In Deutschland ansässige Unternehmen dürfen Verluste aus einer im EU-Ausland belegenen Niederlassung nicht steuermindernd mit im Inland erzielten Gewinnen verrechnen, wenn nach dem einschlägigen Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung für die ausländischen Einkünfte kein deutsches Besteuerungsrecht besteht. Das gilt nach Ansicht des Bundesfinanzhofs auch dann, wenn die Verluste im Ausland steuerrechtlich unter keinen Umständen verwertbar und damit endgültig sind (sog. „finale Verluste“). Dieser Ausschluss des Abzugs finaler ausländischer Betriebsstättenverluste verstößt auch nicht gegen das Recht der Europäischen Union.

Der auf einem DBA (hier: DBA-Großbritannien 1964/1970) beruhende Ausschluss der Berücksichtigung von Verlusten einer in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebsstätte (sog. Symmetriethese) verstößt auch im Hinblick auf endgültige („finale“) Verluste nicht gegen die unionsrechtliche Niederlassungsfreiheit (Anschluss an EuGH-Urteil W vom 22.09.2022 – C-538/20, EU:C:2022:717, DStR 2022, 1993; Bestätigung des Senatsurteils vom 22.02.2017 – I R 2/15, BFHE 257, 120, BStBl II 2017, 709).
In dem aktuell vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall hatte eine in Deutschland ansässige Bank im Jahr 2004 in Großbritannien eine Zweigniederlassung eröffnet. Nachdem die Zweigniederlassung jedoch durchgehend nur Verluste erwirtschaftet hatte, wurde sie im Jahr 2007 wieder geschlossen. Da die Filiale niemals Gewinne erzielt hatte, konnte die Bank die in Großbritannien erlittenen Verluste dort steuerlich nicht nutzen.
Ursprünglich gingen sowohl der Unionsgerichtshof als auch der Bundesfinanzhof davon aus, dass aus Gründen der unionsrechtlichen Niederlassungsfreiheit ein Verlustabzug möglich ist, wenn und soweit der Steuerpflichtige nachweist, dass die Verluste im ausländischen Betriebsstättenstaat „final“ sind. Auf dieser Grundlage hatte das erstinstanzlich mit dem vorliegenden Fall befasste Hessische Finanzgericht noch der Bank Recht gegeben und den Verlustabzug zugelassen[1].
Das EuGH-Urteil „Timac Agro Deutschland“ vom 17.12.2015[2] war dagegen vom Bundesfinanzhof in einer anderen Sache[3] als Aufgabe dieser Rechtsprechung verstanden worden. Nachdem jedoch aufgrund weiterer Entscheidungen des Unionsgerichtshofs daran Zweifel aufgekommen waren, hatte der Bundesfinanzhof den Unionsgerichtshof erneut zur Klärung angerufen. Dieser hat daraufhin mit seinem Urteil „W“[4] sein Urteil „Timac Agro Deutschland“ -und damit im Ergebnis die Aufgabe der früheren Rechtsprechung- bestätigt.
In Umsetzung dieser Entscheidung des Unionsgerichtshofs befand der Bundesfinanzhof nunmehr, dass die Verluste auch in Deutschland nicht nutzbar sind. Denn nach dem einschlägigen Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung unterliegen Betriebsstätteneinkünfte aus Großbritannien nicht der deutschen Besteuerung. Entscheidend ist dabei die sog. Symmetriethese, nach der die abkommensrechtliche Steuerfreistellung ausländischer Einkünfte sowohl positive als auch negative Einkünfte, also Verluste, umfasst. Vergleichbare Regelungen enthalten eine Vielzahl der von Deutschland abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen. Wie der Bundesfinanzhof auf der Grundlage der Entscheidung des Unionsgerichtshofs weiter entschied, verstößt dieser Ausschluss des Verlustabzugs auch im Hinblick auf sog. finale Verluste nicht gegen das Unionsrecht.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 22. Februar 2023 – I R 35/22