundig missbräuchlichen Art und Weise genutzt wird[14]. Auch diese Frage bedarf indes vorliegend keiner Entscheidung. Ein solcher evidenter Rechtsmissbrauch ist nicht ersichtlich.

Anhaltspunkte für ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen können regelmäßig darin zu sehen sein, dass die erhobene Klageforderung jedenfalls in ihrer Höhe offensichtlich keine Grundlage hat[15], dass der Beklagte mit dem angegriffenen Verhalten offensichtlich nichts zu tun hat[16] oder dass erheblicher, auch publizistischer Druck aufgebaut wird, um den Beklagten in einen an sich ungerechtfertigten Vergleich zu zwingen[17]. Solche Anhaltspunkte bestehen hier nicht.

Es ist zunächst nicht offensichtlich, dass die Klageforderung in ihrer Höhe keine Grundlage hat. Eine konkrete Schadenshöhe wurde mit der Klageschrift (noch) nicht geltend gemacht. In einem solchen Fall kann es nicht Aufgabe der um Zustellung ersuchten deutschen Hoheitsträger sein, selbständig eine mögliche Schadenssumme zu ermitteln und diese ins Verhältnis zu dem schädigenden Ereignis oder gar der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Zustellungsempfängers zu setzen. Bei einer nicht bezifferten Schadensersatzforderung kann deshalb allein eine Evidenzkontrolle daraufhin erfolgen, ob die noch unbezifferte Klageforderung von vornherein als aus der Luft gegriffen erscheint[18]. Das ist hier nicht der Fall. Die Kläger werfen der Beschwerdeführerin vor, Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit, namentlich zu außergerichtlichen Tötungen, Folter, willkürlichen Freiheitsberaubungen sowie zu inhumaner und erniedrigender Behandlung geleistet zu haben, die das Apartheid-Regime in Südafrika begangen habe. Sie machen zum einen geltend, die Beschwerdeführerin habe in den 1970er Jahren trotz verhängter Waffenembargos fiktive Unternehmen und falsche Ausfuhrerklärungen benutzt, um eine komplette Munitionsfabrik nach Südafrika zu exportieren, die dort von 1979 bis 1985 vollautomatisiert Munition produziert habe. Zum anderen verweisen sie darauf, die Beschwerdeführerin habe 1999 den schweizerischen Konzern Oerlikon-Contraves übernommen, der in den 1970er Jahren das schweizerische Waffenembargo mit gefälschten Endverbrauchererklärungen umgangen und Flugabwehrgeschütze und Munition nach Südafrika geliefert habe. Diese Vorwürfe entbehren nicht von vornherein jeder Substanz. Insbesondere knüpfen sie eine möglicherweise bestehende Verantwortlichkeit nicht, wie die Beschwerdeführerin meint, an ein rein neutrales wirtschaftliches Verhalten.

Auch eine völkerrechtliche Verantwortlichkeit der Beschwerdeführerin als juristischer Person des Privatrechts für ein solches Verhalten erscheint nicht von vornherein ausgeschlossen. Ob und in welchem Umfang multi- oder transnational agierende Unternehmen beschränkte Völkerrechtssubjektivität besitzen oder besitzen können, ist völkerrechtlich nicht abschließend geklärt[19]. Jedenfalls gibt es nach einer im Schrifttum vertretenen Auffassung einen Kern menschenrechtlicher Grundpflichten, namentlich das Verbot von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Genozid, Kriegsverbrechen oder Folter, die auch die einzelne natürliche Person oder juristische Person des Privatrechts treffen und bei Verstößen sogar völkerrechtliche Sanktionen nach sich ziehen können[20]. Gerade auf Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch die Beschwerdeführerin als transnational agierendes Unternehmen berufen sich die Kläger. Dass ein solcher Verstoß auch eine zivilrechtliche Haftung auslösen kann, scheidet jedenfalls nicht von vornherein so eindeutig aus, dass bereits der Versuch, sie gerichtlich geltend zu machen, als Anhaltspunkt für einen offensichtlichen Rechtsmissbrauch ausreichte.

Damit ist nichts darüber ausgesagt, ob die Vorwürfe einer in die Einzelheiten gehenden tatsächlichen und rechtlichen Prüfung standhalten; eine solche Prüfung kann von den deutschen Organen im Zustellungsverfahren verfassungsrechtlich aber nicht verlangt werden. Vielmehr dient erst die Zustellung dazu, eine entsprechende Überprüfung durch die US-amerikanischen Gerichte zu ermöglichen[16]. Ob die konkrete Prüfung durch die ausländischen Gerichte den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt, ist eine Frage des Anerkennungsverfahrens. Zwar kann durch die Ablehnung der Urteilsanerkennung nach § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nur die Vollstreckung in inländisches Vermögen verhindert werden; die Vollstreckung in ausländisches Vermögen ist aber ein Vorgang, vor dem die deutsche Rechtsordnung von vornherein weder völkerrechtlich schützen kann noch verfassungsrechtlich schützen muss[21].

