CETA, das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada, bleibt vorläufig anwendbar. Das Bundesverfassungsgericht hat mehrere Verfassungsbeschwerden und einen Antrag im Organstreitverfahren zur vorläufigen Anwendung des des „Comprehensive Economic and Trade Agreement“ (CETA) als unbegründet zurückgewiesen. Soweit sich die Verfassungsbeschwerden und die Organklage darüber hinaus gegen die Unterzeichnung und den Abschluss von CETA wandten, hat der Senat sie als unzulässig verworfen.

Die Verfassungsbeschwerden und der Antrag im Organstreitverfahren werden verworfen, soweit sie sich gegen die Mitwirkung des deutschen Vertreters am Beschluss des Rates der Europäischen Union über die Unterzeichnung – im Namen der Europäischen Union – des umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommens (CETA) zwischen Kanada einerseits und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits (Beschluss <EU> 2017/37 des Rates vom 28. Oktober 2016, ABl EU Nr. L 11 vom 14. Januar 2017, S. 1 f.) sowie gegen den noch ausstehenden Beschluss des Rates der Europäischen Union über den Abschluss des umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommens zwischen Kanada einerseits und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits (COM<2016> 443 final vom 5. Juli 2016) richten.
Im Übrigen werden die Verfassungsbeschwerden und der Antrag im Organstreitverfahren zurückgewiesen.
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Das „Comprehensive Exonomic and Trade Agreement“
Die Entstehung von CETA
Die Europäische Union und Kanada beschlossen auf ihrem Gipfeltreffen in Berlin im Jahr 2007, ein Gutachten über die Kosten und Vorteile einer engeren ökonomischen Partnerschaft einzuholen. Das Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass eine Beseitigung der Handelsschranken mit einer erheblichen Ausweitung der wirtschaftlichen Aktivität der Europäischen Union, aber vor allem Kanadas einherginge.
3
Am 10. Juni 2009 nahmen die Europäische Union und Kanada Verhandlungen über ein Wirtschafts- und Handelsabkommen auf (vgl. Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 10. Juni 2009, IP/09/896). Am 1. August 2014 wurden die Verhandlungen abgeschlossen und das Abkommen paraphiert. Auf dem Gipfeltreffen zwischen der Europäischen Union und Kanada im September 2014 wurde das Ende der Verhandlungen bekannt gegeben (vgl. COM<2016> 444 final vom 5. Juli 2016, S. 2). Nach Veröffentlichung des bereits ausgehandelten Textes im August 2014 vereinbarten die Europäische Kommission und die kanadische Regierung später, im Rahmen von CETA einen neuen Ansatz für den Investitionsschutz und die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten zugrunde zu legen. Am 29. Februar 2016 verkündete die Europäische Kommission, dass sich die Europäische Union und Kanada auf einen solchen neuen Ansatz bei Investitionen geeinigt hätten und von dem zunächst ausgehandelten System der Ad-hoc-Schiedsgerichte zugunsten eines ständigen, institutionalisierten Gerichts abgewichen werde. Die Mitglieder des Gerichts würden künftig nicht mehr von den Streitparteien, also dem Investor und dem beteiligten Staat, sondern von den Vertragsparteien des Abkommens im Voraus ernannt. Ethische Verpflichtungen zur Vermeidung von Interessenkonflikten würden detailliert geregelt und ein Berufungssystem eingeführt, das den in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen bestehenden Rechtsschutzsystemen vergleichbar sei (vgl. Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 29. Februar 2016, IP/16/399).
4
Ausweislich der Erwägungsgründe soll CETA der weiteren Stärkung der engen Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Vertragsparteien (erster Erwägungsgrund) und der Schaffung eines erweiterten und sicheren Marktes für Waren und Dienstleistungen der Vertragsparteien durch den Abbau oder die Beseitigung von Handels- und Investitionshemmnissen (zweiter Erwägungsgrund) dienen. Gleichzeitig bekräftigen die Vertragsparteien ihr Recht, in ihren Hoheitsgebieten unter Wahrung ihrer Flexibilität berechtigte Gemeinwohlziele wie öffentliche Gesundheit, Sicherheit, Umweltschutz, öffentliche Sittlichkeit, Förderung und Schutz der kulturellen Vielfalt zu verfolgen sowie regelnd tätig zu werden (sechster und achter Erwägungsgrund).
Die Regelungsinhalte von CETA
CETA – ein Freihandelsabkommen „neuer Generation“ – besteht in seinem Hauptteil aus 30 Kapiteln, die teilweise in Abschnitte gegliedert sind. Der im Hauptteil enthaltene Art. 30.1 erklärt sämtliche Protokolle, Anhänge, Erklärungen, Gemeinsame Erklärungen, Vereinbarungen und Fußnoten des Abkommens zu Bestandteilen desselben (vgl. ABl EU Nr. L 11 vom 14. Januar 2017, S. 23 ff.).
6
xx Kapitel 1 enthält allgemeine Begriffsbestimmungen und einleitende Bestimmungen.
7
xx Art. 1.1 CETA definiert:
Sofern nichts anderes bestimmt ist, bezeichnet für die Zwecke dieses Abkommens der Ausdruck
(…)
Vertragsparteien die Europäische Union oder ihre Mitgliedstaaten oder die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer sich aus dem Vertrag über die Europäische Union und dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union ergebenden Zuständigkeiten (im Folgenden „EU-Vertragspartei“) einerseits und Kanada andererseits,
(…)
Kapitel 2 enthält das Gebot der Inländerbehandlung und Regeln über den Marktzugang für Waren. Kapitel 3 befasst sich mit handelspolitischen Schutzmaßnahmen, Kapitel 4 mit technischen Handelshemmnissen, Kapitel 5 mit gesundheitspolizeilichen und pflanzenschutzrechtlichen Maßnahmen, Kapitel 6 mit Zoll- und Handelserleichterungen und Kapitel 7 mit Subventionen.
9
Kapitel 8 betrifft Investitionen. Es sieht unter anderem vor:
ABSCHNITT A – Begriffsbestimmungen und Geltungsbereich
ARTIKEL 8.1 – Begriffsbestimmungen
Für die Zwecke dieses Kapitels bezeichnet der Ausdruck
(…)
Investition Vermögenswerte jeder Art, die direkt oder indirekt im Eigentum oder unter der Kontrolle eines Investors stehen und die Merkmale einer Investition aufweisen; hierzu gehören eine gewisse Dauer und andere Merkmale wie die Bindung von Kapital oder anderen Ressourcen, die Erwartung von Wertzuwachs oder Gewinn oder die Übernahme von Risiken. Zu den Formen, die eine Investition annehmen kann, zählen:
- ein Unternehmen,
- Anteile, Aktien und sonstige Formen der Kapitalbeteiligung an einem Unternehmen,
- besicherte und unbesicherte Schuldverschreibungen sowie sonstige Schuldtitel eines Unternehmens,
- ein Darlehen an ein Unternehmen,
- jede andere Art der Beteiligung an einem Unternehmen,
- ein Interesse, das sich ergibt aus
- einer nach dem Recht einer Vertragspartei oder im Rahmen eines Vertrags erteilten Konzession, beispielsweise für die Aufsuchung, Bewirtschaftung, Gewinnung oder Nutzung natürlicher Ressourcen,
- Verträgen über schlüsselfertige Erstellungen, Bau-, Produktions- oder Einnahmeaufteilungsverträgen oder
- sonstigen ähnlichen Verträgen,
(…)
ARTIKEL 8.2 – Geltungsbereich
(…)
(4) Klagen können im Rahmen dieses Kapitels von einem Investor nur im Einklang mit Artikel 8.18 und gemäß den Verfahren des Abschnitts F eingereicht werden. Klagen, die sich auf Verpflichtungen nach Abschnitt B beziehen, sind vom Geltungsbereich des Abschnitts F ausgenommen. Klagen im Rahmen des Abschnitts C in Bezug auf die Niederlassung oder den Erwerb einer erfassten Investition sind vom Geltungsbereich des Abschnitts F ausgenommen. Abschnitt D gilt nur für erfasste Investitionen und für Investoren in Bezug auf ihre erfassten Investitionen.
(…)
ABSCHNITT C – Diskriminierungsfreie Behandlung
ARTIKEL 8.6 – Inländerbehandlung
(1) Jede Vertragspartei gewährt einem Investor der anderen Vertragspartei und einer erfassten Investition eine Behandlung, die nicht weniger günstig ist als die Behandlung, die sie ihren eigenen Investoren und deren Investitionen in gleichen Situationen in Bezug auf die Niederlassung, den Erwerb, die Ausweitung, die Leitung, den Betrieb, die Verwaltung, die Aufrechterhaltung, die Verwendung, die Nutzung und den Verkauf ihrer Investitionen oder die Verfügung darüber in ihrem Gebiet gewährt.
(…)
ARTIKEL 8.7 – Meistbegünstigung
(1) Jede Vertragspartei gewährt einem Investor der anderen Vertragspartei und einer erfassten Investition eine Behandlung, die nicht weniger günstig ist als die Behandlung, die sie Investoren eines Drittlands und deren Investitionen in gleichen Situationen in Bezug auf die Niederlassung, den Erwerb, die Ausweitung, die Leitung, den Betrieb, die Verwaltung, die Aufrechterhaltung, die Verwendung, die Nutzung und den Verkauf ihrer Investitionen oder die Verfügung darüber in ihrem Gebiet gewährt.
(…)
ABSCHNITT D – Investitionsschutz
ARTIKEL 8.9 – Investitionen und Regulierungsmaßnahmen
(1) Für die Zwecke dieses Kapitels bekräftigen die Vertragsparteien ihr Recht, zur Erreichung legitimer politischer Ziele wie des Schutzes der öffentlichen Gesundheit, Sicherheit, des Schutzes der Umwelt oder der öffentlichen Sittlichkeit, des Sozial- oder Verbraucherschutzes oder der Förderung und des Schutzes der kulturellen Vielfalt in ihrem jeweiligen Gebiet Regelungen zu erlassen.
(…)
ARTIKEL 8.10 – Behandlung von Investoren und erfassten Investitionen
(1) Nach Maßgabe der Absätze 2 bis 7 gewährt jede Vertragspartei in ihrem Gebiet den erfassten Investitionen der anderen Vertragspartei sowie Investoren in Bezug auf ihre erfassten Investitionen eine gerechte und billige Behandlung sowie vollen Schutz und volle Sicherheit.
(2) Eine Vertragspartei verstößt gegen die Verpflichtung zu der in Absatz 1 genannten gerechten und billigen Behandlung, wenn eine Maßnahme oder Reihe von Maßnahmen Folgendes darstellt:
- eine Rechtsverweigerung in straf-, zivil- oder verwaltungsrechtlichen Verfahren,
- eine grundlegende Verletzung rechtsstaatlichen Verfahrens, einschließlich einer grundlegenden Verletzung der Pflicht zur Transparenz, in Gerichts- und Verwaltungsverfahren,
- offenkundige Willkür,
- gezielte Diskriminierung aus offenkundig ungerechtfertigten Gründen wie Geschlecht, Rasse oder religiöser Überzeugung,
- missbräuchliche Behandlung von Investoren wie Nötigung, Zwang und Schikane oder
- einen Verstoß gegen etwaige weitere von den Vertragsparteien nach Absatz 3 festgelegte Bestandteile der Verpflichtung zur gerechten und billigen Behandlung.
(…)
ABSCHNITT E – Vorbehalte und Ausnahmen
(…)
ABSCHNITT F – Beilegung von Investitionsstreitigkeiten zwischen Investoren und Staaten
ARTIKEL 8.18 – Geltungsbereich
(1) Unbeschadet der Rechte und Pflichten der Vertragsparteien aus Kapitel neunundzwanzig (Streitbeilegung) kann ein Investor einer Vertragspartei bei dem nach diesem Abschnitt eingesetzten Gericht Klage gegen die andere Vertragspartei einreichen wegen Verletzung einer Pflicht
- nach Abschnitt C: in Bezug auf die Ausweitung, die Leitung, den Betrieb, die Verwaltung, die Aufrechterhaltung, die Verwendung, die Nutzung und den Verkauf seiner erfassten Investition oder die Verfügung darüber oder
- nach Abschnitt D,
wenn der Investor geltend macht, infolge des vorgeblichen Verstoßes einen Verlust oder Schaden erlitten zu haben.(2) Klagen nach Absatz 1 Buchstabe a in Bezug auf die Ausweitung einer erfassten Investition können nur insoweit eingereicht werden, als die in Rede stehende Maßnahme den bestehenden Geschäftsbetrieb einer erfassten Investition betrifft und der Investor infolge der Maßnahme einen Verlust oder Schaden hinsichtlich der erfassten Investition erlitten hat.
(…)ARTIKEL 8.23 – Einreichung einer Klage beim Gericht
(1) Wurde eine Streitigkeit nicht im Wege von Konsultationen beigelegt, kann nach diesem Abschnitt Klage eingereicht werden von
- einem Investor einer Vertragspartei in eigenem Namen oder
einem Investor einer Vertragspartei im Namen eines gebietsansässigen Unternehmens, das direkt oder indirekt in seinem Eigentum oder unter seiner Kontrolle steht.(2) Eine Klage kann eingereicht werden auf der Grundlage folgender Regeln:
- des ICSID-Übereinkommens und der ICSID-Schiedsordnung,
- der ICSID-Regeln über die Zusatzeinrichtung, sofern die Voraussetzungen für Verfahren nach Buchstabe a nicht erfüllt sind,
- der UNCITRAL-Schiedsgerichtsordnung oder
- etwaiger sonstiger von den Streitparteien einvernehmlich festgelegter Regeln.
(3) Schlägt der Investor Regeln nach Absatz 2 Buchstabe d vor, übermittelt der Beklagte seine Antwort auf den Vorschlag des Investors innerhalb von 20 Tagen nach dessen Erhalt. Erzielen die Streitparteien nicht innerhalb von 30 Tagen nach Eingang der entsprechenden Mitteilung eine Einigung, kann der Investor eine Klage nach den in Absatz 2 Buchstaben a, b oder c vorgesehenen Regeln einreichen.
(4) Zur Klarstellung: Eine Klage nach Absatz 1 Buchstabe b genügt den Anforderungen des Artikels 25 Absatz 1 des ICSID-Übereinkommens.
(5) Der Investor kann bei Einreichung seiner Klage vorschlagen, dass nur ein einziges Mitglied des Gerichts mit dem Fall befasst wird. Der Beklagte prüft einen solchen Vorschlag wohlwollend, insbesondere wenn es sich bei dem Investor um ein kleines oder mittleres Unternehmen handelt oder wenn die geltend gemachten Entschädigungs- oder Schadensersatzansprüche vergleichsweise gering sind.
(…)
ARTIKEL 8.27 – Einsetzung des Gerichts
(1) Das nach diesem Abschnitt eingesetzte Gericht entscheidet im Falle von Klagen, die nach Artikel 8.23 eingereicht werden.
(2) Bei Inkrafttreten dieses Abkommens ernennt der Gemischte CETA-Ausschuss fünfzehn Mitglieder des Gerichts. Fünf Mitglieder des Gerichts müssen Staatsangehörige eines Mitgliedstaats der Europäischen Union sein, fünf Mitglieder Staatsangehörige Kanadas (Fn.: Jede Vertragspartei kann stattdessen vorschlagen, bis zu fünf Mitglieder des Gerichts beliebiger Staatsangehörigkeit zu ernennen. In diesem Fall werden die betreffenden Mitglieder des Gerichts als Staatsangehörige der Vertragspartei betrachtet, die ihre Ernennung für die Zwecke dieses Artikels vorgeschlagen hat.) und fünf Mitglieder Staatsangehörige von Drittländern.
(…)
(6) Zur Verhandlung der Fälle werden innerhalb des Gerichts Kammern gebildet, denen jeweils drei Mitglieder des Gerichts angehören, und zwar ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats der Europäischen Union, ein Staatsangehöriger Kanadas und ein Staatsangehöriger eines Drittlands. Den Vorsitz einer Kammer führt dasjenige Mitglied des Gerichts, das Staatsangehöriger eines Drittlands ist.
(…)
ARTIKEL 8.28 – Rechtsbehelfsinstanz
(1) Es wird eine Rechtsbehelfsinstanz eingesetzt, der die Überprüfung von nach diesem Abschnitt ergangenen Urteilssprüchen obliegt.
