Deutsche Spedition, portugiesischer Fahrer – und das anwendbare Recht

Nach Art. 27 Abs. 1 Satz 1 EGBGB unterliegt ein Vertrag dem von den Parteien gewählten Recht. Die Rechtswahl muss nicht ausdrücklich erfolgen. Sie kann sich konkludent aus den Bestimmungen des Vertrags oder aus den Umständen des Einzelfalls ergeben[1]. Gehen die Parteien während eines Rechtsstreits übereinstimmend von der Anwendung deutschen Rechts aus, so liegt darin regelmäßig eine stillschweigende Rechtswahl[2]. Auch die Orientierung maßgeblicher arbeitsvertraglicher Regelungen an inländischem Arbeitsrecht ist ein gewichtiges Indiz für eine stillschweigende Wahl deutschen Rechts[3].

Deutsche Spedition, portugiesischer Fahrer – und das anwendbare Recht

Nach Art. 30 Abs. 1 EGBGB darf bei Arbeitsverträgen und Arbeitsverhältnissen die Rechtswahl der Parteien nicht dazu führen, dass dem Arbeitnehmer der Schutz entzogen wird, der ihm durch die zwingenden Bestimmungen des Rechts gewährt wird, das nach Art. 30 Abs. 2 EGBGB mangels einer Rechtswahl anzuwenden wäre. Deshalb ist ein Günstigkeitsvergleich anzustellen zwischen den zwingenden Bestimmungen des objektiv anwendbaren Rechts, die dem Arbeitnehmer Schutz gewähren, und denen der gewählten Rechtsordnung[4].

Auf Arbeitsverträge und Arbeitsverhältnisse ist bei unterbliebener Rechtswahl objektiv anwendbar das Recht des Staats, in dem der Arbeitnehmer in Erfüllung des Vertrags gewöhnlich seine Arbeit verrichtet, selbst wenn er vorübergehend in einen anderen Staat entsandt wird, Art. 30 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB.

Der Begriff des „gewöhnlichen Arbeitsorts“ ist nach der Auslegung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu Art. 6 Abs. 2 Buchst. a des Übereinkommens von Rom vom 19.06.1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, die auch für Art. 27 ff. EGBGB maßgeblich ist (Art. 36 EGBGB, vgl. auch Dutta/Volders EuZW 2004, 556), weit zu verstehen. Übt der Arbeitnehmer seine Tätigkeit in mehreren Vertragsstaaten aus, ist gewöhnlicher Arbeitsort der Ort, an dem oder von dem aus er seine berufliche Tätigkeit tatsächlich ausübt, und, in Ermangelung eines Mittelpunkts der Tätigkeit, der Ort, an dem er den größten Teil seiner Arbeit verrichtet. Erst wenn auch danach ein gewöhnlicher Arbeitsort in einem Staat nicht feststellbar ist, darf – in Einklang mit den neuen Kollisionsnormen in Art. 8 Rom I-VO – auf die „einstellende Niederlassung“ (Art. 30 Abs. 2 Nr. 2 EGBGB) zurückgegriffen werden[5].

Es ist deshalb festzustellen, wo der Kläger gewöhnlich seine Arbeit verrichtet hat.

Der Einsatz des Klägers im internationalen Fernverkehr legt nahe, dass er regelmäßig in mehreren Staaten tätig war. Darauf deuten auch die zu den Akten gereichten Belege über die von ihm durchgeführten Fahrten hin. Sollte dies zutreffen, wird das Landesarbeitsgericht unter Berücksichtigung aller die Tätigkeit des Klägers kennzeichnenden Gesichtspunkte zu prüfen haben, ob gleichwohl eine maßgebliche Verknüpfung mit einem Staat festgestellt werden kann. Dazu ist insbesondere festzustellen, in welchem Staat sich der Ort befindet, von dem aus der Kläger seine Transportfahrten durchführte. Nach dem Vortrag der Schuldnerin begannen die Fahrten am Unternehmenssitz in P, nach dem Vorbringen des Klägers hingegen in Portugal; vom dortigen Büro der Schuldnerin seien die Fahrten auch koordiniert worden. Ferner muss das Landesarbeitsgericht ermitteln, an welchem Ort der Kläger Anweisungen zu seiner Arbeit erhielt, wo diese organisiert wurde und wo sich die Arbeitsmittel befanden. Zu berücksichtigen ist des Weiteren, an welche Orte die Waren hauptsächlich transportiert wurden und wohin der Kläger nach seinen Fahrten zurückkehrte[6].

