Keine Verzinsung der Wegzugsteuer

Die Wegzugsteuer unterliegt nach Ansicht des Finanzgerichts Düsseldorf nicht der Vollverzinsung.

Keine Verzinsung der Wegzugsteuer

In dem hier vom Finanzgericht Düsseldorf entschiedenen Fall besitzen die Kläger die deutsche Staatsangehörigkeit und unterhielten bis 2011 einen Wohnsitz in Deutschland. Der Kläger war zu 25 % an einer inländischen GmbH beteiligt. Dabei handelte es sich zum Teil um eine steuerlich relevante Beteiligung des Privatvermögens, zum Teil um sog. einbringungsgeborene Anteile. Im Jahr 2006 begründeten die Kläger einen weiteren Wohnsitz in Österreich und verlagerten ihren Lebensmittelpunkt dorthin. Auf Antrag der Kläger unterwarf das beklagte Finanzamt den in den Anteilen entstandenen Vermögenszuwachs im Jahr 2011 der sog. Wegzugsteuer und stundete diese zinslos und ohne Sicherheitsleistung.

Gegen die zugleich festgesetzten Zinsen wegen verspäteter Steuerfestsetzung, die das Finanzamt ebenfalls stundete, wendeten sich die Kläger mit ihrer Klage. Das Finanzgericht Düsseldorf hat der Klage stattgegeben:

Zwar seien die gesetzlichen Voraussetzungen des Zinstatbestands erfüllt, entschied das Finanzgericht, dieser jedoch durch die Regelung über die zinslose Stundung der Wegzugsteuer verdrängt werde. Diese stehe nicht nur der Festsetzung von Stundungszinsen, sondern auch der Vollverzinsung entgegen. Denn der Gesetzgeber habe die Wegzugsteuer nach den Vorgaben des EuGH in der Rechtssache „Lasteyrie du Saillant“ europarechtskonform ausgestalten wollen. Die Festsetzung von Zinsen auf die geschuldete, aber verspätet festgesetzte Steuer verletze ebenso wie die Festsetzung von Zinsen auf die festgesetzte, aber gestundete Steuer die Niederlassungsfreiheit, da sie den in einen anderen EU-Staat verziehenden Steuerpflichtigen (ohne sachlichen Grund) benachteilige. Die Stundung der Zinsen genüge den europarechtlichen Erfordernissen nicht. Schließlich hätten die Steuerpflichtigen auch keinen Liquiditätsvorteil erlangt, der die Verzinsung rechtfertige.

Voraussetzungen des § 233a Abs. 1 AO

Zwar liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 233a Abs. 1 Satz 1 iVm Abs. 3 AO auch hinsichtlich der gemäß § 6 Abs. 1 AStG iVm § 17 EStG festgesetzten Wegzugsteuer der Kläger vor.

Führt die Festsetzung der Einkommensteuer zu einem Unterschiedsbetrag, resultierend aus der festgesetzten Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, um die anzurechnende Körperschaftsteuer und um die bis zum Beginn des Zinslaufs festgesetzten Vorauszahlungen (§ 233a Abs. 3 Satz 1 AO), ist dieser unabhängig davon, zu wessen Gunsten er ausfällt, nach § 233a Abs. 1 Satz 1 AO zu verzinsen. Der Zinslauf beginnt gemäß § 233a Abs. 2 Satz 1 AO grundsätzlich 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist.

Verdrängung des § 233a AO durch § 6 Abs. 5 AStG

Die Regelung des § 233a AO wird jedoch im Streitfall durch § 6 Abs. 5 AStG verdrängt. Zwar regelt § 6 Abs. 5 AStG dem Wortlaut nach lediglich die – zinslose – Stundung der Wegzugsteuer. Nach der Zielsetzung der Neuregelung des § 6 Abs. 5 AStG in der im Streitjahr 2006 geltenden Fassung steht dieser nicht nur der Festsetzung von Stundungszinsen gemäß § 234 AO, sondern auch der Festsetzung von Zinsen gemäß § 233a AO entgegen.