(2) Die Rechtsbehelfsinstanz kann einen Urteilsspruch des Gerichts bestätigen oder ihn abändern oder aufheben
- aufgrund von Fehlern bei der Anwendung oder Auslegung des anwendbaren Rechts,
- aufgrund von offenkundigen Fehlern bei der Würdigung des Sachverhalts, unter anderem bei der Beurteilung relevanter Vorschriften des innerstaatlichen Rechts,
- aus den in Artikel 52 Absatz 1 Buchstaben a bis e des ICSID-Übereinkommens genannten Gründen, soweit diese nicht von den Buchstaben a und b erfasst sind.
(…)
ARTIKEL 8.31 – Anwendbares Recht und Auslegung
(1) Das nach diesem Abschnitt eingesetzte Gericht wendet bei seinen Entscheidungen dieses Abkommen so an, wie es nach dem Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge und anderen zwischen den Vertragsparteien geltenden völkerrechtlichen Regeln und Grundsätzen auszulegen ist.
(2) Es fällt nicht in die Zuständigkeit des Gerichts, die Rechtmäßigkeit einer Maßnahme, die vorgeblich einen Verstoß gegen dieses Abkommen darstellt, nach dem innerstaatlichen Recht einer Vertragspartei zu beurteilen. Zur Klarstellung: Bei seiner Beurteilung, ob eine Maßnahme im Einklang mit diesem Abkommen steht, kann das Gericht das innerstaatliche Recht einer Vertragspartei, soweit angezeigt, als Tatsache heranziehen. Dabei folgt das Gericht der herrschenden Auslegung des innerstaatlichen Rechts durch die Gerichte und Behörden der betreffenden Vertragspartei, wobei eine etwaige vom Gericht vorgenommene Auslegung innerstaatlichen Rechts für die Gerichte und Behörden dieser Vertragspartei nicht bindend ist.
(3) Bei ernsthaften Bedenken in Bezug auf Auslegungsfragen, die sich auf Investitionen auswirken können, kann der Ausschuss für Dienstleistungen und Investitionen dem Gemischten CETA-Ausschuss nach Artikel 8.44 Absatz 3 Buchstabe a die Annahme von Auslegungen dieses Abkommens empfehlen. Eine vom Gemischten CETA-Ausschuss angenommene Auslegung ist für das nach diesem Abschnitt eingesetzte Gericht bindend. Der Gemischte CETA-Ausschuss kann beschließen, dass eine Auslegung ab einem bestimmten Zeitpunkt bindende Wirkung hat.(…)
Kapitel 9 enthält Regelungen zum grenzüberschreitenden Dienstleistungshandel, Kapitel 10 zur vorübergehenden Einreise und zum vorübergehenden Aufenthalt von Geschäftszwecke verfolgenden natürlichen Personen, Kapitel 11 zur gegenseitigen Anerkennung von Berufsqualifikationen, Kapitel 12 zur innerstaatlichen Regulierung, Kapitel 13 zu Finanzdienstleistungen. Kapitel 14 regelt die Dienstleistungen im internationalen Seeverkehr, Kapitel 15 die Telekommunikation, Kapitel 16 den elektronischen Geschäftsverkehr und Kapitel 17 die Wettbewerbspolitik. Kapitel 18 enthält Regelungen zu Staatsunternehmen, Monopolinhabern und Unternehmen mit besonderen Rechten oder Vorrechten, Kapitel 19 zum öffentlichen Beschaffungswesen und Kapitel 20 zum geistigen Eigentum. Kapitel 21 regelt die Regulierungszusammenarbeit, Kapitel 22 betrifft den Handel und die nachhaltige Entwicklung, Kapitel 23 den Handel und die Arbeit, Kapitel 24 den Handel und die Umwelt und Kapitel 25 den bilateralen Dialog und die Zusammenarbeit.
Kapitel 26 enthält Verwaltungs- und institutionelle Bestimmungen:
ARTIKEL 26.1 – Gemischter CETA-Ausschuss
(1) Die Vertragsparteien setzen den Gemischten CETA-Ausschuss ein, der sich aus Vertretern der Europäischen Union und Vertretern Kanadas zusammensetzt. Der Vorsitz im Gemischten CETA-Ausschuss wird gemeinsam vom kanadischen Minister for International Trade und von dem für Handel zuständigen Mitglied der Europäischen Kommission oder ihren jeweiligen Vertretern geführt.
(2) Der Gemischte CETA-Ausschuss tritt einmal jährlich oder auf Ersuchen einer Vertragspartei zusammen. Der Gemischte CETA-Ausschuss legt seinen Sitzungskalender und die Tagesordnungen der Sitzungen fest.
(3) Der Gemischte CETA-Ausschuss ist für alle Fragen zuständig, welche die Handels- und Investitionstätigkeit zwischen den Vertragsparteien und die Umsetzung und Anwendung dieses Abkommens betreffen. Die Vertragsparteien können den Gemischten CETA-Ausschuss mit allen Fragen der Durchführung und Auslegung dieses Abkommens und allen sonstigen Fragen befassen, welche die Handels- und Investitionstätigkeit zwischen den Vertragsparteien betreffen.
(4) Der Gemischte CETA-Ausschuss
- überwacht und unterstützt die Umsetzung und Anwendung dieses Abkommens und die Verwirklichung seiner allgemeinen Ziele,
- überwacht die Arbeit aller Sonderausschüsse und anderen im Rahmen dieses Abkommens eingesetzten Gremien,
- sucht – unbeschadet der Kapitel acht (Investitionen), zweiundzwanzig (Handel und nachhaltige Entwicklung), dreiundzwanzig (Handel und Arbeit), vierundzwanzig (Handel und Umwelt) und neunundzwanzig (Streitbeilegung) – nach geeigneten Wegen und Methoden, um Probleme zu vermeiden, die sich in den von diesem Abkommen erfassten Bereichen ergeben könnten, oder um Streitigkeiten zu schlichten, die bei der Auslegung oder Anwendung dieses Abkommens auftreten könnten,
- gibt sich eine Geschäftsordnung,
- fasst Beschlüsse nach Artikel 26.3 und
- prüft alle Fragen, die für die von diesem Abkommen erfassten Bereiche von Interesse sind.
(5) Der Gemischte CETA-Ausschuss kann
- Zuständigkeiten an die nach Artikel 26.2 eingesetzten Sonderausschüsse delegieren,
- mit allen interessierten Parteien kommunizieren, auch mit Organisationen des Privatsektors und der Zivilgesellschaft,
- soweit in diesem Abkommen vorgesehen, Änderungen prüfen oder beschließen,
- die Entwicklung des Handels zwischen den Vertragsparteien untersuchen und erwägen, wie die Handelsbeziehungen zwischen den Vertragsparteien intensiviert werden können,
- Auslegungen der Bestimmungen dieses Abkommens vornehmen, die für die nach Kapitel acht Abschnitt F (Beilegung von Investitionsstreitigkeiten zwischen Investoren und Staaten) und nach Kapitel neunundzwanzig (Streitbeilegung) eingesetzten Gerichte bindend sind,
- Empfehlungen zur Förderung von Handel und Investitionen nach Maßgabe dieses Abkommens formulieren,
- die Aufgaben, die den nach Artikel 26.2 eingesetzten Sonderausschüssen übertragen wurden, abändern oder selbst übernehmen oder Sonderausschüsse auflösen,
- Sonderausschüsse und bilaterale Dialogforen einrichten, die ihn bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben unterstützen, und
- in Wahrnehmung seiner Aufgaben andere von den Vertragsparteien beschlossene Maßnahmen ergreifen.
ARTIKEL 26.2 – Sonderausschüsse
(1) Folgende Sonderausschüsse werden eingesetzt beziehungsweise – im Falle des unter Buchstabe c genannten Gemischten Ausschusses für die Zusammenarbeit im Zollbereich – ermächtigt, unter Aufsicht des Gemischten CETA-Ausschusses tätig zu werden:
(…)
ARTIKEL 26.3 – Beschlussfassung
(1) Zur Verwirklichung der Ziele dieses Abkommens ist der Gemischte CETA-Ausschuss befugt, in allen Angelegenheiten Beschlüsse zu fassen, sofern es in diesem Abkommen vorgesehen ist.
(2) Die Beschlüsse des Gemischten CETA-Ausschusses sind für die Vertragsparteien – vorbehaltlich der Erfüllung etwaiger interner Anforderungen und des Abschlusses etwaiger interner Verfahren – bindend und von ihnen umzusetzen. Der Gemischte CETA-Ausschuss kann auch geeignete Empfehlungen aussprechen.
(3) Der Gemischte CETA-Ausschuss trifft seine Beschlüsse und formuliert seine Empfehlungen einvernehmlich.
(…)
Kapitel 27 enthält Transparenzvorschriften, Kapitel 28 regelt Ausnahmen, Kapitel 29 betrifft die Streitbeilegung, Kapitel 30 enthält die Schlussbestimmungen und sieht unter anderem vor:
(…)
ARTIKEL 30.2 – Änderungen
(1) Die Vertragsparteien können schriftlich vereinbaren, dieses Abkommen zu ändern. Eine Änderung tritt in Kraft, sobald die Vertragsparteien Notifikationen ausgetauscht haben, in denen sie bestätigen, dass ihren jeweiligen, für das Inkrafttreten der Änderung erforderlichen internen Anforderungen und Verfahren Genüge getan ist, oder aber an dem von den Vertragsparteien hierfür vereinbarten Tag.
(2) Ungeachtet des Absatzes 1 kann der Gemischte CETA-Ausschuss beschließen, die Protokolle und Anhänge dieses Abkommen[s] zu ändern. Die Vertragsparteien können den Beschluss des Gemischten CETA-Ausschusses im Einklang mit ihren zum Inkrafttreten der Änderung erforderlichen internen Anforderungen und Verfahren billigen. Der Beschluss tritt an dem von den Vertragsparteien vereinbarten Tag in Kraft. Dieses Verfahren gilt nicht für Änderungen der Anhänge I, II und III und für Änderungen der Anhänge der Kapitel acht (Investitionen), neun (Grenzüberschreitender Dienstleistungshandel), zehn (Vorübergehende Einreise und vorübergehender Aufenthalt von Geschäftszwecke verfolgenden natürlichen Personen) und dreizehn (Finanzdienstleistungen), ausgenommen Anhang 10-A (Liste der Kontaktstellen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union).
(…)
ARTIKEL 30.6 – Privatrechte
(1) Dieses Abkommen ist nicht dahingehend auszulegen, dass es andere Rechte oder Pflichten für Personen begründet als die zwischen den Vertragsparteien nach dem Völkerrecht geschaffenen Rechte oder Pflichten, noch dass es in den innerstaatlichen Rechtsordnungen der Vertragsparteien unmittelbar geltend gemacht werden kann.
(2) Eine Vertragspartei darf in ihrem innerstaatlichen Recht kein Klagerecht gegen die andere Partei vorsehen, das sich darauf gründet, dass eine Maßnahme der anderen Vertragspartei mit diesem Abkommen nicht vereinbar ist.
ARTIKEL 30.7 – Inkrafttreten und vorläufige Anwendung
(1) Die Vertragsparteien genehmigen dieses Abkommen nach ihren jeweiligen internen Anforderungen und Verfahren.
(2) Dieses Abkommen tritt am ersten Tag des zweiten Monats nach dem Tag in Kraft, an dem die Vertragsparteien Notifikationen ausgetauscht haben, in denen sie einander bestätigen, dass ihren jeweiligen internen Anforderungen und Verfahren Genüge getan ist, oder zu einem anderen von den Vertragsparteien zu vereinbarenden Zeitpunkt.
(3)
- Die Vertragsparteien können dieses Abkommen vorläufig anwenden, und zwar ab dem ersten Tag des Monats nach dem Tag, an dem die Vertragsparteien einander notifiziert haben, dass ihren jeweiligen internen Anforderungen und Verfahren Genüge getan ist, die zur vorläufigen Anwendung dieses Abkommens erforderlich sind, oder zu einem anderen von den Vertragsparteien zu vereinbarenden Zeitpunkt.
- Beabsichtigt eine Partei, eine Bestimmung dieses Abkommens von der vorläufigen Anwendung auszunehmen, so notifiziert sie der anderen Vertragspartei zunächst, welche Bestimmungen sie nicht vorläufig anwenden wird, und bietet unverzügliche Konsultationen an. Innerhalb von 30 Tagen nach der Notifikation kann die andere Vertragspartei entweder widersprechen, was dazu führt, dass dieses Abkommen nicht vorläufig angewendet wird, oder sie kann ihrerseits notifizieren, welche gleichwertigen Bestimmungen dieses Abkommens sie gegebenenfalls nicht vorläufig anzuwenden gedenkt. Widerspricht die andere Vertragspartei innerhalb von 30 Tagen nach der zweiten Notifikation, so wird dieses Abkommens nicht vorläufig angewendet.
Die Bestimmungen, die nicht Gegenstand einer Notifikation sind, werden von dieser Vertragspartei ab dem ersten Tag des Monats vorläufig angewendet, der auf die spätere Notifikation folgt, oder ab dem Tag, auf den sich die Vertragsparteien verständigt haben, vorausgesetzt, dass die Vertragsparteien Notifikationen nach Buchstabe a ausgetauscht haben.
- Eine Vertragspartei kann die vorläufige Anwendung durch schriftliche Notifikation der anderen Vertragspartei beenden. Die Beendigung wird am ersten Tag des zweiten Monats nach dieser Notifikation wirksam.
- Wird dieses Abkommen oder werden einige Bestimmungen daraus vorläufig angewendet, so sind sich die Vertragsparteien darin einig, dass mit dem Ausdruck „Inkrafttreten dieses Abkommens“ der Tag zu verstehen ist, an dem die vorläufige Anwendung beginnt. Der Gemischte CETA-Ausschuss und andere mit diesem Abkommen eingesetzte Gremien können während der vorläufigen Anwendung dieses Abkommens ihre Aufgaben wahrnehmen. Alle in Wahrnehmung ihrer Aufgaben angenommenen Beschlüsse werden unwirksam, wenn die vorläufige Anwendung dieses Abkommens nach Buchstabe c beendet wird.
(4) Kanada übermittelt die Notifikationen nach diesem Artikel an das Generalsekretariat des Rates der Europäischen Union beziehungsweise dessen Rechtsnachfolger. Die Europäische Union übermittelt die Notifikationen nach diesem Artikel an das Department of Foreign Affairs, Trade and Development of Canada oder dessen Rechtsnachfolger.
ARTIKEL 30.8 – Beendigung, Aussetzung oder Einbeziehung anderer bestehender Übereinkünfte
(1) Die in Anhang 30-A aufgeführten Übereinkünfte werden unwirksam und durch dieses Abkommen ersetzt und abgelöst. Die Beendigung der in Anhang 30-A aufgeführten Übereinkünfte wird mit dem Tag des Inkrafttretens dieses Abkommens wirksam.
(2) Ungeachtet des Absatzes 1 darf unter den folgenden Voraussetzungen eine Klage auf der Grundlage eines der in Anhang 30-A aufgeführten Übereinkünfte im Einklang mit den Regeln und Verfahren der betreffenden Übereinkunft erhoben werden:
- die Behandlung, die Gegenstand der Klage ist, wurde zu einem Zeitpunkt gewährt, zu dem das Abkommen nicht beendet war, und
- seit der Beendigung des Abkommens sind höchstens drei Jahre verstrichen.
(…)
ARTIKEL 30.9 – Beendigung
(1) Eine Vertragspartei kann dieses Abkommen kündigen, indem sie dem Generalsekretariat des Rates der Europäischen Union und dem Department of Foreign Affairs, Trade and Development of Canada beziehungsweise deren Rechtsnachfolgern eine entsprechende Note zustellt. 180 Tage nach dieser Notifikation tritt dieses Abkommen außer Kraft. Die kündigende Vertragspartei stellt außerdem dem Gemischten CETA-Ausschuss eine Kopie der Note zu.
(2) Wird dieses Abkommen beendet, so behalten die Bestimmungen des Kapitels acht (Investitionen), ungeachtet des Absatzes 1, über den Tag der Beendigung dieses Abkommens hinaus noch 20 Jahre Gültigkeit für Investitionen, die vor diesem Tag getätigt wurden.