Kann das Landesarbeitsgericht im erneuten Berufungsverfahren einen gewöhnlichen Arbeitsort nicht feststellen, ist für den Günstigkeitsvergleich auf das Recht des Staats abzustellen, in dem sich die Niederlassung befindet, die den Kläger eingestellt hat, Art. 30 Abs. 2 Nr. 2 EGBGB.

Dabei ist Niederlassung jede auf Dauer angelegte arbeitsorganisatorische Einheit eines Unternehmens. Sie muss keine eigene Rechtspersönlichkeit besitzen. Daher können nicht nur Tochtergesellschaften und Zweigstellen, sondern auch andere Einheiten wie etwa die Büros eines Unternehmens eine Niederlassung sein[7]. Abzustellen ist dabei nach der maßgeblichen neueren Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union auf die Niederlassung, die den Arbeitnehmer eingestellt hat[8].

Es wird deshalb zu prüfen sein, ob das von der Schuldnerin im Streitzeitraum unstreitig in Portugal unterhaltene Büro eine Niederlassung iSd. Art. 30 Abs. 2 Nr. 2 EGBGB ist und diese den Kläger eingestellt hat. Dazu fehlt es bislang an den erforderlichen Feststellungen. Der im Arbeitsvertrag über der Unterschriftenzeile in Druckschrift festgehaltene Ort („P“) deutet nur darauf hin, dass dort die Vertragsurkunde erstellt wurde.

Nach Art. 30 Abs. 2 Halbs. 2 EGBGB gilt die nach Art. 30 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 EGBGB zu treffende Zuordnung des Arbeitsverhältnisses ausnahmsweise nicht, wenn sich aus der Gesamtheit der Umstände ergibt, dass der Arbeitsvertrag engere Verbindungen zu einem anderen Staat aufweist. In diesem Fall ist das Recht des anderen Staats anzuwenden.

Die Verbindung mit dem anderen Staat muss stärker sein als die durch die Regelanknüpfung zu dem Recht des Arbeitsorts oder der einstellenden Niederlassung hergestellte Beziehung. Dies beurteilt sich ua. nach der Staatsangehörigkeit der Vertragsparteien, dem Sitz des Arbeitgebers und dem Wohnort des Arbeitnehmers. Ergänzend sind die Vertragssprache und die Währung, in der die Vergütung gezahlt wird, zu berücksichtigen[9].

Dazu ist vom Tatsachengericht eine Würdigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen. Daran fehlt es bislang. Das Bundesarbeitsgericht kann sie auch nicht selbst vornehmen, weil maßgebliche Tatsachen nicht festgestellt sind. Bei der Nachholung im erneuten Berufungsverfahren wird zu beachten sein, dass die Staatsangehörigkeit nur dann ein wesentliches Kriterium sein kann, wenn beide Parteien dieselbe Nationalität haben. Für die Würdigung der Gesamtumstände iSv. Art. 30 Abs. 2 Halbs. 2 EGBGB ist neben den erwähnten Gesichtspunkten von Bedeutung, ob wesentliche Entscheidungen, die das Arbeitsverhältnis betreffen, in Deutschland oder im Büro der Schuldnerin in Portugal getroffen wurden[10].

Kommt das Gericht zu dem Ergebnis, nach Art. 30 Abs. 2 EGBGB wäre portugiesisches Recht anzuwenden, hat es zur Prüfung der Wirksamkeit der Rechtswahl einen Günstigkeitsvergleich vorzunehmen, Art. 30 Abs. 1 EGBGB.