Voraussetzungen des § 6 Abs. 5 AStG

Die durch den Wegzug entstandene Wegzugsteuer ist gemäß § 6 Abs.5 AStG zinslos zu stunden.

Gemäß § 6 Abs. 5 Satz 1 AStG ist die nach § 6 Abs. 1 AStG geschuldete Steuer zinslos und ohne Sicherheitsleistung zu stunden, wenn der Steuerpflichtige im Fall des Absatzes 1 Satz 1 Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats der Europäischen Union oder eines anderen Staats ist, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum anwendbar ist (Vertragsstaat des EWR-Abkommens), und er nach der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht in einem dieser Staaten (Zuzugsstaat) einer der deutschen unbeschränkten Einkommensteuerpflicht vergleichbaren Steuerpflicht unterliegt.

Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG in der im Streitjahr 2006 geltenden Fassung ist bei einer natürlichen Person, die insgesamt mindestens zehn Jahre nach § 1 Abs. 1 EStG unbeschränkt steuerpflichtig war und deren unbeschränkte Steuerpflicht durch Aufgabe des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts endet, auf Anteile i.S.d. § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG im Zeitpunkt der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht § 17 EStG auch ohne Veräußerung anzuwenden, wenn im Übrigen für die Anteile zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt sind.

§ 27 Abs. 2 Nr. 3 Satz 2 UmwStG 2006 ordnet in den Fällen des § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG 1995 die Anwendung von § 6 Abs. 5 AStG für alle noch nicht bestandkräftigen Einkommensteuerveranlagungen an.

Wie zwischen den Beteiligten zu Recht unstreitig ist, hat der Kläger durch die mit dem Umzug verbundene Verlagerung seines Lebensmittelpunktes von Deutschland nach Österreich im Streitjahr den Tatbestand des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AStG iVm § 17 EStG bzw. des § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG 1995 hinsichtlich der einbringungsgeborenen Anteile verwirklicht. Die Kläger waren als deutsche Staatsangehörige zuvor über 10 Jahre in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig, § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG. Nach der Verlagerung des Lebensmittelpunktes der Kläger nach Österreich unterliegen sie dort gemäß § 1 Abs. 1 und Abs. 2 öEStG mit allen in- und ausländischen Einkünften der österreichischen Einkommensbesteuerung.

Die Zielsetzung des § 6 Abs. 5 AStG reicht über den Wortlaut hinaus.

Der Wortlaut des § 6 Abs. 5 Satz 1 AStG, wonach die nach § 6 Abs. 1 AStG geschuldete Steuer zinslos und ohne Sicherheitsleistung zu stunden ist, steht der Festsetzung von Zinsen gemäß § 233a AO auf eine verspätet festgesetzte Wegzugsteuer nach § 6 Abs. 1 AStG nicht entgegen. Hiernach handelt es sich bei der Regelung des § 6 Abs. 5 AStG um eine Sonderregelung zu §§ 222, 234 AO: die geschuldete Wegzugsteuer ist – im Gegensatz zur Stundung nach der Abgabenordnung – zinslos und ohne Sicherheitsleistung zu stunden.

Nach der Zielsetzung des § 6 Abs. 5 AStG steht dieser jedoch nicht nur einer zinsbewehrten Stundung, sondern auch der sog. Vollverzinsung des § 233a AO für eine verspätet festgesetzte Wegzugsteuer entgegen.