(…)
Das Ratifizierungsverfahren und die vorläufige Anwendung von CETA
Am 5. Juli 2016 unterbreitete die Europäische Kommission, gestützt auf Art. 91, Art. 100 Abs. 2, Art. 207 Abs. 4 UAbs. 1 in Verbindung mit Art. 218 Abs. 5 und Abs. 6 Buchstabe a Ziffer v und Abs. 7 AEUV, dem Rat der Europäischen Union den Vorschlag, im Namen der Europäischen Union die Unterzeichnung des umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommens zwischen Kanada einerseits und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits nach Art. 218 Abs. 5 AEUV zu genehmigen (vgl. COM<2016> 444 final vom 5. Juli 2016, S. 13), das Abkommen „nach dessen Artikel 30.7 Absatz 3 von der Union vorläufig“ anzuwenden, bis die für seinen Abschluss erforderlichen Verfahren abgeschlossen sind (vgl. COM<2016> 470 final vom 5. Juli 2016, S. 13), und das Abkommen abzuschließen (vgl. COM<2016> 443 final vom 5. Juli 2016).
14
Die Europäische Kommission schlug dem Rat mit Blick auf Art. 218 Abs. 7 AEUV außerdem vor, für die Zwecke des Art. 20.22 CETA Änderungen des Anhangs 20-A, die im Wege eines Beschlusses des Gemischten CETA-Ausschusses angenommen wurden, von der Europäischen Kommission im Namen der Europäischen Union zu billigen (vgl. Art. 3 des Beschlussentwurfs COM<2016> 443 final vom 5. Juli 2016 und Art. 2 des Beschlussentwurfs COM<2016> 470 final vom 5. Juli 2016, S. 14).
15
Da viele Mitgliedstaaten die Auffassung zum Ausdruck gebracht hätten, dass die Europäische Union nicht die erforderliche Zuständigkeit besitze, um CETA alleine abzuschließen, und auch keine geteilte Zuständigkeit in zahlreichen von CETA geregelten Bereichen bestehe, habe die Kommission, um die Unterzeichnung des Abkommens nicht zu verzögern, beschlossen, die Unterzeichnung als gemischtes Abkommen vorzuschlagen. Im Hinblick auf das inhaltlich im Wesentlichen gleich gelagerte Freihandelsabkommen mit Singapur (European Union – Singapore Free Trade Agreement – EUSFTA) habe sie nach Art. 218 Abs. 11 AEUV im Juli 2015 allerdings ein Gutachten des Gerichtshofs der Europäischen Union beantragt. In dieser Rechtssache vertrete sie die Ansicht, dass die Europäische Union die erforderliche Zuständigkeit habe, um EUSFTA alleine abzuschließen, oder andernfalls in den Bereichen, die nicht in die ausschließliche Zuständigkeit der Europäischen Union fielen, zumindest eine geteilte Zuständigkeit bestehe. Erst wenn das Gutachten des Gerichtshofs vorliege, müssten die nötigen Schlüsse gezogen werden (vgl. COM<2016> 444 final vom 5. Juli 2016, S. 4 f.). In Art. 3 AEUV sei die gemeinsame Handelspolitik als ausschließliche Zuständigkeit der Europäischen Union definiert. Die Kommission sei der Auffassung, dass auch solche vom Abkommen erfasste Fragen, die nicht im Bereich der gemeinsamen Handelspolitik zu verorten seien, in die ausschließliche Zuständigkeit der Union fielen (vgl. COM<2016> 444 final vom 5. Juli 2016, S. 5).
16
Um die Durchführung des Abkommens zu gewährleisten, sei zudem rechtzeitig vor Anwendung von CETA eine Durchführungsverordnung der Kommission nach Art. 58 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Oktober 2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union zu erlassen, um die im Abkommen festgelegten Zollkontingente zu öffnen (vgl. COM<2016> 444 final vom 5. Juli 2016, S. 9).
17
In der Folge wurden in einen Entwurf für den Beschluss des Rates der Europäischen Union über die vorläufige Anwendung von CETA vom 5. Oktober 2016 (vgl. Dokument des Rates der Europäischen Union 10974/16 vom 5. Oktober 2016) einschränkende Bestimmungen aufgenommen.
18
Bei der Sitzung des Rates der Handelsminister am 18. Oktober 2016 konnten die in Aussicht genommenen Beschlüsse zur Unterzeichnung, vorläufigen Anwendung und zum Abschluss von CETA zunächst nicht gefasst werden, weil die Wallonische Region die belgische Regierung nicht zur Zustimmung ermächtigt hatte. Nachdem sich die Wallonische Region am 27. Oktober 2016 nach weiteren Verhandlungen zur Ermächtigung bereit gezeigt hatte, leitete das Generalsekretariat des Rates noch am selben Tag ein schriftliches Verfahren ein, in dem die Mitgliedstaaten den Beschlussvorlagen des Rates bis zum 28. Oktober 2016 zustimmen sollten.
19
Die Bundesregierung übermittelte ihre Zustimmung am 28. Oktober 2016. Am selben Tag gab der Ständige Vertreter der Bundesrepublik Deutschland bei der Europäischen Union in Schreiben an den Generalsekretär des Rates der Europäischen Union sowie an den Ständigen Vertreter Kanadas bei der Europäischen Union folgende Erklärung ab:
(…) Die Bundesrepublik Deutschland erklärt, dass sie als Vertragspartei des Umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommens (CETA) zwischen Kanada einerseits und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits ihre Rechte aus dessen Artikel 30.7 Absatz 3 Buchstabe c ausüben kann. Die erforderlichen Schritte werden im Einklang mit EU-Verfahren unternommen (…).
Am 28. Oktober 2016 (vgl. Pressemitteilung des Rates der Europäischen Union vom 28. Oktober 2016, 623/16) beschloss der Rat der Europäischen Union gemäß Art. 207 Abs. 4 UAbs. 1 in Verbindung mit Art. 218 Abs. 5 AEUV die Unterzeichnung von CETA (vgl. Beschluss <EU> 2017/37 des Rates vom 28. Oktober 2016 über die Unterzeichnung – im Namen der Europäischen Union – des umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommens <CETA> zwischen Kanada einerseits und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits, ABl EU Nr. L 11 vom 14. Januar 2017, S. 1 f.). Beigefügt wurde ein Gemeinsames Auslegungsinstrument (vgl. Gemeinsames Auslegungsinstrument zum umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommen <CETA> zwischen Kanada und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten, ABl EU Nr. L 11 vom 14. Januar 2017, S. 3 ff.).
21
Darüber hinaus gaben Kommission, Rat und Mitgliedstaaten sowie der Juristische Dienst des Rates insgesamt 38 Erklärungen zur Auslegung von CETA ab, die bei der Annahme des Beschlusses über die Unterzeichnung von CETA in das Ratsprotokoll aufgenommen wurden (vgl. Erklärungen für das Ratsprotokoll, ABl EU Nr. L 11 vom 14. Januar 2017, S. 11 ff.). Dort heißt es unter anderem:
(…)
3. Erklärung des Rates zur vorläufigen Anwendung von Bestimmungen über Verkehr und Verkehrsdienstleistungen:
Der Rat der Europäischen Union erklärt, dass sein Beschluss, insoweit er die vorläufige Anwendung von Bestimmungen im Bereich der Verkehrsdienstleistungen durch die EU vorsieht, die in die geteilte Zuständigkeit der EU und ihrer Mitgliedstaaten fallen, die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen ihnen auf diesem Gebiet nicht berührt und die Mitgliedstaaten nicht daran hindert, ihre Zuständigkeiten gegenüber Kanada in nicht von diesem Abkommen erfassten Angelegenheiten oder gegenüber einem anderen Drittland im Bereich der in diese Zuständigkeit fallenden Verkehrsdienstleistungen auszuüben.
4. Erklärung des Rates zur vorläufigen Anwendung der Kapitel 22, 23 und 24:
Der Rat der Europäischen Union erklärt, dass sein Beschluss, insoweit er die vorläufige Anwendung von Bestimmungen der Kapitel 22, 23 und 24 durch die EU vorsieht, die in die geteilte Zuständigkeit der EU und ihrer Mitgliedstaaten fallen, die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen ihnen auf diesem Gebiet nicht berührt und die Mitgliedstaaten nicht daran hindert, ihre Zuständigkeiten gegenüber Kanada in nicht von diesem Abkommen erfassten Angelegenheiten oder gegenüber einem anderen Drittland auszuüben.
(…)
Zum Umfang der vorläufigen Anwendung des CETA:
15. Erklärung des Rates:
Der Rat der Europäischen Union bestätigt, dass die vorläufige Anwendung nur für Angelegenheiten gilt, die in den Zuständigkeitsbereich der EU fallen.
16. Erklärung des Rates zur vorläufigen Anwendung der gegenseitigen Anerkennung von Berufsqualifikationen:
Der Rat der Europäischen Union erklärt, dass sein Beschluss, insoweit er die vorläufige Anwendung von Bestimmungen auf dem Gebiet der gegenseitigen Anerkennung von Berufsqualifikationen durch die EU vorsieht und insoweit dieses Gebiet in die geteilte Zuständigkeit der EU und ihrer Mitgliedstaaten fällt, die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen ihnen auf diesem Gebiet nicht berührt und die Mitgliedstaaten nicht daran hindert, ihre Zuständigkeiten gegenüber Kanada oder einem anderen Drittland in nicht von diesem Abkommen erfassten Angelegenheiten auszuüben.17. Erklärung des Rates zur vorläufigen Anwendung des Arbeitnehmerschutzes:
Der Rat der Europäischen Union erklärt, dass sein Beschluss, insoweit er die vorläufige Anwendung von Bestimmungen auf dem Gebiet des Arbeitnehmerschutzes durch die EU vorsieht und insoweit dieses Gebiet in die geteilte Zuständigkeit der EU und ihrer Mitgliedstaaten fällt, die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen ihnen auf diesem Gebiet nicht berührt und die Mitgliedstaaten nicht daran hindert, ihre Zuständigkeiten gegenüber Kanada oder einem anderen Drittland in nicht von diesem Abkommen erfassten Angelegenheiten auszuüben.
Zu Beschlüssen des Gemischten CETA-Ausschusses:
18. Erklärung der Kommission:
Es sei festgehalten, dass es unwahrscheinlich ist, dass in naher Zukunft ein Beschluss zur Änderung des CETA und eine vom Gemischten CETA-Ausschuss anzunehmende bindende Auslegung des CETA erforderlich sein werden. Daher beabsichtigt die Kommission nicht, gemäß Artikel 218 Absatz 9 einen Vorschlag zur Änderung des CETA oder zur Annahme einer bindenden Auslegung des CETA vorzulegen, bevor das Hauptverfahren vor dem deutschen Bundesverfassungsgericht abgeschlossen ist.
19. Erklärung des Rates und der Mitgliedstaaten:
Der Rat und die Mitgliedstaaten weisen darauf hin, dass der von der Union und ihren Mitgliedstaaten im Gemischten CETA-Ausschuss einzunehmende Standpunkt zu einem Beschluss dieses Ausschusses, der in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt, einvernehmlich festgelegt wird.
Zur Beendigung der vorläufigen Anwendung des CETA:
20. Erklärung des Rates:
Falls aufgrund der Entscheidung eines Verfassungsgerichts oder nach Abschluss anderer Verfassungsverfahren und förmlicher Notifizierung durch die Regierung des betreffenden Staates die Ratifizierung des CETA auf Dauer und endgültig scheitert, muss und wird die vorläufige Anwendung beendet werden. Die erforderlichen Schritte werden gemäß den EU-Verfahren unternommen werden.
21. Erklärung Deutschlands und Österreichs:
Deutschland und Österreich erklären, dass sie als Vertragsparteien des CETA ihre Rechte aufgrund Artikel 30.7 Absatz 3 Buchstabe c des CETA ausüben können. Die erforderlichen Schritte werden gemäß den EU-Verfahren unternommen werden.
(…)
36. Erklärung der Kommission und des Rates zum Investitionsschutz und zum Investitionsgerichtshof:
Das CETA zielt auf eine bedeutende Reform der Beilegung von Investitionsstreitigkeiten ab, die sich auf die gemeinsamen Grundsätze der Gerichte der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten und Kanadas sowie internationaler Gerichte, die von der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten und Kanada anerkannt werden, wie des Internationalen Gerichtshofs und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, stützt, als Schritt zur Verbesserung der Achtung der Rechtsnorm. Die Europäische Kommission und der Rat sind der Ansicht, dass dieser auf Grundlage der vorliegenden Erklärung überarbeitete Mechanismus einen Schritt zur Schaffung eines multilateralen Investitionsgerichtshofs darstellt, der letztendlich das für die Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investoren und Staaten zuständige Gericht sein wird.
Da alle diese Bestimmungen vom Umfang der vorläufigen Anwendung des CETA ausgenommen sind, bestätigen die Europäische Kommission und der Rat, dass sie nicht in Kraft treten werden, bevor alle Mitgliedstaaten das CETA gemäß ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Verfahren ratifiziert haben.
(…)
38. Erklärung des Juristischen Dienstes des Rates zur Rechtsnatur des Gemeinsamen Auslegungsinstruments
Der Juristische Dienst des Rates bestätigt hiermit, dass nach Artikel 31 Absatz 2 Buchstabe b des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge das Gemeinsame Auslegungsinstrument, das von den Vertragsparteien bei der Unterzeichnung des CETA angenommen werden soll und das den Kontext des CETA bildet, ein Bezugsdokument darstellt, das heranzuziehen ist, wenn bei der Umsetzung des CETA Probleme im Hinblick auf die Auslegung seines Wortlauts auftreten. Deshalb hat es Rechtskraft und verbindlichen Charakter.
Der Rat der Europäischen Union beschloss zudem die vorläufige Anwendung von CETA mit folgenden Einschränkungen (vgl. Beschluss <EU> 2017/38 des Rates vom 28. Oktober 2016 über die vorläufige Anwendung des umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommens <CETA> zwischen Kanada einerseits und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits, ABl EU Nr. L 11 vom 14. Januar 2017, S. 1080 f.):
Artikel 1
(1) Das umfassende Wirtschafts- und Handelsabkommen (CETA) zwischen Kanada einerseits und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits (im Folgenden „Abkommen“) wird nach dessen Artikel 30.7 Absatz 3 von der Union vorläufig angewendet, bis die für seinen Abschluss erforderlichen Verfahren abgeschlossen sind, und vorbehaltlich folgender Punkte:
- Nur die folgenden Bestimmungen des Kapitels Acht des Abkommens (Investitionen) werden vorläufig angewendet, und nur soweit ausländische Direktinvestitionen betroffen sind:
- Artikel 8.1 bis 8.8,
- Artikel 8.13,
- Artikel 8.15 mit Ausnahme von dessen Absatz 3 und
- Artikel 8.16;
- die folgenden Bestimmungen des Kapitels Dreizehn des Abkommens (Finanzdienstleistungen) werden nicht vorläufig angewendet soweit sie Portfolio-Investitionen, den Investitionsschutz oder die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten zwischen Investoren und Staaten betreffen:
- Artikel 13.2 Absätze 3 und 4,
- Artikel 13.3 und Artikel 13.4,
- Artikel 13.9 und
- Artikel 13.21;
- die folgenden Bestimmungen des Abkommens werden nicht vorläufig angewendet:
- Artikel 20.12,
- Artikel 27.3 und Artikel 27.4, soweit diese Artikel für Verwaltungsverfahren, Überprüfung und Rechtsbehelf auf Ebene der Mitgliedstaaten gelten,
- Artikel 28.7 Absatz 7;
- die vorläufige Anwendung der Kapitel 22, 23 und 24 des Abkommens beachtet die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen der Union und den Mitgliedstaaten.
(…)
Schließlich beschloss der Rat, die Zustimmung des Europäischen Parlaments zum Abschluss des Abkommens einzuholen (vgl. Rat der Europäischen Union, Beratungsergebnisse vom 28. Oktober 2016, 13887/16; vgl. zudem Pressemitteilung des Rates der Europäischen Union vom 28. Oktober 2016, 623/16).