Schließlich ist auch nichts über eine die Klageerhebung sowie den weiteren Fortgang des Verfahrens begleitende und von Klägerseite in Gang gebrachte Kampagne in den Medien bekannt, die dazu hätte dienen sollen, die Beschwerdeführerin gefügig zu machen und in unredlicher Weise zum Abschluss eines Vergleichs zu drängen. Die Beschwerdeführerin befürchtete zwar offenbar einen Reputationsverlust, hat aber publizistischen Druck oder ein vergleichbares Verhalten seitens der Kläger nicht vorgetragen[22].

Ferner könnte sich die Frage stellen, ob ein durch die Zustellung bewirkter Verstoß gegen das Völkerrecht geeignet ist, deutsche Hoheitsträger nach dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes zu verpflichten, gemäß dem Vorbehalt des Art. 13 Abs. 1 HZÜ die – völkerrechtswidrige – Zustellung abzulehnen. Wegen der Bindung der öffentlichen Gewalt an Gesetz und Recht gemäß Art.20 Abs. 3 GG ist jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen, dass die Missachtung des Völkerrechts zur Verfassungswidrigkeit einer Zustellung nach dem HZÜ führen kann, obgleich das Völkerrecht selbst weder in der Form des Völkergewohnheitsrechts über Art. 25 GG noch in der Form völkerrechtlicher Verträge über Art. 59 Abs. 2 GG Verfassungsrang genießt[23]. Auch diese Frage braucht vorliegend allerdings nicht geklärt zu werden.

Dass bereits durch die Zustellung der Klage ein Völkerrechtsverstoß bewirkt wird, ist nicht ersichtlich. Dabei kommt es auf Bestehen und Reichweite einer allgemeinen Regel des Völkerrechts, nach der ein Staat – jedenfalls im Bereich des Zivilrechts – ausländische Tatbestände seiner Jurisdiktion nur unterwerfen darf, soweit ein „sinnvoller Anknüpfungspunkt“[24], ein genuine link, besteht, nicht an. Denn selbst wenn eine solche Regel bestünde und es im Fall der Beschwerdeführerin – trotz ihrer in den Vereinigten Staaten unterhaltenen Niederlassungen – an einem solchen Anknüpfungspunkt fehlen sollte, hat die Beschwerdeführerin weder vorgetragen, noch ist erkennbar, dass bereits mit der Zustellung von Klage und Vorladung Jurisdiktionsgewalt der Vereinigten Staaten von Amerika über den ausländischen Beklagten in Anspruch genommen wird. Die Zustellung wirkt nicht zuständigkeitsbegründend, sondern ist für die – die internationale Zuständigkeit umfassende – personal jurisdiction allenfalls notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung[25]. Dies zeigt sich vorliegend auch daran, dass sich das Bezirksgericht mit Zwischenurteil vom 08.04.2009 eine Entscheidung über die personal jurisdiction ausdrücklich vorbehalten und seine internationale Zuständigkeit schließlich im Beschluss vom 26.12 2013 mangels hinreichenden Inlandsbezugs des Sachverhalts verneint hat.

Die im Wege der Rechtshilfe vorgenommene Zustellung bewirkt lediglich, dass der Zustellungsempfänger Partei des US-amerikanischen Klageverfahrens wird. Dies ist der Beschwerdeführerin zumutbar[26]. Die Verweigerung der Rechtshilfe nach Art. 13 Abs. 1 HZÜ wäre kein milderes, gleich geeignetes Mittel zu ihrem Schutz. Zwar könnte sie die Einbeziehung der Beschwerdeführerin in den US-amerikanischen Prozess verzögern, da die Kläger in diesem Fall auf alternative, nicht die Rechtshilfe der Bundesrepublik Deutschland erfordernde Zustellungsarten verwiesen würden, verhindern könnte sie sie aber nicht[13]. Zudem erfolgte die Verzögerung auf Kosten der Information und damit der Verteidigungsmöglichkeiten der Beschwerdeführerin, der der Inhalt der Klageschrift etwa bei einer öffentlichen Zustellung voraussichtlich vorenthalten bliebe. Schließlich ist die Einbeziehung in den US-amerikanischen Prozess mittels deutscher Rechtshilfe der Beschwerdeführerin auch deshalb zuzumuten, weil ihr das amerikanische Prozessrecht Verteidigungsmöglichkeiten einräumt, ihr insbesondere ermöglicht, die fehlende internationale Zuständigkeit zu rügen[27] und auf eine Abweisung der Klage hinzuwirken[13].