Mit den durch das SEStEG vom 07.12.2006[1] geänderten Vorschriften insbesondere des § 6 AStG sollte die Wegzugsbesteuerung des AStG den Vorgaben des EuGH in seiner Entscheidung vom 11.03.2004[2] angepasst und europarechtskonform ausgestaltet werden. Nach dieser Entscheidung des EuGH ist der in Art. 52 EG-Vertrag (nach Änderung nunmehr Art. 49 AEUV) verankerte Grundsatz der Niederlassungsfreiheit dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat verwehrt, zur Vorbeugung gegen die Steuerflucht eine Regelung einzuführen, wonach latente – also noch nicht realisierte – Wertsteigerungen von Gesellschaftsrechten besteuert werden, wenn ein Steuerpflichtiger seinen steuerlichen Wohnsitz ins Ausland verlegt[3]. Zwar steht der Bundesrepublik Deutschland das Recht zu, den Wertzuwachs wesentlicher Beteiligungen bei Wegzug von Steuerpflichtigen zu besteuern, die Steuer soll aber erst dann erhoben werden, wenn der Steuerpflichtige tatsächlich einen Veräußerungsgewinn erzielt[4].

In der Gesetzesbegründung zu § 6 Abs. 5 Satz 1 AStG heißt es hierzu:

Der Ausschluss oder die Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland löst die Steuerpflicht aus. Da aber der Wegzug eines unbeschränkt steuerpflichtigen Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats der EU oder des EWR, der aus Deutschland in einen dieser Staaten zieht, nach EG-Recht (z. B. Niederlassungsfreiheit) nicht behindert werden darf, wird die nach Absatz 1 zusätzlich geschuldete Steuer nach Satz 1 von Amts wegen zinslos und ohne Sicherheitsleistung gestundet. Der Betrag der zusätzlich geschuldeten Steuer entspricht dem Unterschiedsbetrag zwischen der tariflichen Einkommensteuer auf das zu versteuernde Einkommen unter Einbeziehung der Einkünfte nach Absatz 1 und der tariflichen Einkommensteuer ohne Anwendung des Absatzes[5].

Der Fall der Festsetzung von Zinsen auf die geschuldete, aber verspätete festgesetzte Steuer verletzt ebenso wie die Festsetzung von Zinsen auf die festgesetzte, aber gestundete Steuer die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV. Auch in der Festsetzung der Zinsen nach § 233a AO auf die Wegzugsteuer liegt eine Benachteiligung des Steuerpflichtigen, der von Deutschland in einen EU-Mitgliedstaat verzieht, gegenüber dem Steuerpflichtigen, der innerhalb Deutschlands umzieht, ohne dass ein sachlicher Grund für diese Benachteiligung erkennbar wäre.

Benachteiligung des Umzugs in das EU-Ausland gegenüber Inlandsumzug

Wären die Kläger nicht nach Österreich, sondern lediglich im Inland verzogen, wäre keine Steuer allein durch den Wegzug entstanden; dementsprechend wäre – mangels Steuer – auch keine Zinsfestsetzung nach § 233a AO möglich. Der Fall des Wegzugs in einen anderen Mitgliedstaat wird folglich gegenüber dem Inlandsfall benachteiligt und macht die Ausübung der durch Art. 49 AEUV garantierten Niederlassungsfreiheit zumindest weniger attraktiv.

Fehlen eines sachlichen Grundes für die Ungleichbehandlung

Die Festsetzung von Zinsen nach § 233a AO auf eine zwar verspätet festgesetzte, aber gemäß § 6 Abs. 5 AStG zu stundende Wegzugsteuer geht über das hinaus, was zur Erreichung des mit der Festsetzung der Wegzugsteuer verfolgten Zieles erforderlich ist.

Nationale Maßnahmen sind europarechtlich trotz Behinderung der Ausübung der durch den Vertrag garantierten Grundfreiheiten zulässig, wenn mit ihnen ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel verfolgt wird, wenn sie geeignet sind, dessen Erreichung zu gewährleisten und wenn sie nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des verfolgten Zieles erforderlich ist[6].