24
Am 30. Oktober 2016 unterzeichneten Vertreter Kanadas und der Europäischen Union das Abkommen (vgl. Pressemitteilung der Kommission vom 30. Oktober 2016, IP/16/3581; Announcement der Kommission vom 30. Oktober 2016, AC/16/3890; „Daily News“ der Kommission vom 31. Oktober 2016, MEX/16/3588).
25
Das Europäische Parlament stimmte dem Abkommen in seiner Plenarsitzung vom 15. Februar 2017 zu (vgl. Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 15. Februar 2017, IP/17/270). Kanada ratifizierte es am 16. Mai 2017 (vgl. Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 20. September 2017, IP/17/3121).
26
Am 21. September 2017 trat CETA vorläufig in Kraft (vgl. ABl EU Nr. L 238 vom 16. September 2017, S. 9; Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 20. September 2017, IP/17/3121).
27
Bisher haben 15 Mitgliedstaaten der Europäischen Union das Abkommen ratifiziert, in den übrigen 12 Mitgliedstaaten – darunter die Bundesrepublik Deutschland – ist das Verfahren zur Ratifikation noch nicht abgeschlossen. Auch die Ratifikation durch Kanada und die Europäische Union steht noch aus.
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Der Beschluss des Rates der Europäischen Union über die vorläufige Anwendung von CETA vom 28. Oktober 2016 ist, wie das Bundesverfassungsgericht betont, weder als Ultra-vires-Akt zu qualifizieren, noch werden dadurch die Grundsätze des Demokratieprinzips im Sinne von Art. 20 Abs. 1 und 2 GG berührt. Soweit die Vertragsschlusskompetenz der Europäischen Union für einzelne Bereiche umstritten ist, ist die vorläufige Anwendung beschränkt. Dies gilt auch insoweit, als mit CETA möglicherweise Hoheitsrechte auf das Gerichts- und das Ausschusssystem weiterübertragen werden. Zwar ist zweifelhaft, ob dies noch von der Integrationsermächtigung aus Art. 23 Abs. 1 GG gedeckt wäre. Ein solches Risiko wird durch die Einschränkungen der vorläufigen Anwendung und die Erklärungen zum Ratsprotokoll betreffend den Gemischten CETA-Ausschuss jedoch ausgeschlossen. Soweit darüber hinaus die demokratische Legitimation und Kontrolle von Beschlüssen des Gemischten CETA-Ausschusses mit Blick auf Art. 20 Abs. 1 und 2 GG zweifelhaft erscheint, ist eine etwaige Berührung der Verfassungsidentität (Art. 79 Abs. 3 GG) während der vorläufigen Anwendung von CETA ebenfalls nicht zu besorgen.
Das später erstattete Gutachten des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 16. Mai 2017 zum Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Republik Singapur (EUSFTA) ist für das vorliegende Verfahren ohne Bedeutung. Zwar weicht dieses in Bezug auf die mitgliedstaatlichen Kompetenzen in mehreren Punkten von der Beurteilung ab, die der Zweite Senat in seinem Urteil vom 13. Oktober 2016 über die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Zusammenhang mit CETA vorgenommen hat. Auf die Bewertung des hier in Rede stehenden Beschlusses des Rates wirkt sich dies jedoch nicht aus. Dessen verfassungsrechtliche Beurteilung bemisst sich nach dem Inhalt, den der Beschluss des Rates vom 28. Oktober 2016 zum Zeitpunkt der Beschlussfassung bei verständiger Auslegung hat.
2009 nahmen die Europäische Union und Kanada Verhandlungen über ein Wirtschafts- und Handelsabkommen (CETA) auf. Das Abkommen soll der weiteren Stärkung der engen Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Vertragsparteien und der Schaffung eines erweiterten und sicheren Marktes für Waren und Dienstleistungen durch den Abbau oder die Beseitigung von Handels- und Investitionshemmnissen dienen. Nach Abschluss der Verhandlungen unterbreitete die Europäische Kommission dem Rat der Europäischen Union im Juli 2016 den Vorschlag, die Unterzeichnung von CETA zu genehmigen, die vorläufige Anwendung zu erklären, bis die für seinen Abschluss erforderlichen Verfahren abgeschlossen sind, und das Abkommen abzuschließen.
Mit Urteil vom 13. Oktober 2016 hat das Bundesverfassungsgericht in den vorliegenden Verfahren Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, die darauf zielten, die Unterzeichnung, vorläufige Anwendung und den Abschluss von CETA zu untersagen, nach Maßgabe der Gründe abgelehnt. Er hat ausgeführt, dass sich der Beschluss des Rates über die vorläufige Anwendung im Hauptsacheverfahren zwar möglicherweise als Ultra-vires-Akt herausstellen könne und auch eine Berührung der durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Verfassungsidentität nicht ausgeschlossen sei, weil es der Europäischen Union unter anderem an einer Vertragsschlusskompetenz für Portfolioinvestitionen, den Investitionsschutz, den internationalen Seeverkehr, die gegenseitige Anerkennung von Berufsqualifikationen und den Arbeitsschutz fehlen dürfte und eine Weiterübertragung von Hoheitsrechten auf das Gerichts- und das Ausschusssystem vom Grundgesetz nicht vorgesehen sei. Ein Ultra-vires-Akt könne jedoch ebenso wie eine unzulässige Berührung der Verfassungsidentität durch Ausnahmen von der vorläufigen Anwendung vermieden werden. Zudem müsse sichergestellt werden, dass Deutschland die vorläufige Anwendung von CETA auch einseitig beenden könne.
CETA wurde schließlich – auch da ein Großteil der Mitgliedstaaten zum Ausdruck gebracht hatte, dass die Europäische Union nicht die erforderliche Zuständigkeit in zahlreichen von CETA geregelten Bereichen besitze – als gemischtes Abkommen behandelt. Am 28. Oktober 2016 beschloss der Rat der Europäischen Union die Unterzeichnung und die vorläufige Anwendung von CETA. Eine Reihe von Bereichen wurde von der vorläufigen Anwendung ausgenommen. Die Bundesregierung übermittelte ihre Zustimmung am 28. Oktober 2016. Am 21. September 2017 trat CETA vorläufig in Kraft. In 12 Mitgliedstaaten der Europäischen Union – darunter die Bundesrepublik Deutschland – ist das Verfahren zur Ratifikation noch nicht abgeschlossen. Auch die Ratifikation durch Kanada und die Europäische Union steht noch aus.
Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in einem Gutachten zum Freihandelsabkommen EUSFTA im Mai 2017 festgestellt, dass die Europäische Union in allen von dem geplanten Abkommen erfassten Bereichen die ausschließliche Zuständigkeit besitze; ausgenommen seien lediglich andere Investitionen als Direktinvestitionen und die Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investor und Staat mit den Mitgliedstaaten als Beklagten.
In den entschiedenen Verfassungsbeschwerden rügen die Beschwerdeführer eine Verletzung ihres grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG. In dem Organstreitverfahren macht die Antragstellerin, die Fraktion Die LINKE im Deutschen Bundestag, in Prozessstandschaft Rechte des Bundestages geltend. Die Nichtablehnung von CETA durch die Bundesregierung verletze Gestaltungsrechte des Bundestages aus Art. 23 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Art. 59 Abs. 2 GG.
Die Verfassungsbeschwerden und das Organstreitverfahren hatten vor dem Bundesverfassungsgericht keinen Erfolg:
Sowohl die Verfassungsbeschwerden wie auch der der Antrag Linken-Fraktion im Organstreitverfahren sind nur teilweise zulässig:
Die Verfassungsbeschwerden sind, soweit sie sich gegen die Mitwirkung des deutschen Vertreters am Beschluss des Rates der Europäischen Union über die vorläufige Anwendung von CETA richten, zulässig. Soweit sich die Verfassungsbeschwerden gegen die Unterzeichnung von CETA richten, sind sie unzulässig, weil von der Unterzeichnung keine unmittelbaren Rechtswirkungen für die Beschwerdeführer ausgehen. Ebenfalls unzulässig sind die Verfassungsbeschwerden, soweit sie sich gegen den noch ausstehenden Beschluss des Rates zum Abschluss von CETA richten, weil dieser Beschluss erst nach Ratifizierung durch sämtliche Mitgliedstaaten gefasst werden soll und zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch keine unmittelbaren Rechtswirkungen zeitigen kann. Unzulässig ist die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführer zu II. ferner, soweit diese sich gegen das zukünftige deutsche Zustimmungsgesetz wenden. Ein solches ist noch nicht verabschiedet worden.
Die Organklage der Linken-Fraktion ist ebenfalls nur teilweise zulässig. Die Organklage ist zulässig, soweit sie sich gegen die Mitwirkung des deutschen Vertreters am Beschluss des Rates vom 28. Oktober 2016 über die vorläufige Anwendung von CETA richtet. Die Linken-Fraktion ist als Fraktion des Deutschen Bundestages im Organstreitverfahren berechtigt, dessen Rechte im Wege der Prozessstandschaft im eigenen Namen geltend zu machen. Mangels unmittelbarer Rechtswirkungen unzulässig ist die Organklage dagegen, soweit sich die Linken-Fraktion gegen die Unterzeichnung und den Abschluss von CETA wendet. Das hat das Bundesverfassungsgericht mit Blick auf den Antrag auf einstweilige Anordnung bereits im Urteil vom 13. Oktober 2016 ausgeführt.
Soweit die Verfassungsbeschwerden zulässig sind, sind sie offensichtlich unbegründet.
Nach Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG wirkt die Bundesrepublik Deutschland an der Gründung und Fortentwicklung der Europäischen Union mit. Art. 23 Abs. 1 GG enthält insoweit auch ein Wirksamkeits- und Durchsetzungsversprechen für das Unionsrecht, soweit das Grundgesetz und das Zustimmungsgesetz die Übertragung von Hoheitsrechten erlauben oder vorsehen. Nur in diesem Umfang ist die Anwendung von Unionsrecht in Deutschland demokratisch legitimiert. Das Bundesverfassungsgericht gewährleistet dies insbesondere im Rahmen der Identitäts- und der Ultra-vires-Kontrolle.
Die Wahrnehmung der Mitgliedschaftsrechte der Bundesrepublik Deutschland in den Organen und Gremien der Europäischen Union ist Ausübung deutscher Staatsgewalt. Bei seinem Verhandlungs- und Abstimmungsverhalten unterliegt der deutsche Vertreter im Rat grundgesetzlichen Bindungen. Der deutsche Vertreter im Rat der Europäischen Union verletzt daher das Recht der Bürgerinnen und Bürger aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und 2, Art. 79 Abs. 3 GG, wenn er an einem Rechtsakt mitwirkt, der eine Berührung der Verfassungsidentität oder einen Ultra-vires-Akt darstellt.
Die Mitwirkung des deutschen Vertreters am Beschluss des Rates der Europäischen Union über die vorläufige Anwendung von CETA vom 28. Oktober 2016 ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Dieser ist weder als Ultra-vires-Akt zu qualifizieren, noch verstößt er gegen die Grundsätze des Demokratieprinzips im Sinne von Art. 20 Abs. 1 und 2 GG als Teil der Verfassungsidentität des Grundgesetzes.
Der Beschluss des Rates erstreckt sich unter Berücksichtigung der für seine Anwendung festgelegten Maßgaben nur auf Gegenstände, die unstreitig in die Zuständigkeit der Europäischen Union fallen. Soweit die Vertragsschlusskompetenz für Portfolioinvestitionen, den Investitionsschutz, den internationalen Seeverkehr, die gegenseitige Anerkennung von Berufsqualifikationen und den Arbeitsschutz umstritten ist, ist die vorläufige Anwendung beschränkt.
Soweit sich der Beschluss des Rates zur vorläufigen Anwendung von CETA als Ultra-vires-Akt darstellen könnte, weil mit CETA möglicherweise Hoheitsrechte auf das Gerichts- und das Ausschusssystem weiterübertragen werden und zweifelhaft ist, ob die Beanspruchung einer umfassenden unionalen Vertragsschlusskompetenz im Bereich der gemeinsamen Handelspolitik, die eine entsprechende Mediatisierung der Mitgliedstaaten bedeutete und mit einem weitreichenden Eingriff in deren (Völker-)Rechtssubjektivität einherginge, noch von Art. 23 Abs. 1 GG gedeckt wäre, wird ein solches Risiko durch die nur eingeschränkte Anwendbarkeit von Kapitel 8 CETA (Investitionen) und die Erklärungen zum Ratsprotokoll betreffend den Gemischten CETA-Ausschuss ausgeschlossen. Insbesondere werden entsprechende Entscheidungen ausweislich der Erklärung Nr. 19 zum Ratsprotokoll einvernehmlich getroffen, wodurch eine Zustimmung des deutschen Ratsvertreters sichergestellt wird.
Im Ergebnis ist davon auszugehen, dass die mitgliedstaatlichen Kompetenzen durch den Beschluss des Rates über die vorläufige Anwendung von CETA gewahrt worden sind. Jedenfalls ist durch die Einschränkungen, die dieser Beschluss erfahren hat, und die in diesem Zusammenhang abgegebenen Erklärungen ein offensichtlicher und strukturell bedeutsamer Übergriff in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten ausgeschlossen.
Eine Berührung der Verfassungsidentität des Grundgesetzes und insbesondere der Grundsätze der Demokratie und der Volkssouveränität (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG) durch den Beschluss des Rates über die vorläufige Anwendung von CETA scheidet ebenfalls aus.
Art. 26.1 CETA sieht einen Gemischten Ausschuss vor, der für alle Fragen zuständig ist, die die Handels- und Investitionstätigkeit zwischen den Vertragsparteien und die Umsetzung und Anwendung von CETA betreffen. Seine Beschlüsse sind für die Vertragsparteien – „vorbehaltlich der Erfüllung etwaiger interner Anforderungen und des Abschlusses etwaiger interner Verfahren“ – bindend und von ihnen umzusetzen. Zu den wichtigen Befugnissen des Gemischten Ausschusses gehört, soweit in CETA vorgesehen, die Befugnis, Änderungen des Abkommens zu beschließen und Protokolle und Anhänge zu ändern. Der Gemischte CETA-Ausschuss kann ferner durch Beschluss weitere Kategorien von geistigem Eigentum in die Begriffsbestimmung „Rechte des geistigen Eigentums“ aufnehmen. In Anbetracht der unklaren Regelung des Art. 30.2 Abs. 2 Satz 2 und 3 CETA kann nicht ausgeschlossen werden, dass solche Beschlüsse des Gemischten Ausschusses keiner Zustimmung durch die Vertragsparteien bedürfen. Auch wenn der Gemischte Ausschuss seine Beschlüsse einvernehmlich trifft, er daher Beschlüsse nicht gegen die Stimme der Europäischen Union fassen kann, gibt es insoweit doch keine gesicherte Einflussmöglichkeit der Bundesrepublik Deutschland. Es erscheint daher denkbar, dass deutsche Stellen jedenfalls von unmittelbaren Einflussmöglichkeiten insoweit gänzlich ausgeschlossen werden, so dass eine personelle und sachliche Legitimation der Ausschusstätigkeit durch die Mitwirkung deutscher Hoheitsträger ebenso unmöglich wäre wie ihre Verantwortlichkeit gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern. Die demokratische Legitimation und Kontrolle derartiger Beschlüsse erscheint mit Blick auf Art. 20 Abs. 1 und 2 GG zweifelhaft.
Dies kann im vorliegenden Zusammenhang jedoch dahinstehen, weil durch die den Beschluss über die vorläufige Anwendung flankierenden Einschränkungen in den Erklärungen zum Ratsprotokoll eine Berührung des Demokratieprinzips ausgeschlossen ist. Insbesondere folgt aus Entstehungsgeschichte und Kontext der Erklärung Nr. 19, dass der von der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten im Gemischten Ausschuss einzunehmende Standpunkt zu einem Beschluss dieses Gremiums immer einvernehmlich festgelegt wird. Das setzt eine Zustimmung des deutschen Vertreters im Rat der Europäischen Union voraus, so dass eine etwaige Berührung der Verfassungsidentität (Art. 79 Abs. 3 GG) durch Kompetenzausstattung und Verfahren des Ausschusssystems während der vorläufigen Anwendung von CETA nicht zu besorgen ist.