Im Hinblick auf die Vorlagepflicht nach Art. 100 Abs. 2 GG hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden, dass das grundrechtsgleiche Recht auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG durch eine unterbliebene Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 2 GG verletzt werden kann[28]. Auch die Voraussetzungen, unter denen eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 2 GG geboten ist, sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt. Danach ist die Vorlage geboten, wenn objektive Zweifel an der Bedeutung oder der Tragweite einer allgemeinen Regel des Völkerrechts bestehen, die völkerrechtliche Zweifelsfrage für den Ausgangsrechtsstreit entscheidungserheblich ist[29] und die angegriffene Entscheidung auf der unterbliebenen Vorlage beruht[30].

Zu einer weitergehenden, im verfassungsrechtlichen Sinne grundlegenden Klärung gibt das vorliegende Verfahren nach Einschätzung des Bundesverfassungsgerichts keinen Anlass. Ob das Oberlandesgericht, wie die Beschwerdeführerin meint, dem Bundesverfassungsgericht im konkreten Fall die Frage hätte vorlegen müssen, ob allgemeine Regeln des Völkerrechts bestehen, nach denen erstens die Inanspruchnahme jedenfalls zivilrechtlicher Jurisdiktionsgewalt wegen Verstößen gegen das Völkerrecht einen „genuine link“ zum Forumstaat voraussetzt und zweitens die Verantwortlichkeit juristischer Personen des Privatrechts für Völkerrechtsverstöße ausgeschlossen ist, ist keine Frage von grundsätzlicher Bedeutung. Vielmehr hängt die Vorlagepflicht von der Entscheidungserheblichkeit der völkerrechtlichen Zweifelsfragen im Einzelfall ab, die hier im Übrigen zu verneinen war.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 3. November 2015 – 2 BvR 2019 – /09

  1. vgl. BVerfGE 80, 137, 152 m.w.N.[]
  2. vgl. BVerfGE 91, 335, 339[]
  3. BGBl II 1977 S. 1452[]
  4. vgl. BVerfGE 91, 335, 339 f.; BVerfGK 10, 203, 205; 11, 312, 316; 14, 202, 207[]
  5. vgl. BVerfGE 91, 335, 340[]
  6. vgl. BVerfGE 91, 335, 343 f.; BVerfGK 10, 203, 206; 11, 312, 317; BVerfG, Beschluss vom 09.01.2013 – 2 BvR 2805/12 14[]
  7. vgl. BVerfGE 108, 238, 248; BVerfGK 11, 312, 320[]
  8. vgl. auch BGHZ 118, 312, 323[]
  9. vgl. BVerfGK 10, 203, 207[]
  10. vgl. Hay, US-amerikanisches Recht, 5. Auflage 2011, S. 70[]
  11. vgl. BVerfGK 10, 203, 207; 11, 312, 319[][]
  12. vgl. von Danwitz, DÖV 2004, S. 501, 509; von Hein, RIW 2007, S. 249, 253 f.[]
  13. vgl. BVerfGE 91, 335, 345[][][]
  14. vgl. BVerfGE 108, 238, 248; BVerfGK 10, 203, 206; 11, 312, 320 f.; 14, 202, 208; BVerfG, Beschluss vom 09.01.2013 – 2 BvR 2805/12 13[]
  15. vgl. BVerfGE 108, 238, 248[]
  16. vgl. BVerfGK 11, 312, 321[][]
  17. vgl. BVerfGE 108, 238, 248; BVerfGK 11, 312, 321[]
  18. vgl. BVerfGK 11, 312, 321; 14, 202, 208[]
  19. Meinungsstand bei Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Band I/2, 2. Auflage 2002, S. 243 ff.; 257, die sich entgegen der bisher herrschenden Lehre dafür aussprechen, trans- oder multinationale Unternehmen – ähnlich wie andere beschränkte, nicht territoriale, traditionell als Völkerrechtssubjekte anerkannte Wirkungseinheiten wie etwa den Heiligen Stuhl – als mit einer funktional beschränkten Völkerrechtssubjektivität ausgestattet anzuerkennen[]
  20. vgl. Muchlinsky, in: Max Planck Encyclopedia of Public International Law, Corporations in International Law, Rn. 47; Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, 10. Auflage 2014, § 4 Rn. 74[]
  21. vgl. BVerfGK 11, 312, 322[]
  22. vgl. BVerfGK 14, 202, 208[]
  23. vgl. BVerfGK 9, 203, 206 f.[]
  24. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Band I/1, 2. Auflage 1989, S. 324[]
  25. vgl. Juenger/Reimann, NJW 1994, S. 3274, 3274; Koch/Diedrich, ZIP 1994, S. 1830, 1832[]
  26. vgl. BVerfGE 91, 335, 344 f.[]
  27. vgl. Hay, US-amerikanisches Recht, 5. Auflage 2011, S. 51[]
  28. vgl. etwa BVerfGE 64, 1, 12 f.; 96, 68, 77; BVerfGK 14, 524, 529[]
  29. vgl. BVerfGE 4, 319, 321; 15, 25, 30; 23, 288, 319; 96, 68, 77; BVerfGK 14, 524, 529[]
  30. vgl. nur BVerfGE 109, 13, 22[]