Die Festsetzung der Steuer nach § 6 Abs. 1 AStG iVm § 17 EStG ist lediglich in Hinblick auf die Sicherstellung der Rechte auf Besteuerung der auf dem Staatsgebiet des Mitgliedstaates Deutschland entstandenen stillen Reserven zulässig. Ein Mitgliedstaat darf den zugrunde liegenden Betrag, über den er seine Besteuerungshoheit wahren will, festlegen, sofern dies nicht zu einer sofortigen Erhebung der Steuer führt und der Steueraufschub an keine weiteren, den Steuerpflichtigen unverhältnismäßig belastenden Bedingungen gebunden ist. Unter Berücksichtigung der europarechtlichen Vorgaben darf es nicht zu einer mit wirtschaftlichen Nachteilen belasteten Festsetzung der Wegzugsteuer kommen[7].

Um die in Deutschland angefallenen Wertzuwächse für den in der Zukunft liegenden Fall zu erfassen, dass der Steuerpflichtige diese Wertzuwächse auch realisiert, ist ausreichend, dass die Steuer gleichsam festgestellt wird, wie dies mit Festsetzung und zinsloser Stundung nach § 6 AStG realisiert werden soll. Nicht erforderlich zur Sicherstellung dieses Besteuerungsrechts ist jedoch, dass bei verspäteter Festsetzung der zu stundenden Steuer Zinsen gemäß § 233a AO festgesetzt werden.

Nach den Vorgaben des EuGH und der Zielsetzung des § 6 Abs. 5 Satz 6 AStG, wie sie in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck kommen, ist die Vorschrift daher europarechtskonform dahingehend auszulegen, dass nicht nur eine geschuldete und festgesetzte Wegzugsteuer zinslos und ohne Sicherheitsleistung zu stunden ist, sondern auch, dass eine geschuldete und verspätet festgesetzte Wegzugsteuer ohne eine aus der Verspätung resultierende Zinsbelastung festzusetzen ist, wenn diese nach § 6 Abs. 5 AStG nach Festsetzung zinslos zu stunden ist. Die gemeinschaftsrechtlichen Erfordernisse sind in die betroffene nationale Norm hineinzulesen[8].

Stundung auch der Zinsen kein Nachteilsausgleich

Diesen europarechtlichen Erfordernisse wird nicht dadurch genügt, dass – wie im Streitfall – die gemäß § 233a AO festgesetzten Zinsen auf die Wegzugsteuer ebenso wie diese zinslos und ohne Sicherheitsleistung gestundet werden. Hierdurch wird der Zeitpunkt der europarechtlich unzulässigen Belastung mit den festgesetzten Zinsen lediglich hinausgeschoben, aber die Belastung selber nicht beseitigt.

Zum einen geht bereits diese Stundung über den Wortlaut des § 6 Abs. 5 AStG hinaus: hiernach ist nur die gemäß § 6 Abs. 1 AStG geschuldete Steuer zu stunden, von etwaigen Zinsen ist keine Rede. Zum anderen ändert diese Stundung nichts an der erfolgten Festsetzung der Zinsen und der hiermit verbundenen Belastung; wird die Stundung gemäß § 6 Abs. 5 Satz 4 AStG widerrufen, weil der Steuerpflichtige die in Deutschland begründeten Wertzuwächse tatsächlich realisiert oder in ein Drittland verzieht, werden auch die festgesetzten Zinsen gemäß § 233a AO fällig.

Sinn und Zweck des § 233a AO

Es entspricht zudem dem Sinn und Zweck des § 233a AO, wenn die nach § 6 Abs. 1 AStG geschuldete, aber gemäß § 6 Abs. 5 AStG zinslos zu stundende Wegzugsteuer nicht der Vollverzinsung unterfällt.