Die verfassungsrechtliche Beurteilung der hier angegriffenen Mitwirkung des deutschen Vertreters am Beschluss des Rates der Europäischen Union vom 28. Oktober 2016 bemisst sich nach dem Inhalt, den dieser Beschluss zum Zeitpunkt der Beschlussfassung bei verständiger Auslegung hat. Auf seine spätere Anwendung kommt es insoweit nicht an. Für den vorliegenden Fall ist daher ohne Belang, dass das CETA-Ausschusssystem im Rahmen der vorläufigen Anwendung des Abkommens aktiviert wurde. Die Bundesregierung hat allerdings bekundet, dass die Ausschüsse im Rahmen der vorläufigen Anwendung keine Beschlüsse über Bereiche treffen, die in die mitgliedstaatliche Kompetenz fallen. Nichts anderes gilt im Hinblick auf das nach der Beschlussfassung des Rates erstattete EUSFTA-Gutachten des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 16. Mai 2017, das in Bezug auf die mitgliedstaatlichen Kompetenzen im Bereich des internationalen Seeverkehrs, der gegenseitigen Anerkennung von Berufsqualifikationen und des Arbeitsschutzes von der Beurteilung abweicht, die dem Urteil des Senats vom 13. Oktober 2016 zugrunde lag. Für die Frage, ob die Bundesregierung mit der Zustimmung zum Beschluss des Rates über die vorläufige Anwendung von CETA vom 28. Oktober 2016 ihre Integrationsverantwortung verletzt hat, kommt es darauf nicht an. Allerdings bleiben die Verfassungsorgane verpflichtet, während der vorläufigen Anwendung ergriffenen Maßnahmen, die sich als Ultra-vires-Akt oder als Berührung der Verfassungsidentität erweisen, entgegenzutreten. Sollte dies nicht erfolgreich sein, verbleibt der Bundesregierung in letzter Konsequenz die Möglichkeit, die vorläufige Anwendung des Abkommens zu beenden.
Soweit zulässig, ist die Organklage der Linken-Fraktion aus denselben Gründen wie die Verfassungsbeschwerden offensichtlich unbegründet.
Die Verfassungsbeschwerden und die Organklage
Mit den Verfassungsbeschwerden rügen die Beschwerdeführer, die Europäische Union besitze nicht die erforderliche Zuständigkeit zur Aushandlung und zum Abschluss von CETA. Die Handelspolitik Deutschlands dürfe nicht einheitlich mit der Handelspolitik aller anderen Mitgliedstaaten betrieben werden. Die Entäußerung der Befugnis, Handelsabkommen eigenständig auszuhandeln und abzuschließen, verletze die Souveränität Deutschlands und das Recht des Beschwerdeführers zu I. auf Demokratie. Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG erlaube nicht, den Binnenmarkt um Kanada zu erweitern.
Außerdem rügen die Beschwerdeführer eine Verletzung der in Art. 38 Abs. 1, Art. 20, Art. 20a in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG festgelegten Verfassungsidentität.
Schließlich verletzten die Unterwerfung der Bundesrepublik Deutschland unter das Investitionsgericht, die Einrichtung und Ausgestaltung des Gemischten CETA-Ausschusses, die mit dem CETA einhergehende Verletzung des europäischen Vorsorgeprinzips sowie die vorläufige Anwendung des CETA die Verfassungsidentität des Grundgesetzes beziehungsweise stellten Ultra-vires-Akte dar.
Darüber hinaus regen die Beschwerdeführer in einem Verfahren -allesamt Abgeordnete der Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag – ebenso wie deren Bundestagsfraktion in dem Organstreitverfahren ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV an den Gerichtshof der Europäischen Union an.
Keine einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts
Mit Urteil vom 13. Oktober 2016 hat der Senat in den vorliegenden Verfassungsbeschwerde- und Organstreitverfahren Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, die darauf gezielt haben, dem deutschen Vertreter im Rat der Europäischen Union die Zustimmung zu Beschlüssen zur Unterzeichnung, zur vorläufigen Anwendung und zum Abschluss von CETA zu untersagen, nach Maßgabe der Gründe abgelehnt (vgl. BVerfG, Urteil vom 13.10.2016 – 2 BvR 1368/16 u.a., BVerfGE 143, 65 <66>).
Soweit sich die Anträge gegen die Unterzeichnung und den Abschluss von CETA gerichtet haben, hat er ihnen den Erfolg versagt, weil weder die Unterzeichnung noch der erst nach Befassung des Europäischen Parlaments und Ratifizierung durch die Mitgliedstaaten anstehende Abschluss von CETA im Zeitpunkt der Entscheidung unmittelbare Rechtswirkungen für die Antragsteller zeitigten (vgl. BVerfGE 143, 65 <89 Rn. 42, 101 Rn. 73>).
123
Soweit sich die Anträge gegen die Zustimmung des deutschen Vertreters im Rat gegen die vorläufige Anwendung gerichtet haben, hat der Senat den Erlass einer einstweiligen Anordnung aufgrund einer Folgenabwägung abgelehnt. Die Nachteile, die entstünden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erlassen werde, sich die Mitwirkung der Bundesregierung an der Beschlussfassung des Rates später aber als unzulässig erweise, wögen weniger schwer als die Nachteile, die mit dem Erlass einer einstweiligen Anordnung bei späterer Erfolglosigkeit der Hauptsache verbunden seien.
124
a) Zwar hat es der Senat für möglich gehalten, dass sich der Beschluss des Rates über die vorläufige Anwendung von CETA als Ultra-vires-Akt erweist und dass die Mitwirkung der Bundesregierung an diesem Beschluss die Beschwerdeführer zu I. bis IV. in ihrem Recht aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG verletzt. Er hat ausgeführt, der Europäischen Union dürfte es unter anderem an einer Vertragsschlusskompetenz für Portfolioinvestitionen, den Investitionsschutz, den internationalen Seeverkehr, die gegenseitige Anerkennung von Berufsqualifikationen und den Arbeitsschutz fehlen (vgl. BVerfGE 143, 65 <93 ff. Rn. 51 ff.>). Nicht auszuschließen sei darüber hinaus, dass sich der Beschluss des Rates auch insoweit als Ultra-vires-Akt darstellen könne, als mit dem Abkommen Hoheitsrechte auf das Gerichts- und das Ausschusssystem weiterübertragen werden sollten (vgl. BVerfGE 143, 65 <95 Rn. 58>).
125
Auch eine Berührung der durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Verfassungsidentität hat der Senat für nicht völlig ausgeschlossen gehalten, weil die Ausgestaltung des Ausschusssystems in CETA die Grundsätze des Demokratieprinzips, die Teil der Verfassungsidentität des Grundgesetzes sind, verletzen könne (vgl. BVerfGE 143, 65 <95 ff. Rn. 59 ff.>).
126
b) Das Risiko der geschilderten Nachteile für die Schutzgüter des Art. 38 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG lasse sich jedoch durch unterschiedliche Vorkehrungen praktisch ausschließen, so dass ein schwerer Nachteil für das gemeine Wohl im Sinne des § 32 Abs. 1 BVerfGG im Ergebnis abgewendet werden könne. Dem Risiko eines Ultra-vires-Akts könne dadurch begegnet werden, dass die nicht in die ausschließliche Zuständigkeit der Europäischen Union fallenden Bereiche von CETA von der vorläufigen Anwendung ausgenommen würden (vgl. BVerfGE 143, 65 <98 ff. Rn. 67 ff.>). Einer etwaigen Berührung der Verfassungsidentität (Art. 79 Abs. 3 GG) durch Kompetenzausstattung und Verfahren des Ausschusssystems könne – jedenfalls im Rahmen der vorläufigen Anwendung – zum Beispiel durch eine interinstitutionelle Vereinbarung, nach der Beschlüsse gemäß Art. 30.2 Abs. 2 CETA nur aufgrund eines einstimmig angenommenen gemeinsamen Standpunktes nach Art. 218 Abs. 9 AEUV gefasst werden, oder andere Vorkehrungen begegnet werden (vgl. BVerfGE 143, 65 <100 Rn. 71>). Zudem müsse sichergestellt werden, dass Deutschland die vorläufige Anwendung von CETA auch einseitig beenden könne, wenn die Bundesregierung die von ihr angekündigten Handlungsoptionen zur Vermeidung eines möglichen Ultra-vires-Akts oder einer Verletzung der Verfassungsidentität nicht realisieren könne (vgl. BVerfGE 143, 65 <100 f. Rn. 72>).
Mit Beschluss vom 7. Dezember 2016 hat der Senat in den Verfassungsbeschwerdeverfahren erneute Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 07.12.2016 – 2 BvR 1444/16, 2 BvR 1482/16, 2 BvR 1823/16 und 2 BvE 3/16, BVerfGE 144, 1 <2>), mit denen die Antragsteller erreichen wollten, dass die nach ihrer Auffassung nicht beachteten Maßgaben aus dem Urteil vom 13. Oktober 2016 eingehalten werden. Der Senat hat festgestellt, die Bundesregierung habe die im Urteil vom 13. Oktober 2016 formulierten Maßgaben vor ihrer Zustimmung zu den Beschlüssen über die Unterzeichnung und die vorläufige Anwendung von CETA umgesetzt (vgl. BVerfGE 144, 1 <12 Rn. 21>). Insbesondere habe sie keiner vorläufigen Anwendung des Abkommens in Bezug auf im Urteil vom 13. Oktober 2016 aufgeführte Sachmaterien zugestimmt. Eine etwaige Berührung der Verfassungsidentität durch Kompetenzausstattung und Verfahren des Ausschusssystems sei ebenfalls nicht zu befürchten, da die Erklärung Nr. 19 des Rates und der Mitgliedstaaten dahingehend auszulegen sei, dass bei einer etwaigen Beschlussfassung des Gemischten Ausschusses im Rahmen der vorläufigen Anwendung des Abkommens alle mitgliedstaatlichen Belange berücksichtigt würden (vgl. BVerfGE 144, 1 <16 f. Rn. 30>). Schließlich hätten Deutschland und Österreich in der Erklärung Nr. 21 festgestellt, dass sie als Vertragsparteien von CETA ihre Rechte aufgrund Art. 30.7 Abs. 3 Buchstabe c CETA ausüben könnten, so dass das Recht zur einseitigen Beendigung der vorläufigen Anwendung gewährleistet sei (vgl. BVerfGE 144, 1 <17 Rn. 31 f.>).
Zwischenzeitliche Rechtsprechung des EuGH
Nach den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts hat der Gerichtshof der Europäischen Union zwei Gutachten erstattet:
- In seinem Gutachten 2/15 vom 16. Mai 2017 zum Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Republik Singapur (vgl. EuGH, Gutachten 2/15 vom 16. Mai 2017, Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Republik Singapur, EU:C:2017:376) hat der Gerichtshof auf Antrag der Kommission festgestellt, dass die Europäische Union in allen von dem geplanten Abkommen erfassten Bereichen die ausschließliche Zuständigkeit besitze; ausgenommen seien lediglich andere Investitionen als Direktinvestitionen und die Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investor und Staat mit den Mitgliedstaaten als Beklagten. Diese Bereiche fielen in die geteilte Zuständigkeit von Europäischer Union und Mitgliedstaaten mit der Folge, dass das EUSFTA in seiner ursprünglich vorgesehenen Form von der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten nur gemeinsam geschlossen werden könne.
- In seinem Gutachten 1/17 vom 30. April 2019 zum Investitionsschutz in CETA (vgl. EuGH, Gutachten 1/17 vom 30. April 2019, Wirtschafts- und Handelsabkommen zwischen Kanada einerseits und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits, EU:C:2019:341) hat er auf Antrag des Königreichs Belgien festgestellt, dass Kapitel 8 Abschnitt F des CETA mit dem Primärrecht der Europäischen Union vereinbar sei.
Nur teilweise Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerden und der Organklage
Die Verfassungsbeschwerden und der Antrag der Bundestragsfraktion DIE LINKE im Organstreitverfahren sind teilweise zulässig.
Teilweise Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerden
Die Verfassungsbeschwerden sind bei verständiger Auslegung der gestellten Anträge zulässig, soweit sie sich gegen die Mitwirkung des deutschen Vertreters am Beschluss des Rates der Europäischen Union über die vorläufige Anwendung von CETA richten. Im Übrigen sind die Verfassungsbeschwerden unzulässig.
Bei verständiger Würdigung wenden sich die Beschwerdeführer gegen die Zustimmung der Bundesregierung zu dem von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Beschluss des Rates der Europäischen Union über die Unterzeichnung – im Namen der Europäischen Union – des umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommens zwischen Kanada einerseits und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits (Beschluss <EU> 2017/37 des Rates vom 28. Oktober 2016 über die Unterzeichnung – im Namen der Europäischen Union – des umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommens <CETA> zwischen Kanada einerseits und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits, ABl EU Nr. L 11 vom 14. Januar 2017, S. 1 f.) und zu dem Beschluss des Rates über die vorläufige Anwendung des umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommens zwischen Kanada einerseits und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits (Beschluss <EU> 2017/38 des Rates vom 28. Oktober 2016 über die vorläufige Anwendung des umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommens <CETA> zwischen Kanada einerseits und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits, ABl EU Nr. L 11 vom 14. Januar 2017, S. 1080 f.). Diese Beschlüsse wurden mit Zustimmung der Bundesregierung vom selben Tage am 28. Oktober 2016 gefasst.
134
Ferner wenden sich die Beschwerdeführer gegen den Beschluss des Rates über den Abschluss des umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommens zwischen Kanada einerseits und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits (COM<2016> 443 final vom 5. Juli 2016). Diese Beschlussfassung ist noch nicht erfolgt.
In einer Verfassungsbeschwerde wenden sich die Beschwerdeführer zudem gegen ein (mögliches künftiges) Zustimmungsgesetz des Bundestages zu CETA.
Die Verfassungsbeschwerden sind zulässig, soweit sie sich gegen die Zustimmung des deutschen Vertreters zum Beschluss des Rates der Europäischen Union über die vorläufige Anwendung von CETA richten. Es handelt sich insoweit um einen tauglichen Beschwerdegegenstand. Die Beschwerdeführer zu I. bis IV. sind beschwerdebefugt. Die Beschwerdefrist ist eingehalten, das Rechtsschutzbedürfnis ist nicht entfallen.
Tauglicher Beschwerdegegenstand
Die Zustimmung des deutschen Vertreters zu dem Beschluss des Rates der Europäischen Union über die vorläufige Anwendung von CETA vom 28. Oktober 2016 ist ein tauglicher Beschwerdegegenstand. Es handelt sich dabei um einen Akt deutscher öffentlicher Gewalt im Sinne von Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG (vgl. BVerfGE 151, 202 <279 f. Rn. 100 ff.>).
138
Die Mitwirkung der Bundesregierung an der Beschlussfassung im Rat der Europäischen Union ist ein der deutschen Staatsgewalt zurechenbarer Mitwirkungsakt an dem in Rede stehenden Beschluss des Rates über die vorläufige Anwendung von CETA. Auch wenn die Bundesrepublik Deutschland die vorläufige Anwendung nach Art. 30.7 Abs. 3 Buchstabe c CETA beenden könnte (vgl. BVerfGE 143, 65 <100 f. Rn. 72>; 144, 1 <17 Rn. 31 f.>), werden mit diesem Beschluss völkerrechtliche Verpflichtungen der Europäischen Union und damit mittelbar auch der Bundesrepublik Deutschland begründet.
139
Soweit es sich bei diesem Beschluss um eine das Integrationsprogramm der Europäischen Union überschreitende oder die Verfassungsidentität des Grundgesetzes berührende Maßnahme handeln sollte, ist die Verfassungsbeschwerde gegen die Mitwirkung des deutschen Vertreters im Rat die einzige Möglichkeit, mit der Bürgerinnen und Bürger vor dem Bundesverfassungsgericht ihr Recht aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG auf demokratische Selbstbestimmung geltend machen können. Nach gefestigter Rechtsprechung haben die Träger der Integrationsverantwortung sicherzustellen, dass Maßnahmen von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union einschließlich der Rechtsprechung des Gerichtshofs das Integrationsprogramm nicht in offensichtlicher und strukturell bedeutsamer Weise überschreiten und dadurch gegen Art. 38 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 23 Abs. 1 Satz 2, Art. 20 Abs. 2 Satz 1 und Art. 79 Abs. 3 GG verstoßen oder die durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützte Verfassungsidentität des Grundgesetzes berühren. Insoweit unterliegt ihr Handeln verfassungsgerichtlicher Kontrolle (vgl. BVerfGE 142, 123 <204 f. Rn. 157>).
