Der Behauptung einer Partei, eine bestimmte Form der Gerichtsstandsvereinbarung entspreche unter Kaufleuten in dem betreffenden Geschäftszweig des internationalen Handelsverkehrs einem Handelsbrauch im Sinne des Art. 25 Abs. 1 Satz 3 Buchst. c) Brüssel-Ia-VO, ist im Rahmen der von Amts wegen durchzuführenden Prüfung der internationalen Zuständigkeit grundsätzlich nachzugehen.

Das Gericht ist dabei von Beweisanträgen unabhängig und kann im Wege des Freibeweises vorgehen. An die Annahme, die Beweiserhebung sei entbehrlich, weil die Behauptung willkürlich „ins Blaue hinein“ erfolgt sei, sind strenge Anforderungen zu stellen.
Auch der Bundesgerichtshof hat als Revisionsgericht die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte von Amts wegen zu prüfen. Die Vorschrift des § 545 Abs. 2 ZPO steht dem nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht entgegen[1].
Die Brüssel-Ia-Verordnung gilt gemäß Art. 66 Abs. 1 Brüssel-Ia-VO für alle Verfahren, die ab dem 10.01.2015 eingeleitet worden sind. Dabei kann dahinstehen, ob es hierfür entsprechend Art. 32 Abs. 1 Brüssel-Ia-VO auf den Zeitpunkt der Einreichung der Klage bei Gericht oder auf den nach der lex fori des Gerichtsstaats zu bestimmenden Zeitpunkt der Klageerhebung ankommt[2]. Denn im vorliegenden Fall erfolgten sowohl die Einreichung der Klage als auch die nachfolgende Zustellung nach dem Stichtag, so dass die Verordnung in zeitlicher Hinsicht Anwendung findet. Auch der sachliche und räumliche Anwendungsbereich der Brüssel-Ia-Verordnung ist eröffnet. Dies wird von der Revision nicht in Frage gestellt.
Für eine Gerichtsstandsvereinbarung gemäß Art. 25 Abs. 1 Satz 3 Brüssel-Ia-VO ist die Einhaltung der Formerfordernisse Wirksamkeitsvoraussetzung ist. Allein eine Willenseinigung der Parteien führt mithin nicht zu einer wirksamen Gerichtsstandsvereinbarung, wenn nicht auch die Form eingehalten ist[3]. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union sind die Formerfordernisse des Art. 25 Abs. 1 Satz 3 Brüssel-Ia-VO eng auszulegen, weil die Bestimmung sowohl die allgemeine Zuständigkeit nach dem Wohnsitz des Beklagten gemäß Art. 4 Brüssel-Ia-VO als auch die besondere Zuständigkeit gemäß Art. 7 Brüssel-Ia-VO ausschließt[4]. Damit soll gewährleistet werden, dass die Willenseinigung zwischen den Parteien zweifelsfrei feststeht und Gerichtsstandsklauseln, die einseitig in den Vertrag eingefügt worden sind, nicht unbemerkt bleiben[5]. Die Formerfordernisse sollen darüber hinaus aus Gründen der Rechtssicherheit eine eindeutige Bestimmung des zuständigen Gerichts ermöglichen[6]. Da Art. 25 Brüssel-Ia-VO in seinem Anwendungsbereich lex specialis ist, verdrängt er § 38 ZPO[7].
Nach Art. 25 Abs. 1 Satz 3 Buchst. a) Brüssel-Ia-VO muss eine formwirksame Gerichtsstandsvereinbarung schriftlich oder mündlich mit schriftlicher Bestätigung geschlossen werden.
Dagegen kann nach Art 25 Abs. 1 Satz 3 Buchst. c) Brüssel-Ia-VO eine Gerichtsstandsvereinbarung im internationalen Handel auch in einer Form geschlossen werden, die einem Handelsbrauch entspricht, den die Parteien kannten oder kennen mussten und den Parteien von Verträgen dieser Art in dem betreffenden Geschäftszweig allgemein kennen und regelmäßig beachten. Ob ein Handelsbrauch besteht ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht für den internationalen Handelsverkehr generell zu bestimmen, sondern nur für den Geschäftszweig, in dem die Parteien tätig sind. Ein Handelsbrauch ist danach dann zu bejahen, wenn die in dem betreffenden Geschäftszweig tätigen Kaufleute bei Abschluss einer bestimmten Art von Verträgen allgemein und regelmäßig ein bestimmtes Verhalten befolgen. Ist das Verhalten aufgrund dessen hinreichend bekannt, um als ständige Übung angesehen zu werden, wird die Kenntnis der Parteien vom Handelsbrauch vermutet[8]. Es obliegt dem nationalen Gericht, zu prüfen, ob diese Voraussetzungen vorliegen[9].