Zinsen sind steuerliche Nebenleistungen iSv § 3 Abs. 4 AO, die das Bestehen eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis voraussetzen und nur erhoben werden, wenn dies gesetzlich vorgeschrieben ist. Es besteht kein allgemeiner Grundsatz der Abgabenordnung, dass Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis stets zu verzinsen sind[9]. Dementsprechend handelt es sich bei der gesetzlich geregelten Verzinsung nicht um eine steuerliche Sanktion, sondern diese dient allein dem Zweck, potentielle Liquiditätsvorteile abzuschöpfen. Die Vollverzinsung des § 233a AO hat zwei Zielsetzungen: zum einen dient sie der Gleichmäßigkeit der Besteuerung, indem sie einen Ausgleich dafür schafft, dass die Steuern bei einzelnen Steuerpflichtigen aus verschiedenen Gründen zu unterschiedlichen Zeitpunkten festgesetzt und fällig werden[10]. Zum anderen sollen erlangte Nutzungsvorteile abgeschöpft werden, indem der Zinsvorteil des Steuerpflichtigen und der Zinsvorteil des Steuergläubigers gleichermaßen ausgeglichen werden[11].

Beiden Zielsetzungen der Verzinsung nach der Abgabenordnung widerspricht eine Verzinsung der Wegzugsteuer nach § 6 Abs. 1 AStG, die unter den Voraussetzungen des § 6 Abs. 5 AStG zinslos zu stunden ist:

Der Kläger, dessen gemäß § 6 Abs. 1 AStG entstandene Steuer nach Ablauf der Karenzfrist des § 233 Abs. 2 Satz 1 AO festgesetzt wurde, erlangte hierdurch keinen, auch keinen abstrakten, Nutzungsvorteil gegenüber demjenigen, dessen Steuerfestsetzung innerhalb dieser Karenzfrist erfolgte, weil die Wegzugsteuer gemäß § 6 Abs. 5 AStG von Anfang an zinslos und ohne Sicherheitsleistung zu stunden war. In beiden Fällen ist die Steuer nicht fällig, ohne dass das Herausschieben der Fälligkeit einen Nutzungsvorteil auf Seiten des einen Steuerpflichtigen begründet, den ein anderer Steuerpflichtiger, dessen Wegzugsteuer zeitnah festgesetzt wurde, nicht hätte.

Auch ist kein Zinsnachteil des Steuergläubigers bei einer verspätet festgesetzten, aber gemäß § 6 Abs. 5 AStG zu stundenden Wegzugsteuer erkennbar.

Zwar ist für die Festsetzung der Zinsen nach § 233a AO nicht erforderlich, dass tatsächlich ein Zinsvorteil oder -nachteil entstanden ist, weil § 233a AO den Zinsvorteil des Steuerpflichtigen und den Zinsnachteil des Steuergläubigers ausgleichen soll, ohne dass es auf eine konkrete Berechnung tatsächlich eingetretener Zinsvorteile und Zinsnachteile ankommt; diese sollen für den Einzelfall nicht ermittelt werden müssen[12]. Bei der Wegzugsteuer nach § 6 Abs. 1 AStG kann es aufgrund der Ausgestaltung des § 6 Abs. 5 AStG jedoch generell nicht zu einem Vorteil des Steuerpflichtigen kommen, dessen Steuer nicht zeitnah festgesetzt und beigetrieben wird, ohne dass es einer konkreten Berechnung bedürfte. Die Erhebung der Wegzugsteuer soll gerade nicht zeitnah, sondern erst dann erfolgen, wenn der Steuerpflichtige tatsächlich einen der Tatbestände des § 6 Abs. 5 Satz 4 AStG erfüllt. Steht jedoch zweifelsfrei fest, dass der Steuerpflichtige durch die verspätete Festsetzung keine Vor- oder Nachteile hatte, kann durch die Verzinsung der sich aus der verspäteten Steuerfestsetzung ergebenen Steuernachforderung kein Vor- oder Nachteil ausgeglichen werden. Für den durch die Vorschrift des § 233a AO bezweckten Ausgleich ist dann kein Raum[13].