Beschwerdebefugnis
Die Beschwerdeführer zu I. bis IV. sind beschwerdebefugt, soweit sie eine Verletzung von Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG rügen. Ihr Vortrag lässt es jedenfalls als möglich erscheinen, dass sie durch die Zustimmung des deutschen Vertreters zur vorläufigen Anwendung von CETA in ihrem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG verletzt werden, weil sich die in Rede stehenden Regelungen als Ultra-vires-Akte darstellen beziehungsweise die Verfassungsidentität des Grundgesetzes berühren könnten, § 90 Abs. 1 BVerfGG.
An der Beschwerdebefugnis fehlt es dagegen, soweit sie eine Verletzung des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 3 GG), einige Beschwerdeführer eine Verletzung des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen nach Art. 20a GG, eine Verletzung des Sozialstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 1 GG) und des Kernbereichs kommunaler Selbstverwaltung (Art. 28 Abs. 2 GG) sowie eine Rechtsmissbräuchlichkeit der vorläufigen Anwendung rügen.
Die Beschwerdeführer legen hinreichend substantiiert dar, dass sie durch die Zustimmung des deutschen Vertreters zur vorläufigen Anwendung von CETA in ihrem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG selbst, gegenwärtig und unmittelbar verletzt werden.
Als grundrechtsgleiches Recht gewährleistet das durch Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Wahlrecht zum Deutschen Bundestag die politische Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger und garantiert ihnen eine freie und gleiche Teilhabe an der Legitimation der in Deutschland ausgeübten Staatsgewalt (vgl. BVerfGE 123, 267 <340>; 132, 195 <238 Rn. 104>; 135, 317 <399 Rn. 159>; 142, 123 <173 Rn. 81, 190 Rn. 126>; 146, 216 <249 f. Rn. 46>; 151, 202 <274 f. Rn. 91>). Das Wahlrecht erschöpft sich nicht in einer formalen Legitimation der (Bundes-)Staatsgewalt, sondern vermittelt dem Einzelnen einen Anspruch darauf, mit seiner Wahlentscheidung Einfluss auf die politische Willensbildung nehmen und etwas bewirken zu können (vgl. BVerfGE 151, 202 <274 f. Rn. 91>). Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG gewährt dagegen keinen Anspruch auf eine über die Sicherung des durch Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Anspruchs auf demokratische Selbstbestimmung hinausgehende Rechtmäßigkeitskontrolle demokratischer Mehrheitsentscheidungen (vgl. BVerfGE 129, 124 <168>; 134, 366 <396 f. Rn. 52>; 142, 123 <190 Rn. 126>; 151, 202 <286 Rn. 118>; 154, 17 <85 f. Rn. 100>).
143
Im Anwendungsbereich von Art. 23 GG schützt er Bürgerinnen und Bürger davor, dass die durch die Wahl bewirkte Legitimation der Staatsgewalt und die Einflussnahme auf deren Ausübung durch die Verlagerung von Aufgaben und Befugnissen des Deutschen Bundestages auf die europäische Ebene so entleert wird, dass das Demokratieprinzip verletzt wird (vgl. BVerfGE 89, 155 <172>; 123, 267 <330>; 134, 366 <396 Rn. 51>; 142, 123 <173 f. Rn. 81>; 146, 216 <249 Rn. 45>; 151, 202 <274 f. Rn. 91>; 153, 74 <152 Rn. 136>).
144
Zur Sicherung ihrer demokratischen Einflussmöglichkeit im Prozess der europäischen Integration vermittelt Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG den Bürgerinnen und Bürgern grundsätzlich nicht allein ein Recht darauf, dass eine Verlagerung von Hoheitsrechten nur in den dafür vorgesehenen Formen von Art. 23 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3, Art. 79 Abs. 2 GG erfolgt (vgl. BVerfGE 134, 366 <397 Rn. 53>; 142, 123 <193 Rn. 134>; 146, 216 <251 Rn. 50>; 151, 202 <297 f. Rn. 144>; 153, 74 <134 Rn. 98>). Darüber hinaus gewährt Art. 38 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG den Wahlberechtigten gegenüber Bundesregierung, Bundestag und gegebenenfalls dem Bundesrat einen Anspruch darauf, dass diese in Wahrnehmung ihrer Integrationsverantwortung über die Einhaltung des Integrationsprogramms durch Organe, Einrichtungen und sonstige Stellen der Europäischen Union wachen, am Zustandekommen und an der Umsetzung von Maßnahmen, die die Grenzen des Integrationsprogramms überschreiten, nicht mitwirken und bei offensichtlichen und strukturell bedeutsamen Kompetenzüberschreitungen aktiv auf seine Befolgung und die Beachtung seiner Grenzen hinwirken (vgl. BVerfGE 151, 202 <296 Rn. 140>; 153, 74 <133 Rn. 96>). Art. 38 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 und Art. 79 Abs. 3 GG gewährt daher auch Schutz vor hinreichend qualifizierten Kompetenzüberschreitungen der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union. Dies prüft das Bundesverfassungsgericht im Rahmen der Ultra-vires-Kontrolle (vgl. zur Ultra-vires-Rüge BVerfGE 142, 123 <174 f. Rn. 83, 198 ff. Rn. 143 ff.>; 151, 202 <296 ff. Rn. 140 ff.>; 153, 74 <133 Rn. 96, 152 Rn. 136>; 154, 17 <90 Rn. 110>).
145
Der demokratische Gehalt des Wahlrechts kann ferner dadurch verletzt werden, dass die Rechte des Deutschen Bundestages wesentlich geschmälert werden und damit dessen Gestaltungsmacht beeinträchtigt wird (vgl. BVerfGE 123, 267 <341>; 142, 123 <190 Rn. 125>; 154, 17 <87 Rn. 103>). Vor dem Hintergrund des über Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG als subjektives öffentliches Recht rügefähig gemachten Demokratieprinzips kann es zudem, wenn Hoheitsrechte auf die Europäische Union übertragen werden, nicht ohne Bedeutung sein, ob die auf europäischer Ebene ausgeübte Hoheitsgewalt demokratisch legitimiert ist. Da die Bundesrepublik Deutschland nach Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG nur an einer Europäischen Union mitwirken darf, die demokratischen Grundsätzen verpflichtet ist, muss gerade auch ein legitimatorischer Zusammenhang zwischen den Wahlberechtigten und der europäischen Hoheitsgewalt bestehen, auf den der Bürger nach der verfassungsrechtlichen Konzeption in Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG einen Anspruch hat. Die Wahlberechtigten können deshalb auch verfassungsrechtlich relevante Defizite der demokratischen Legitimation der Europäischen Union rügen (vgl. BVerfGE 123, 267 <331>).
146
Der Beschwerdeführer zu I. rügt eine Verletzung von Art. 38 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 146, Art. 2 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG, die Beschwerdeführer zu II. eine Verletzung von Art. 38 Abs. 1, Art. 20, Art. 20a in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG. Die Beschwerdeführer zu III. ziehen, ebenso wie die Beschwerdeführer zu IV., Art. 38 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 20, Art. 23 und Art. 79 Abs. 3 GG heran. Diese Rügen sind mit Blick auf den in Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG verankerten und von Art. 79 Abs. 3 GG umfassten Anspruch des Bürgers auf demokratische Selbstbestimmung (vgl. BVerfGE 89, 155 <187>; 123, 267 <340>; 129, 124 <169, 177>; 132, 195 <238 Rn. 104>; 135, 317 <386 Rn. 125>; 142, 123 <190 Rn. 126>; 146, 216 <249 f. Rn. 46>; 151, 202 <286 Rn. 118>; 153, 74 <153 Rn. 138>; 154, 17 <86 Rn. 101>) hinreichend substantiiert. Sie setzen sich unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Senats mit den verfassungsrechtlichen Maßstäben und deren Bedeutung für den vorliegenden Fall auseinander und erfüllen dadurch auch die besonderen Anforderungen an die Zulässigkeit einer Ultra-vires-Rüge (vgl. dazu BVerfGE 142, 123 <174 f. Rn. 83>; 151, 202 <274 ff. Rn. 90 ff.>; 154, 17 <82 Rn. 90>).
147
(2) Die Beschwerdeführer zu I. bis IV. sind durch die Zustimmung des deutschen Vertreters in diesem Recht selbst betroffen, weil sie nachvollziehbar geltend machen, durch die vorläufige Anwendung von CETA angesichts der damit verbundenen Risiken für die Einhaltung des Integrationsprogramms und die Wahrung der Verfassungsidentität in ihrem Recht auf demokratische Selbstbestimmung aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG als wahlberechtigte Bürgerinnen und Bürger möglicherweise verletzt zu sein.
148
(3) Die Beschwerdeführer zu I. bis IV. sind von den Folgen des angegriffenen Mitwirkungsakts gegenwärtig betroffen. Die streitgegenständliche Zustimmung ist am 28. Oktober 2016 erfolgt, der entsprechende Beschluss des Rates am selben Tag gefasst worden und unverändert in Kraft. Seit dem 21. September 2017 wird CETA vorläufig angewandt (vgl. ABl EU Nr. L 238 vom 16. September 2017, S. 9; Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 20. September 2017, IP/17/3121).
149
(4) Zudem sind sie als wahlberechtigte deutsche Staatsangehörige von der Zustimmung des deutschen Vertreters im Rat zu einer Maßnahme von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union, die sich möglicherweise als Ultra-vires-Akt oder Identitätsverletzung darstellt, unmittelbar in ihrem Recht auf demokratische Selbstbestimmung betroffen. Eines Vollzugsaktes bedarf es nicht, ebenso wenig einer Vorklärung durch Fachgerichte.
Soweit die Beschwerdeführer zu I. bis IV. eine Verletzung des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 3 GG), eine Verletzung des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen nach Art. 20a GG, eine Verletzung des Sozialstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 1 GG) und des Kernbereichs kommunaler Selbstverwaltung (Art. 28 Abs. 2 GG) sowie eine Rechtsmissbräuchlichkeit der vorläufigen Anwendung rügen, sind sie nicht beschwerdebefugt, da sie den notwendigen Zusammenhang zu dem über Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG unmittelbar rügefähigen Demokratieprinzip nicht hinreichend substantiiert aufgezeigt haben (vgl. zu dieser Voraussetzung BVerfGE 123, 267 <332 f.>; vgl. auch BVerfGE 3, 58 <74>; 89, 155 <179>; 153, 74 <139 Rn. 107>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 29. April 2021 – 2 BvR 1651/15 u.a. -, Rn. 88).
Beschwerdefrist
Die Beschwerdefrist des § 93 BVerfGG ist gewahrt. Die Beschwerdeführer zu I. bis IV. haben sich im Wege des vorbeugenden Rechtsschutzes gegen die Mitwirkung des deutschen Vertreters an dem Beschluss des Rates der Europäischen Union über die vorläufige Anwendung von CETA vom 28. Oktober 2016 gewandt. Die Verfassungsbeschwerden sind bereits vor diesem Datum beim Bundesverfassungsgericht eingegangen.
Rechtsschutzbedürfnis
Die Beschwerdeführer zu I. bis IV. haben nach wie vor ein Rechtsschutzbedürfnis. Das wird durch die Beschränkungen, die sich aus dem Beschluss des Rates vom 28. Oktober 2016 über die vorläufige Anwendung von CETA und den Erklärungen für das Ratsprotokoll ergeben, nicht in Frage gestellt. Zum einen decken diese Einschränkungen nicht alle von den Beschwerdeführern zu I. bis IV. gerügten Zuständigkeitsüberschreitungen ab, zum anderen sind sie hinsichtlich ihrer Reichweite auslegungsbedürftig. Offen sind die Rolle des Ausschusssystems im Rahmen der vorläufigen Anwendung und seine Vereinbarkeit mit den Grundsätzen des Demokratieprinzips als Teil der Verfassungsidentität des Grundgesetzes.
Verfassungsbeschwerden gegen die Unterzeichnung und Ratifizierung von CETA
Soweit sich die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu I. bis IV. gegen die Unterzeichnung von CETA richten, sind sie unzulässig, weil von der Unterzeichnung keine unmittelbaren Rechtswirkungen für die Beschwerdeführer ausgehen (vgl. BVerfGE 143, 65 <89 Rn. 42>).
154
Ebenfalls unzulässig sind die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu I. bis IV., soweit sie sich gegen den noch ausstehenden Beschluss des Rates zum Abschluss von CETA richten, weil dieser Beschluss erst nach Ratifizierung durch sämtliche Mitgliedstaaten gefasst werden soll und zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch keine unmittelbaren Rechtswirkungen zeitigen kann (vgl. BVerfGE 143, 65 <101 Rn. 73>).
Unzulässig ist die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführer zu II., soweit sie sich gegen das zukünftige deutsche Zustimmungsgesetz wenden, weil ein solches noch nicht verabschiedet worden ist. Deshalb fehlt es an einem tauglichen Beschwerdegegenstand. Zwar können Zustimmungsgesetze zu völkerrechtlichen Verträgen angesichts der völkerrechtlichen Bindung, die mit der Ratifikation eintritt, schon vor ihrem Inkrafttreten vor dem Bundesverfassungsgericht angegriffen werden. Die zu überprüfende Norm muss jedoch erlassen – wenn auch nicht notwendigerweise schon in Kraft getreten – sein (vgl. BVerfGE 10, 20 <54>; 104, 23 <29>; 123, 267 <329>; 153, 74 <132 Rn. 94>). Dies setzt voraus, dass sich Bundestag und Bundesrat abschließend mit dem Gesetz befasst haben, das Gesetz also nur noch der Ausfertigung durch den Bundespräsidenten und der Verkündung bedarf (vgl. BVerfGE 1, 396 <413>; 153, 74 <132 Rn. 94>). Ein Zustimmungsgesetz kann mit der Verfassungsbeschwerde daher erst ab dem Zeitpunkt seiner Verabschiedung angegriffen werden (vgl. BVerfGE 24, 33 <53 f.>; 123, 267 <329>; 153, 74 <132 Rn. 94>).
Teilweise Zulässigkeit der Organklage
Die Organklage der Antragstellerin zu V. ist zulässig, soweit sie sich gegen die Mitwirkung des deutschen Vertreters am Beschluss des Rates vom 28. Oktober 2016 über die vorläufige Anwendung von CETA richtet. Im Übrigen ist sie unzulässig.
Die Beteiligten des Verfahrens sind Verfassungsorgane oder Teile derselben. Die Antragstellerin zu V. wendet sich gegen eine Handlung der Antragsgegnerin und macht im Wege der Prozessstandschaft nachvollziehbar geltend, dass dadurch der Bundestag in seinen verfassungsrechtlichen Rechten verletzt werde. Ein Rechtsschutzbedürfnis ist gegeben.
Die Antragstellerin zu V. ist als Fraktion des Deutschen Bundestages im Organstreitverfahren gemäß § 13 Nr. 5, §§ 63 ff. BVerfGG parteifähig und berechtigt, dessen Rechte im Wege der Prozessstandschaft im eigenen Namen geltend zu machen (vgl. BVerfGE 1, 351 <359>; 142, 123 <182 f. Rn. 106, 184 Rn. 111>; 152, 8 <18 f. Rn. 25>). Die Bundesregierung ist nach § 63 BVerfGG mögliche Antragsgegnerin.
159
b) Die Antragstellerin zu V. beantragt festzustellen, dass die „Nichtablehnung“ der Beschlussvorlagen zu der Unterzeichnung, dem Abschluss und der vorläufigen Anwendung von CETA Rechte des Deutschen Bundestages verletze, und wendet sich damit gegen das Abstimmungsverhalten der Antragsgegnerin im Rat der Europäischen Union. Dieses ist eine im Organstreit angreifbare Maßnahme (vgl. zu einem Bund-Länder-Streit BVerfGE 92, 203 <227>).
160
c) Soweit sich die Antragstellerin zu V. gegen die Zustimmung des deutschen Vertreters zum Beschluss des Rates über die vorläufige Anwendung von CETA wendet, ist sie auch gemäß § 64 BVerfGG antragsbefugt.