Der Behauptung einer Partei, eine bestimmte Form der Gerichtsstandsvereinbarung entspreche unter Kaufleuten in dem betreffenden Geschäftszweig des internationalen Handelsverkehrs einem Handelsbrauch im Sinne des Art. 25 Abs. 1 Satz 3 Buchst. c) Brüssel-Ia-VO, ist im Rahmen der von Amts wegen durchzuführenden Prüfung der internationalen Zuständigkeit grundsätzlich nachzugehen. Das Gericht ist dabei von Beweisanträgen unabhängig und kann im Wege des Freibeweises vorgehen. An die Annahme, die Beweiserhebung sei entbehrlich, weil die Behauptung willkürlich „ins Blaue hinein“ erfolgt sei, sind strenge Anforderungen zu stellen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs[10] ist der Beweisführer grundsätzlich nicht gehindert, Tatsachen zu behaupten, über die er keine genauen Kenntnisse hat, die er aber nach Lage der Dinge für wahrscheinlich hält. Eine Beweiserhebung darf danach nur dann unterbleiben, wenn der Beweisführer ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufstellt. Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist jedoch Zurückhaltung geboten. In der Regel wird sie nur bei Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte vorliegen[11].
Nach diesen Maßstäben hätte im vorliegenden Fall Beweis über die betreffende Behauptung der Klägerin erhoben werden müssen. Die Klägerin hat vorgetragen, die Vereinbarung eines Gerichtsstands am Sitz des Unternehmers in der Form, dass ein schriftliches Vertragsangebot mit Gerichtsstandsklausel mündlich angenommen werde, sei unter Kaufleuten in dem betreffenden Geschäftszweig des internationalen Handelsverkehrs (hier: Montageleistungen im deutschösterreichischen Handelsverkehr) üblich und entspreche einem Handelsbrauch im Sinne des Art. 25 Abs. 1 Satz 3 Buchst. c) Brüssel-Ia-VO. Sie hat dies durch Einholung eines Sachverständigengutachtens und Auskunft der Industrie- und Handelskammer unter Beweis gestellt. Die Klägerin hat damit die gemäß Art. 25 Abs. 1 Satz 3 Buchst. c) Brüssel-Ia-VO erheblichen Tatsachen bezeichnet. Sie hat darüber hinaus mehrere Vordrucke mit Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Mitbewerbern aus dem betreffenden Geschäftszweig vorgelegt, die vergleichbare Gerichtsstandsklauseln enthalten. Soweit sie ihren Vortrag, es sei in diesem Geschäftszweig üblich, Aufträge in der Weise zu vergeben, dass per E-Mail übermittelte Angebote mündlich angenommen würden, lediglich mit allgemeinen Erwägungen unterlegt hat, führt dies nicht dazu, dass dieser Vortrag als willkürlich und „ins Blaue hinein“ angesehen werden kann. Eine weitere Substantiierung des Vortrags ist von ihr insoweit nicht zu verlangen.
Das Berufungsurteil ist danach aufzuheben und die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Das Berufungsgericht wird die erforderlichen Feststellungen zum Vorliegen eines Handelsbrauchs zu treffen haben.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 26. April 2018 – VII ZR 139/17
- vgl. z.B. BGH, Urteile vom 14.11.2017 – VI ZR 73/17, WM 2018, 285 Rn. 6; vom 09.07.2009 – Xa ZR 19/08, BGHZ 182, 24 Rn. 9; und vom 28.11.2002 – III ZR 102/02, BGHZ 153, 82, 84 f. 9, jeweils m.w.N.[↩]
- vgl. zum Streitstand z.B. Staudinger in Rauscher, EuZPR und EuIPR, 4. Aufl., Art. 66 Brüssel-Ia-VO Rn. 2; BGH, Urteil vom 24.06.2014 – VI ZR 315/13, WM 2014, 1614 Rn. 14 betreffend das LuganoÜbereinkommen und die Brüssel-I-VO, jeweils m.w.N.[↩]
- vgl. EuGH, RIW 1981, 709 Rn. 24 f.; NJW 1977, 495 8, 11; Mankowski in Rauscher, EuZPR und EuIPR, 4. Aufl., Art. 25 Brüssel-Ia-VO Rn. 87[↩]
- vgl. EuGH, NJW 1997, 1431 Rn. 14 m.w.N.; NJW 1977, 494 7[↩]
- vgl. EuGH, ZIP 2016, 1747 Rn. 39; ZIP 2015, 1540 Rn. 29 f.; NJW 1997, 1431 Rn. 15, 17[↩]
- EuGH, ZIP 1999, 1184 Rn. 48 m.w.N.[↩]
- allg. Meinung, vgl. z.B. Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 15. Aufl., Art. 25 EuGVVO Rn. 1 m.w.N.; BGH, Urteil vom 20.03.1980 – III ZR 151/79, NJW 1980, 2022, 2023 14 zum EuGVÜ[↩]
- vgl. EuGH, ZIP 2016, 1747 Rn. 43 ff., 48; NJW 1997, 1431 Rn. 23 f.[↩]
- EuGH, ZIP 2016, 1747 Rn. 41[↩]
- vgl. z.B. Urteil vom 08.05.2012 – XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 40 m.w.N.[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 08.05.2012 – XI ZR 262/10, aaO[↩]