Zinsen sind das laufzeitabhängige Entgelt für den Gebrauch eines auf Zeit überlassenen oder vorenthaltenen Geldkapitals[14]. Anders als im Falle einer Stundung nach § 222 AO wird der Steuerpflichtige durch eine auf § 6 Abs. 5 AStG gestützte Stundung in die Lage versetzt, das Geldkapital, das die gestundete Steuerschuld verkörpert, ohne Zinsen, also ohne Entgelt anderweitig zu nutzen. Es ist kein sachlicher Grund erkennbar, warum für die Zeit zwischen materiell-rechtlicher Entstehung und Festsetzung einer Steuerschuld Zinsen für diese entstehen sollen, wenn dies auch für die Zeit nach der Festsetzung durch die Verpflichtung zur zinslosen Stundung ausgeschlossen ist.

Das Absehen von Zinsen gemäß § 233a AO auf eine verspätet festgesetzte Wegzug-steuer führt auch nicht dazu, dass diese als gezahlte Steuer iSv § 233a Abs. 3 AO bei der Berechnung von Zinsen zugunsten des Steuerpflichtigen und damit gleichsam doppelt berücksichtigt wird[15].

Finanzgericht Düsseldorf, Urteil vom 27. September 2013 – 1 K 3233/11 AO

  1. BGBl I 2006, 2782, berichtigt BGBl I 2007, 68[]
  2. EuGH, Urteil vom 11.03.2004 – C-9/02 [Lasteyrie du Saillant], IStR 2004, 236[]
  3. vgl. auch EuGH, Urteil vom 07.09.2006 – C-470/04 [„N“], IStR 2006, 702[]
  4. Bt-Drs. 16/2710, S. 27[]
  5. Bt-Drs. 16/2710, S. 53[]
  6. EuGH, Urteile vom 11.03.2004 – C-9/02 [Lasteyrie du Saillant], IStR 2004, 236; und vom 07.09.2006 – C-470/04 [„N“], IStR 2006, 702[]
  7. EuGH, Urteile vom 11.03.2004 – C-9/02 [Lasteyrie du Saillant], IStR 2004, 236; und vom 07.09.2006 – C-470/04 [„N“], IStR 2006, 702; Dörfler/Ribbrock in BB 2008, 304, 308[]
  8. vgl. BFH, Urteil vom 25.08.2009 – I R 88,89/07, BFHE 226, 296; BFH/NV 2009, 2295[]
  9. BFH, Urteil vom 16.12.2009 – I R 48/09, BFH/NV 2010, 827[]
  10. vgl. Bt-Drs. 11/2157,194[]
  11. vgl. BFH, Urteil vom 19.03.1997 – I R 7/96, BFHE 182, 293, BStBl II 1997, 446; Seer/Klemke, Neuordnung der Verzinsung von Ansprüchen aus Steuerschuldverhältnis, Berlin 2013, S. 21, 125[]
  12. BFH, Urteil vom 19.03.1997 – I R 7/96, BFHE 182, 293, BStBl II 1997, 446[]
  13. BFH, Urteil vom 10.07.1996 – V R 18/95, BFHE 180, 524, BStBl II 1997, 259[]
  14. BFH, Urteil vom 16.10.1991 – I R 145/90, BFHE 166, 145, BStBl II 1992, 321[]
  15. vgl. zur Berücksichtigung einer gemäß § 21 Abs. 2 UmwStG 1995 gestundeten „Entstrickungssteuer“ als „gezahlte Steuer“ iSv § 233a Abs. 3 AO: FG Hamburg, Urteil vom 28.02.2006 – VI 401/03, EFG 2006, 1380; zur Berücksichtigung einer zu Unrecht erfolgten Aufrechnung von zu erstattenden Steuerabzugsbeträgen mit einer gemäß § 21 Abs. 2 UmwStG 1995 gestundeten Entstrickungssteuer im Rahmen der Zinsberechnung des § 233a Abs. 3 AO: FG Hamburg, Urteil vom 24.04.2009 – 6 K 44/08; BFH, Urteil vom 16.12.2009 – I R 48/09, BFH/NV 2010, 827: hier ist der Ausgleich des Liquiditätsvorteils über den Erlass eines Abrechnungsbescheides hinsichtlich der zu Unrecht erfolgten Aufrechnung zu suchen[]