161
Sie behauptet, dass die Antragsgegnerin dadurch Rechte des Deutschen Bundestages verletze oder unmittelbar gefährde (vgl. BVerfGE 60, 319 <324>; 70, 324 <350>; 137, 185 <224 Rn. 107>), dass sie an einem Ultra-vires-Akt eines Organs der Europäischen Union und darüber hinaus an einer mit der vorläufigen Anwendung von CETA einhergehenden Berührung der durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Verfassungsidentität mitwirke. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist anerkannt, dass die in Art. 23 GG verankerte Integrationsverantwortung den Bundestag berechtigt und verpflichtet, solchen Beeinträchtigungen entgegenzutreten, und dass dieses Recht von den Fraktionen auch im Wege der Prozessstandschaft (§ 64 Abs. 1 BVerfGG) geltend gemacht werden kann (vgl. BVerfGE 132, 195 <247 Rn. 125>; 134, 366 <397 Rn. 54>; 142, 123 <184 Rn. 111>; 157, 1 <18 ff. Rn. 56, 67 ff.>).
162
In der Sache wendet sich die Antragstellerin zu V. dagegen, dass CETA Gegenstände umfasse, die in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten und nicht unter die gemeinsame Handelspolitik der Europäischen Union im Sinne von Art. 207 AEUV fielen. Sie macht darüber hinaus geltend, dass Rechte des Bundestages aus Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG dadurch verletzt würden, dass den Ausschüssen auch im Rahmen der vorläufigen Anwendung von CETA zu weitreichende Entscheidungsbefugnisse übertragen werden könnten, ohne dass die Mitgliedstaaten insoweit eingebunden wären und dass dies womöglich auch Materien betreffe, die in der Kompetenz der Mitgliedstaaten lägen. Damit rügt die Antragstellerin zu V. in der Sache eine nach Art. 23 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 GG unzulässige Weiterübertragung von Hoheitsrechten.
163
Die Beschränkungen für die vorläufige Anwendung, die sich aus dem Beschluss des Rates vom 28. Oktober 2016 über die vorläufige Anwendung von CETA und den Erklärungen für das Ratsprotokoll ergeben, stehen der Antragsbefugnis aus den oben genannten Gründen (vgl. Rn. 152) nicht entgegen.
164
d) Auch das Rechtsschutzbedürfnis wird dadurch nicht in Frage gestellt. Das Rechtsschutzbedürfnis im Organstreit entfällt grundsätzlich nicht deshalb, weil eine gerügte Rechtsverletzung abgeschlossen ist (vgl. BVerfGE 1, 372 <379>; 41, 291 <303>; 121, 135 <152>; 131, 152 <193>; 140, 160 <185 f. Rn. 62>).
165
Im vorliegenden Fall ist das Rechtsschutzbedürfnis nicht deswegen entfallen, weil der Rat der Europäischen Union am 28. Oktober 2016 die vorläufige Anwendung von CETA beschlossen hat. Es scheitert auch nicht daran, dass die vorläufige Anwendung des Abkommens in einer Weise eingeschränkt worden ist, die den Bedenken der Antragstellerin zu V. jedenfalls teilweise Rechnung trägt (vgl. BVerfGE 144, 1 <5 ff. Rn. 9 ff.>). Anliegen der Antragstellerin zu V. war es, eine (drohende) Verletzung der Befugnisse des Deutschen Bundestages durch die Zustimmung der Bundesregierung zu dem von der Europäischen Kommission vorgelegten Beschlussentwurf zur vorläufigen Anwendung von CETA zu verhindern. Ob die Vorbehalte dies vollständig ausschließen, ist klärungsbedürftig. Entsprechend hat die Antragstellerin zu V. – wie auch die Beschwerdeführer zu II. bis IV. – mit einem erneuten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erreichen wollen, dass die nach ihrer Auffassung nicht beachteten Maßgaben aus dem Urteil des Senats vom 13. Oktober 2016 eingehalten werden (vgl. BVerfGE 144, 1 <2 Rn. 1>).
166
Dazu hat der Senat im Beschluss vom 7. Dezember 2016 – wie schon in seinem Urteil vom 13. Oktober 2016 – bislang nur auf der Grundlage der nach § 32 BVerfGG gebotenen Abwägung Stellung genommen (vgl. BVerfGE 144, 1 <16 f. Rn. 30>). In der Hauptsache bleibt die Frage, ob die Bundesregierung insoweit an einem Ultra-vires-Akt eines Organs der Europäischen Union und an einer Berührung der durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Verfassungsidentität mitgewirkt und dadurch Befugnisse des Bundestages verletzt hat, von ebenso grundsätzlicher wie fortdauernder Bedeutung.
167
2. Mangels unmittelbarer Rechtswirkungen unzulässig ist die Organklage dagegen, soweit sich die Antragstellerin zu V. gegen die Unterzeichnung und den Abschluss von CETA wendet. Das hat der Senat für den Antrag auf einstweilige Anordnung bereits im Urteil vom 13. Oktober 2016 ausgeführt (vgl. BVerfGE 143, 65 <89 Rn. 42, 101 Rn. 73>).
168
Ebenso unzulässig ist sie, soweit die Verletzung objektiver Verfassungsgrundsätze gerügt wird. Der Organstreit eröffnet nicht die Möglichkeit einer objektiven Beanstandungsklage (vgl. BVerfGE 118, 277 <319>; 126, 55 <68>; 138, 256 <259 Rn. 5>; 140, 1 <21 f. Rn. 58>; 150, 194 <200 Rn. 18>; stRspr). Daher sind die von der Antragstellerin zu V. geltend gemachten Rügen, CETA widerspreche dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit, weil die Menschenrechte textlich nicht hinreichend verankert seien und die vorgesehene Investitionsgerichtsbarkeit den Grundsatz der Autonomie des Unionsrechts verletze, sowie dem Sozialstaatsprinzip, weil es an einer klaren Verankerung von Sozialstandards fehle, unzulässig.
Offensichtliche Unbegründetheit der Verfassungsbeschwerden und der Organklage
Soweit die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu I. bis IV. zulässig sind, sind sie offensichtlich unbegründet. Dies gilt auch für den Antrag der Antragstellerin zu V. im Organstreitverfahren.
Unbegründetheit der Verfassungsbeschwerden
Gemessen an Art. 23 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 und Art. 79 Abs. 3 GG sowie dem im Zustimmungsgesetz zu den Verträgen über die Europäische Union und über die Arbeitsweise der Europäischen Union niedergelegten Integrationsprogramm ist der Beschluss des Rates über die vorläufige Anwendung von CETA vom 28. Oktober 2016 weder als Ultra-vires-Akt zu qualifizieren noch werden dadurch die Grundsätze des Demokratieprinzips berührt. Eine Verletzung der Beschwerdeführer in ihrem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG liegt deshalb nicht vor.
Das Integrationsgebot des Grundgesetzes
Nach Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG wirkt die Bundesrepublik Deutschland an der Gründung und Fortentwicklung der Europäischen Union mit. Art. 23 Abs. 1 GG enthält insoweit auch ein Wirksamkeits- und Durchsetzungsversprechen für das Unionsrecht (vgl. BVerfGE 126, 286 <302>; 140, 317 <335 Rn. 37>; 142, 123 <186 f. Rn. 117>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 23. Juni 2021 – 2 BvR 2216/20 u.a. -, Rn. 73).
172
a) Die vom Grundgesetz ermöglichte und vom Integrationsgesetzgeber ins Werk gesetzte Öffnung der deutschen Rechtsordnung für das Unionsrecht findet allerdings ihre Grenzen nicht nur in dem vom Gesetzgeber verantworteten Integrationsprogramm, sondern auch in der ebenso änderungs- wie integrationsfesten Identität der Verfassung (Art. 23 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG). Maßnahmen von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union kommt daher nur insoweit ein Anwendungsvorrang zu, als das Grundgesetz und das Zustimmungsgesetz die Übertragung von Hoheitsrechten erlauben oder vorsehen (vgl. BVerfGE 37, 271 <279 f.>; 58, 1 <30 f.>; 73, 339 <375 f.>; 75, 223 <242>; 89, 155 <190>; 123, 267 <348 ff., 402>; 126, 286 <302>; 129, 78 <99>; 134, 366 <384 Rn. 26>; 140, 317 <336 Rn. 40>; 142, 123 <187 f. Rn. 120>; 154, 17 <89 f. Rn. 109>). Nur in diesem Umfang ist die Anwendung von Unionsrecht in Deutschland demokratisch legitimiert (vgl. BVerfGE 142, 123 <187 f. Rn. 120>). Das Bundesverfassungsgericht gewährleistet dies insbesondere im Rahmen der Identitäts- und der Ultra-vires-Kontrolle.
173
Diese Anforderungen des Grundgesetzes binden alle Verfassungsorgane der Bundesrepublik Deutschland und dürfen weder relativiert noch unterlaufen werden (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 23. Juni 2021 – 2 BvR 2216/20 u.a. -, Rn. 75). Deutsche Staatsorgane dürfen sich am Zustandekommen von Maßnahmen der Europäischen Union, die als Ultra-vires-Akt zu qualifizieren sind oder die durch Art. 79 Abs. 3 GG in Verbindung mit den in Art. 1 und Art. 20 GG niedergelegten Grundsätzen geschützte Verfassungsidentität berühren, nicht beteiligen und an ihrer Umsetzung, Vollziehung oder Operationalisierung nicht mitwirken (vgl. BVerfGE 89, 155 <188>; 126, 286 <302 ff.>; 134, 366 <387 f. Rn. 30>; 140, 317 <336 Rn. 42>; 142, 123 <207 Rn. 162>; 154, 17 <151 Rn. 234>). Die Verfassungsorgane sind aufgrund der ihnen obliegenden Integrationsverantwortung (Art. 23 GG; vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 2. März 2021 – 2 BvE 4/16 -, Rn. 69 ff.) darüber hinaus verpflichtet, mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln auf die Einhaltung des Integrationsprogramms hinzuwirken (vgl. BVerfGE 142, 123 <186 Rn. 115, 207 ff. Rn. 163 ff.>).
174
b) Die Wahrnehmung der Mitgliedschaftsrechte der Bundesrepublik Deutschland in den Organen und Gremien der Europäischen Union ist Ausübung deutscher Staatsgewalt. Bei seinem Verhandlungs- und Abstimmungsverhalten unterliegt der deutsche Vertreter im Rat grundgesetzlichen Bindungen (vgl. BVerfGE 92, 203 <227 f., 230>; 135, 317 <429 Rn. 234>; 151, 202 <279 f. Rn. 101 f., 281 f. Rn. 105 f.>; 154, 17 <81 f. Rn. 89>).
175
c) Die Integrationsverantwortung obliegt den Verfassungsorganen nicht nur als objektiv-rechtliche Pflicht. Aus dem in Art. 38 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 79 Abs. 3 GG abgeleiteten Recht auf demokratische Selbstbestimmung folgt vielmehr ein entsprechender Anspruch der Bürgerinnen und Bürger gegenüber Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung, sie in Wahrnehmung ihrer Integrationsverantwortung, vor offensichtlichen und strukturell bedeutsamen Kompetenzüberschreitungen und/oder Berührungen der grundgesetzlichen Verfassungsidentität durch Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union zu schützen (vgl. BVerfGE 142, 123 <174 f. Rn. 83, 188 Rn. 121, 198 ff. Rn. 143 ff.>; 151, 202 <296 ff. Rn. 140 ff.>; 153, 74 <133 Rn. 96, 152 Rn. 136>; 154, 17 <86 Rn. 101, 90 Rn. 110>).
176
Vor diesem Hintergrund verletzt der deutsche Vertreter im Rat der Europäischen Union das Recht der Bürgerinnen und Bürger aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 79 Abs. 3 GG, wenn er einer Berührung der Verfassungsidentität oder einem Ultra-vires-Akt zustimmt.
CETA als „Ultra vires“-Akt
Die Mitwirkung des deutschen Vertreters am Beschluss des Rates der Europäischen Union über die vorläufige Anwendung von CETA vom 28. Oktober 2016 ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Sie ist aufgrund der sich aus dem Beschluss und den Erklärungen für das Ratsprotokoll ergebenden Beschränkungen für die vorläufige Anwendung weder als Ultra-vires-Akt zu qualifizieren noch verstößt sie gegen die Grundsätze des Demokratieprinzips als Teil der Verfassungsidentität des Grundgesetzes. Für die verfassungsrechtliche Beurteilung kommt es allein auf den Inhalt an, den der Beschluss des Rates bei verständiger Auslegung hat. Wie CETA tatsächlich vorläufig angewandt wird, ist dafür ebenso wenig von Belang wie der Umstand, dass die Beurteilung der Kompetenzfrage durch den Gerichtshof der Europäischen Union im EUSFTA-Gutachten vom 16. Mai 2017 in einigen Punkten nicht mit dem Urteil des Senats vom 13. Oktober 2016 übereinstimmt.
178
a) Der Beschluss des Rates der Europäischen Union über die vorläufige Anwendung von CETA stellt sich jedenfalls deshalb weder als Ultra-vires-Akt noch als Berührung der Verfassungsidentität des Grundgesetzes dar, weil die ursprüngliche Fassung des Beschlussentwurfs vom 5. Juli 2016 (COM<2016> 470 final) vor der Zustimmung des deutschen Vertreters in wesentlichen Punkten verändert und eingeschränkt worden ist. Eine Verletzung der Integrationsverantwortung der Bundesregierung und des Rechts der Beschwerdeführer zu I. bis IV. aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG durch die Zustimmung des deutschen Vertreters im Rat scheidet damit aus.
Der Beschluss des Rates der Europäischen Union vom 28. Oktober 2016 erstreckt sich unter Berücksichtigung der für seine Anwendung festgelegten Maßgaben nur auf Gegenstände, die unstreitig in die Zuständigkeit der Europäischen Union fallen. Soweit die Vertragsschlusskompetenz für Portfolioinvestitionen, den Investitionsschutz, den internationalen Seeverkehr, die gegenseitige Anerkennung von Berufsqualifikationen und den Arbeitsschutz umstritten ist (vgl. BVerfGE 143, 65 <93 Rn. 52>), ist die vorläufige Anwendung beschränkt.
180
(1) Die Bestimmungen betreffend Portfolioinvestitionen, deren Hauptzweck in der Gewinnerzielung liegt, ohne dass der Investor einen direkten Einfluss auf das Unternehmen besäße (vgl. BVerfGE 143, 65 <93 f. Rn. 53>), sind von der vorläufigen Anwendung des Abkommens ausgenommen (vgl. auch BVerfGE 144, 1 <14 Rn. 25>). Der Beschluss des Rates vom 28. Oktober 2016 bestimmt insoweit, dass
- aus Kapitel 8 CETA (Investitionen) nur die Art. 8.1 bis 8.8, 8.13 und 8.15 mit Ausnahme von dessen Absatz 3 sowie Art. 8.16 vorläufig angewendet werden, und dies auch nur, soweit ausländische Direktinvestitionen betroffen sind;
- aus Kapitel 13 CETA (Finanzdienstleistungen) die Art. 13.2 Absätze 3 und 4, Art. 13.3, 13.4, 13.9 und 13.21 nicht vorläufig angewendet werden, soweit sie Portfolioinvestitionen, den Investitionsschutz oder die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten zwischen Investoren und Staaten betreffen (Art. 1 Abs. 1 Buchstabe b).
Dies gilt auch für die in Kapitel 8 Abschnitt D CETA unter dem Titel „Investitionsschutz“ enthaltenen Regelungen über die Behandlung von Investoren und erfassten Investitionen (Art. 8.10 CETA) sowie die Enteignung (Art. 8.12 CETA).