Dazu ist zunächst zu prüfen, ob nach portugiesischem Recht zwingende arbeitnehmerschützende Vorschriften auf den Sachverhalt Anwendung finden. Dabei ist es unerheblich, ob diese dem Arbeitsrecht zuzuordnen sind. Auch allgemeine vertragsrechtliche Bestimmungen wie zB Verjährungsregelungen können zwingende Bestimmungen iSd. Art. 30 Abs. 1 EGBGB sein[11]. Von besonderer Bedeutung wird insoweit sein, ob zwingendes arbeitnehmerschützendes portugiesisches Recht einer Ausschlussfristenregelung wie der in § 12 Arbeitsvertrag entgegensteht.

Maßgeblich für den Günstigkeitsvergleich sind die Ergebnisse der Anwendung der jeweils berührten Rechtsordnungen im Einzelfall[12].

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19.März 2014 – 5 AZR 252/12 (B)

  1. BAG 10.04.2013 – 5 AZR 78/12, Rn. 24[]
  2. BAG 27.08.1964 – 5 AZR 364/63, zu 1 der Gründe, BAGE 16, 215; 12.06.1986 – 2 AZR 398/85, zu B V 2 b der Gründe; BGH 9.06.2004 – I ZR 266/00, zu II 5 b der Gründe[]
  3. vgl. BAG 12.12 2001 – 5 AZR 255/00, zu B I 1 der Gründe, BAGE 100, 130; 1.07.2010 – 2 AZR 270/09, Rn. 28[]
  4. BAG 13.11.2007 – 9 AZR 134/07, Rn. 35, BAGE 125, 24[]
  5. EuGH 15.03.2011 – C-29/10 – [Koelzsch] Rn. 43 ff., Slg. 2011, I-1595; 15.12 2011 – C-384/10 – [Voogsgeerd] Rn. 26 ff., Slg. 2011, I-13275[]
  6. vgl. EuGH 15.03.2011 – C-29/10 – [Koelzsch] Rn. 48 f., Slg. 2011, I-1595[]
  7. EuGH 15.12 2011 – C-384/10 – [Voogsgeerd] Rn. 54, Slg. 2011, I-13275; siehe, zum inhaltsgleichen Art. 8 Abs. 3 Rom I-VO – ErfK/Schlachter 14. Aufl. Art. 9 Rom I-VO Rn. 16; Palandt/Thorn 73. Aufl. Rom I 8 Rn. 12, jeweils mwN[]
  8. EuGH 15.12 2011 – C-384/10 – [Voogsgeerd] Rn. 52, aaO; zum Streitstand im Schrifttum siehe BAG 13.11.2007 – 9 AZR 134/07, Rn. 42 ff., BAGE 125, 24; ErfK/Schlachter 14. Aufl. aaO; Palandt/Thorn 73. Aufl. aaO[]
  9. BAG 12.12 2001 – 5 AZR 255/00, zu B I 2 a dd der Gründe, BAGE 100, 130; 13.11.2007 – 9 AZR 134/07, Rn. 50 mwN, BAGE 125, 24[]
  10. vgl. BAG 13.11.2007 – 9 AZR 134/07, Rn. 51, BAGE 125, 24[]
  11. vgl. ErfK/Schlachter 10. Aufl. Art. 27, 30, 34 EGBGB Rn. 14; Deinert Internationales Arbeitsrecht § 9 Rn. 53; Staudinger/Magnus (2011) Art. 8 Rom I-VO Rn. 75 f.; MünchKommBGB/Martiny 5. Aufl. Art. 8 Rom I-VO Rn. 34; aA MüArbR/Oetker 3. Aufl. Bd. 1 § 11 Rn. 23[]
  12. vgl. BAG 29.10.1992 – 2 AZR 267/92, zu III 2 c der Gründe, BAGE 71, 297; Deinert Internationales Arbeitsrecht § 9 Rn. 59; MünchKommBGB/Martiny 5. Aufl. Art. 8 Rom I-VO Rn. 40; Markovska RdA 2007, 352, 355[]