Mit Blick auf die Vorschriften zu Feeder-Dienstleistungen (Transport zwischen Häfen und Schiffen) und maritimen Hilfsdiensten, die gemäß Art. 207 Abs. 5 AEUV explizit aus dem Anwendungsbereich der Gemeinsamen Handelspolitik ausgenommen sind (vgl. BVerfGE 143, 65 <94 Rn. 55>), enthält das Ratsprotokoll unter Nr. 3 eine Erklärung des Rates zur vorläufigen Anwendung von Bestimmungen über Verkehr und Verkehrsdienstleistungen. Danach wird durch den Beschluss, soweit er die vorläufige Anwendung von Bestimmungen im Bereich der Verkehrsdienstleistungen vorsieht, die in die geteilte Zuständigkeit der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten fallen, die Aufteilung der Zuständigkeiten auf diesem Gebiet durch den Beschluss über die vorläufige Anwendung nicht berührt, und die Mitgliedstaaten werden nicht daran gehindert, ihre Zuständigkeiten gegenüber Kanada in den nicht von CETA erfassten Angelegenheiten oder gegenüber einem anderen Drittland im Bereich der in diese Zuständigkeit fallenden Verkehrsdienstleistungen auszuüben. Da CETA kein Kapitel zu Verkehr und Verkehrsdienstleistungen im Allgemeinen enthält, ist davon auszugehen, dass von der diesbezüglichen Erklärung des Rates alle in CETA enthaltenen Bestimmungen zu verschiedenen Verkehrsarten und Verkehrsdienstleistungen erfasst sind, insbesondere auch diejenigen, die den internationalen Seeverkehr im Sinne von Kapitel 14 CETA betreffen (vgl. BVerfGE 144, 1 <14 f. Rn. 26>).
183
(4) Mit Blick auf Kapitel 11 CETA (Gegenseitige Anerkennung von Berufsqualifikationen), dessen kompetenzielle Absicherung im Integrationsprogramm ebenfalls zweifelhaft ist (vgl. BVerfGE 143, 65 <94 f. Rn. 56>), wird durch die Erklärung Nr. 16 im Ratsprotokoll (Erklärung des Rates zur vorläufigen Anwendung der gegenseitigen Anerkennung von Berufsqualifikationen) bestimmt, dass der Beschluss über die vorläufige Anwendung von CETA, soweit er Regelungen zur gegenseitigen Anerkennung von Berufsqualifikationen betrifft und soweit dieses Gebiet in die geteilte Zuständigkeit fällt, die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten auf diesem Gebiet nicht berührt und die Mitgliedstaaten nicht daran hindert, ihre Zuständigkeiten gegenüber Kanada oder einem anderen Drittland in nicht von diesem Abkommen erfassten Angelegenheiten auszuüben.
184
(5) Zweifeln an der Zuständigkeit der Europäischen Union für die Vereinbarungen in dem Handel und Arbeit betreffenden Kapitel 23 (vgl. BVerfGE 143, 65 <95 Rn. 57>) begegnet der Beschluss durch die nahezu gleichlautende Erklärung für das Ratsprotokoll Nr. 4 (Erklärung des Rates zur vorläufigen Anwendung der Kapitel 22, 23 und 24). Gleiches gilt für den Arbeitnehmerschutz, der Gegenstand der Erklärung des Rates Nr. 17 ist.
185
(6) Soweit sich der Beschluss des Rates zur vorläufigen Anwendung von CETA als Ultra-vires-Akt darstellen könnte, weil mit CETA möglicherweise Hoheitsrechte auf das Gerichts- und das Ausschusssystem weiterübertragen werden (Kapitel 8 Abschnitt F und Kapitel 26 CETA) und darüber hinaus zweifelhaft ist, ob ein solcher Schritt noch von Art. 23 Abs. 1 GG gedeckt wäre, weil es jedenfalls denkbar erscheint, dass die Beanspruchung einer umfassenden unionalen Vertragsschlusskompetenz im Bereich der gemeinsamen Handelspolitik eine entsprechende Mediatisierung der Mitgliedstaaten bedeutete und mit einem weitreichenden Eingriff in deren (Völker-)Rechtssubjektivität einherginge (vgl. BVerfGE 143, 65 <95 Rn. 58>), wird ein solches Risiko durch die nur eingeschränkte Anwendbarkeit von Kapitel 8 CETA (vgl. Rn. 180) und die Erklärungen Nr. 18 und Nr. 19 zum Ratsprotokoll betreffend den Gemischten CETA-Ausschuss ausgeschlossen. Insbesondere werden entsprechende Entscheidungen ausweislich der Erklärung Nr. 19 zum Ratsprotokoll einvernehmlich getroffen, wodurch eine Zustimmung des deutschen Ratsvertreters sichergestellt wird.
186
(7) Im Ergebnis ist davon auszugehen, dass die mitgliedstaatlichen Kompetenzen durch den Beschluss des Rates über die vorläufige Anwendung von CETA gewahrt worden sind. Zwar können sich, soweit die Erklärungen nicht von den einzelnen Mitgliedstaaten, sondern vom Rat der Europäischen Union abgegeben worden sind, Unsicherheiten hinsichtlich ihrer Auslegung im Einzelfall ergeben. Diese werden jedoch dadurch begrenzt, dass den Erklärungen erkennbar die Intention zugrunde liegt, die mitgliedstaatlichen Kompetenzen, so wie sie zum Zeitpunkt der Beschlussfassung verstanden worden sind, zu respektieren. Jedenfalls ist durch die Einschränkungen, die der Beschluss des Rates über die vorläufige Anwendung vom 28. Oktober 2016 erfahren hat, und die in diesem Zusammenhang abgegebenen Erklärungen ein offensichtlicher und strukturell bedeutsamer Übergriff in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten ausgeschlossen (vgl. BVerfGE 144, 1 <15 Rn. 27 f.>).
Die Verfassungsidentität des Grundgesetzes und das Demokratieprinzip
Eine Berührung der Verfassungsidentität des Grundgesetzes und insbesondere der Grundsätze der Demokratie und der Volkssouveränität (Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG) durch den Beschluss des Rates über die vorläufige Anwendung von CETA (vgl. BVerfGE 143, 65 <95 Rn. 59>) scheidet ebenfalls aus.
188
Art. 26.1 CETA sieht einen Gemischten Ausschuss vor, der für alle Fragen zuständig ist, die die Handels- und Investitionstätigkeit zwischen den Vertragsparteien und die Umsetzung und Anwendung von CETA betreffen (Art. 26.1 Abs. 3 CETA). Seine Beschlüsse sind für die Vertragsparteien – „vorbehaltlich der Erfüllung etwaiger interner Anforderungen und des Abschlusses etwaiger interner Verfahren“ – bindend und von ihnen umzusetzen (Art. 26.3 Abs. 2 CETA). Zu den wichtigen Befugnissen des Gemischten Ausschusses gehört, soweit in CETA vorgesehen, die Befugnis, Änderungen des Abkommens zu beschließen (Art. 26.1 Abs. 5 Buchstabe c CETA) und Protokolle und Anhänge zu ändern (Art. 30.2 Abs. 2 Satz 1 CETA). Die Protokolle und Anhänge machen dabei quantitativ gesehen den größten Teil des Abkommens aus. Der Gemischte CETA-Ausschuss kann ferner durch Beschluss weitere Kategorien von geistigem Eigentum in die Begriffsbestimmung „Rechte des geistigen Eigentums“ aufnehmen (Art. 8.1 Abs. „Rechte des geistigen Eigentums“ Satz 2 CETA; vgl. BVerfGE 143, 65 <95 f. Rn. 60>).
189
In Anbetracht der unklaren Regelung des Art. 30.2 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 CETA kann nicht ausgeschlossen werden, dass solche Beschlüsse des Gemischten Ausschusses keiner Zustimmung durch die Vertragsparteien bedürfen (vgl. BVerfGE 143, 65 <96 Rn. 61>). So ist nicht vorgesehen, dass die Mitgliedstaaten dort durch eigene Vertreter mit Sitz und Stimme mitwirken, und zwar unabhängig davon, ob die Ausschüsse Gegenstände behandeln, die in die unionale oder nationale Zuständigkeit fallen. Für den Gemischten CETA-Ausschuss ist lediglich bestimmt, dass er sich aus „Vertretern der Europäischen Union und Vertretern Kanadas“ zusammensetzen soll (Art. 26.1 Abs. 1 Satz 1 CETA). Auch wenn der Gemischte Ausschuss seine Beschlüsse einvernehmlich trifft (Art. 26.3 Abs. 3 CETA), er daher Beschlüsse nicht gegen die Stimme der Europäischen Union fassen kann, gibt es insoweit doch keine gesicherte Einflussmöglichkeit der Bundesrepublik Deutschland (vgl. BVerfGE 143, 65 <97 Rn. 63>). Es erscheint daher denkbar, dass deutsche Stellen jedenfalls von unmittelbaren Einflussmöglichkeiten insoweit gänzlich ausgeschlossen werden, so dass eine personelle und sachliche Legitimation der Ausschusstätigkeit durch die Mitwirkung deutscher Hoheitsträger ebenso unmöglich wäre wie ihre Verantwortlichkeit gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern (vgl. BVerfGE 143, 65 <96 f. Rn. 62>). Das könnte handelspolitische Schutzmaßnahmen (Kapitel 3) ebenso betreffen wie technische Handelshemmnisse (Kapitel 4), gesundheitspolizeiliche und pflanzenschutzrechtliche Maßnahmen (Kapitel 5), Zoll- und Handelserleichterungen (Kapitel 6), Subventionen (Kapitel 7), Investitionen (Kapitel 8), den grenzüberschreitenden Dienstleistungshandel (Kapitel 9), die vorübergehende Einreise und den vorübergehenden Aufenthalt natürlicher Personen zu geschäftlichen Zwecken (Kapitel 10), die gegenseitige Anerkennung von Berufsqualifikationen (Kapitel 11), Zulassungs- und Qualifikationserfordernisse (Kapitel 12), Finanzdienstleistungen (Kapitel 13), Dienstleistungen im internationalen Seeverkehr (Kapitel 14), die Telekommunikation (Kapitel 15), den elektronischen Geschäftsverkehr (Kapitel 16), die Wettbewerbspolitik (Kapitel 17), Staatsunternehmen, Monopole und Unternehmen mit besonderen Rechten oder Vorrechten (Kapitel 18), das öffentliche Beschaffungswesen (Kapitel 19) und das in Kapitel 20 geregelte geistige Eigentum (vgl. BVerfGE 143, 65 <96 f. Rn. 62>).
190
Soweit die Mitgliedstaaten in den Ausschüssen nicht vertreten sind, können sie lediglich mittelbar auf deren Verfahren und Entscheidungen einwirken, indem sie nach Art. 218 Abs. 9 AEUV auf Vorschlag der Kommission in einem Beschluss des Rates den Gemeinsamen Standpunkt festlegen, den der Vertreter der Europäischen Union in den CETA-Ausschüssen zu vertreten hat. Dieser Einfluss ist indes dadurch begrenzt, dass der Rat – soweit nichts anderes festgelegt ist – mit qualifizierter Mehrheit beschließt (Art. 16 Abs. 3 EUV, Art. 218 Abs. 8 UAbs. 1 AEUV). In der Regel dürfte Art. 218 Abs. 9 AEUV Anwendung finden, wenn der Gemischte CETA-Ausschuss beschließt, die Protokolle und Anhänge von CETA zu ändern (Art. 30.2 Abs. 2 Satz 1 CETA), oder wenn er verbindliche Auslegungen von CETA vornimmt (Art. 8.31 Abs. 3 Satz 2, Art. 26.1 Abs. 5 Buchstabe e CETA; vgl. BVerfGE 143, 65 <97 f. Rn. 64>). Die demokratische Legitimation und Kontrolle derartiger Beschlüsse erscheint mit Blick auf Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG zweifelhaft (vgl. BVerfGE 143, 65 <98 Rn. 65>; 151, 202 <292 Rn. 131, 295 Rn. 138>).
191
Dies kann im vorliegenden Zusammenhang jedoch dahinstehen, weil durch die den Beschluss über die vorläufige Anwendung vom 28. Oktober 2016 flankierenden Einschränkungen in den Erklärungen Nr. 18 und Nr. 19 zum Ratsprotokoll eine Berührung des Demokratieprinzips ausgeschlossen ist. Zum einen hat die Europäische Kommission ausweislich der Erklärung Nr. 18 zugesichert, während der vorläufigen Anwendung jedenfalls bis zu einer abschließenden Entscheidung des Senats keinen Vorschlag gemäß Art. 218 Abs. 9 AEUV zur Änderung oder zur Annahme einer bindenden Auslegung von CETA vorzulegen. Zum anderen folgt aus Entstehungsgeschichte und Kontext der Erklärung Nr. 19, dass der von der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten im Gemischten Ausschuss einzunehmende Standpunkt zu einem Beschluss dieses Gremiums immer einvernehmlich festgelegt wird. Das setzt eine Zustimmung des deutschen Vertreters im Rat der Europäischen Union voraus, so dass eine etwaige Berührung der Verfassungsidentität (Art. 79 Abs. 3 GG) durch Kompetenzausstattung und Verfahren des Ausschusssystems während der vorläufigen Anwendung von CETA nicht zu besorgen ist (vgl. BVerfGE 144, 1 <16 f. Rn. 30>).
Die Integrationsverantwortung der Bundesregierung
Stellt sich der Beschluss des Rates vom 28. Oktober 2016 somit weder als Ultra-vires-Akt noch als Berührung der Verfassungsidentität dar, so scheidet auch eine Verletzung der Integrationsverantwortung der Bundesregierung und damit des Rechts der Beschwerdeführer zu I. bis IV. aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG durch die Zustimmung des deutschen Vertreters im Rat aus.
Die verfassungsrechtliche Beurteilung der hier angegriffenen Mitwirkung des deutschen Vertreters am Beschluss des Rates der Europäischen Union vom 28. Oktober 2016 bemisst sich nach dem Inhalt, den dieser Beschluss zum Zeitpunkt der Beschlussfassung bei verständiger Auslegung hat. Auf seine spätere Anwendung kommt es insoweit nicht an.
194
Für den vorliegenden Fall ist daher ohne Belang, dass das CETA-Ausschusssystem im Rahmen der vorläufigen Anwendung des Abkommens aktiviert wurde (vgl. den Übersichtsplan der Europäischen Kommission für die Ankündigung und Dokumentierung aller CETA-Ausschüsse und sonstigen CETA-Gremien). Die Bundesregierung hat bekundet, dass die Ausschüsse gemäß Protokollerklärung Nr. 19 des Rates vom 28. Oktober 2016 im Rahmen der vorläufigen Anwendung keine Beschlüsse über Bereiche treffen, die in die mitgliedstaatliche Kompetenz fallen (vgl. BTDrucks 19/6713, S. 6).
195
Nichts anderes gilt im Hinblick auf das nach der Beschlussfassung des Rates erstattete EUSFTA-Gutachten des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 16. Mai 2017, das in Bezug auf die mitgliedstaatlichen Kompetenzen im Bereich des internationalen Seeverkehrs, der gegenseitigen Anerkennung von Berufsqualifikationen und des Arbeitsschutzes von der Beurteilung abweicht (vgl. Rn. 129), die dem Urteil des Senats vom 13. Oktober 2016 zugrunde lag. Für die Beurteilung der Frage, ob die Bundesregierung dadurch, dass der deutsche Vertreter im Rat der Europäischen Union dem Beschluss über die vorläufige Anwendung von CETA zugestimmt hat, ihre Integrationsverantwortung verletzt hat, kommt es darauf nicht an.
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Allerdings bleiben die Verfassungsorgane verpflichtet, während der vorläufigen Anwendung ergriffenen Maßnahmen, die sich als Ultra-vires-Akt oder als Berührung der Verfassungsidentität erweisen, entgegenzutreten. Sollte dies nicht erfolgreich sein, verbleibt der Bundesregierung in letzter Konsequenz die Möglichkeit, die vorläufige Anwendung des Abkommens nach Art. 30.7 Abs. 3 Buchstabe c CETA zu beenden (vgl. BVerfGE 143, 65 <100 f. Rn. 72>; 144, 1 <17 Rn. 31 f.>).
Unbegründetheit der Organklage
Soweit zulässig, ist die Organklage der Antragstellerin zu V. aus denselben Gründen wie die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu I. bis IV. offensichtlich unbegründet. Da der Beschluss des Rates vom 28. Oktober 2016 über die vorläufige Anwendung weder als Ultra-vires-Akt zu qualifizieren ist noch die Grundsätze des Demokratieprinzips als Teil der Verfassungsidentität des Grundgesetzes berührt, ist der Deutsche Bundestag nicht in seinen Rechten verletzt.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 9. Februar 2022 – 2 BvR 1368/16 – 2 BvE 3/16 – 2 BvR 1823/16 – 2 BvR 1482/16 – 2 BvR 1444/16