Die im Ausschussverfahren für den Fall, das Ort der Zollschuldentstehung nach Art. 215 Abs. 1, 3. Gedankenstrich ZK der Ort der Warenüberführung ist, gemäß Art. 450a ZK-DVO bestimmte Frist ist keine Frist, die die für diesen Ort zuständige Zollbehörde vor der Festsetzung von Einfuhrabgaben abzuwarten hat, sondern während derer sie das Erhebungsverfahren einzuleiten hat.

Nach Art. 203 Abs. 1 ZK entsteht eine Einfuhrzollschuld, wenn eine einfuhrabgabenpflichtige Ware der zollamtlichen Überwachung entzogen wird. Diese Vorschriften sind gemäß § 13 a Abs. 2, § 21 Abs. 2 UStG für die Einfuhrumsatzsteuer entsprechend anzuwenden.
Der Begriff der Entziehung aus der zollamtlichen Überwachung ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union so zu verstehen, dass er jede Handlung oder Unterlassung umfasst, die dazu führt, dass die zuständige Zollbehörde, wenn auch nur zeitweise, am Zugang zu einer unter zollamtlicher Überwachung stehenden Ware und an der Durchführung der in Art. 37 Abs. 1 ZK vorgesehenen Prüfungen gehindert wird[1].
Nach Maßgabe dieser Vorschriften sind die Einfuhrabgabenschulden entstanden, weil das Versandverfahren nicht beendet worden ist. Weder ist von einem anderen Zollamt als Bestimmungsstelle die Beendigung des Versandverfahrens an den Beklagten gemeldet worden noch ist der Nachweis der ordnungsgemäßen Erledigung des Versandverfahrens erbracht worden.
Der Nachweis, dass die Waren der Bestimmungsstelle ordnungsgemäß wiedergestellt worden sind und damit das gemeinschaftliche Versandverfahren i. S. v. Art. 92 ZK beendet worden ist, kann nur wie in Art. 366 ZK-DVO vorgeschrieben geführt werden. Zum Nachweis der Beendigung des Verfahrens versieht die Bestimmungsstelle auf Antrag des Hauptverpflichteten ein Exemplar des von ihr einzubehaltenden VBD mit ihrem Sichtvermerk. Die Bestimmungsstelle übermittelt der Abgangsstelle ihre Feststellungen elektronisch durch die in Art. 363 Abs. 1 bis 3 ZK-DVO vorgeschriebene Eingangsbestätigung und die Kontrollergebnisnachricht gemäß Art. 363 Abs. 4 ZK-DVO[2].
Art. 366 Abs. 1 ZK-DVO bestimmt, dass der Hauptverpflichtete den Nachweis der fristgerechten Beendigung des Versandverfahrens durch Vorlage einer von den Zollbehörden des Abgangsmitgliedstaats anzuerkennenden Bescheinigung erbracht werden kann, die mit Sichtvermerk der Zollbehörden des Bestimmungsmitgliedstaats versehen ist, die Angaben zur Identifizierung der betreffenden Waren enthält und aus der hervorgeht, dass die Waren bei der Bestimmungsstelle gestellt worden sind. Voraussetzung für den Nachweis der Beendigung des Verfahrens durch einen Alternativnachweis ist aber, dass die vorgelegten Dokumente von den Zollbehörden des Abgangsmitgliedstaats anerkannt werden[3].
Im Hinblick darauf, dass in dem hier vom Finanzgericht Hamburg entschiedenen Verfahren nach dem Vortrag der Klägerin und den von ihr vorgelegten Unterlagen eine Gestellung der Ware nicht beim im VBD angegebenen ZA A, sondern beim ZA B stattgefunden haben soll, ist folgendes anzumerken:
Art. 361 Abs. 5 ZK-DVO lässt grundsätzlich die Änderung der ursprünglich vorgesehene Bestimmungsstelle ohne besondere Förmlichkeiten zu. Gehört die neue Bestimmungsstelle allerdings zu einem anderen Mitgliedstaat als die ursprünglich angemeldete Bestimmungsstelle, muss die neue Bestimmungsstelle von der Abgangsstelle eine Vorab-Ankunftsanzeige anfordern, auf deren Grundlagen sie die ordnungsgemäße Wiedergestellung der Waren prüft[4].
Da eine solche Anforderung allerdings nach dem Inhalt der Akten nicht festzustellen und auch keinerlei Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass es eine solche Anforderung gegeben habe, ist davon auszugehen, dass eine solche Anforderung nicht erfolgt ist. Dieser Umstand spricht – wenn auch nur indiziell – dagegen, dass tatsächlich eine ordnungsgemäße Wiedergestellung beim ZA B stattgefunden hat.
Entscheidend ist allerdings, dass die Klägerin einen Nachweis der Gestellung – hier beim ZA B – nicht hat erbringen können. Anhand der insoweit von der Klägerin vorgelegten Kopie des VBD kann nicht positiv festgestellt werden, dass das ZA B als angeblich neue Bestimmungsstelle – zum Nachweis der Beendigung – einen Sichtvermerk auf der Kopie des VBD angebracht hat. Das ZA B hat auf Nachfrage nicht bestätigt, dass es auf dem – von der Klägerin nur in Kopie vorgelegten – VBD den Sichtvermerk angebracht hat, sondern das Gegenteil mitgeteilt.
Auch die Auskunftsersuchen des Beklagten haben nicht ergeben, dass das Versandverfahren ordnungsgemäß beendet worden ist. Ergibt sich aus den Angaben des Hauptverpflichteten, bei welcher Zollstelle die Ware wieder gestellt worden sein könnte, so ist von den Zollbehörden des Abgangsmitgliedstaates unverzüglich ein Ersuchen um Aufklärung an diese Zollstelle zu richten, Art. 365 Abs. 6 ZK-DVO.
Hier sind sowohl das ZA A als auch das ZA B um Aufklärung ersucht worden. Allerdings hat sich das Aufklärungsersuchen gegenüber dem ZA A vor einer abschließenden Beantwortung deswegen erledigt, weil schon nach dem Vortrag der Klägerin und der Vorlage des – angeblichen – Alternativnachweises geklärt war, dass die Ware jedenfalls nicht beim ZA A gestellt worden ist. Das Ersuchen an die rumänischen Zollbehörden hat indes ebenfalls keine Aufklärung über das Schicksal der Ware erbracht.
Unbeschadet der Pflicht zur Stellung der Aufklärungsersuchen bleibt der Hauptverpflichtete – hier die Klägerin – nachweispflichtig für die Beendigung des Versandverfahrens; die Zollbehörden sind – abgesehen von der Durchführung des Suchverfahrens – nicht zur Einholung von Informationen über den Verbleib der Waren verpflichtet[5].
Nach Maßgabe der genannten Vorschriften ist die Klägerin als Hauptverpflichtete Abgabenschuldner geworden, denn es war ihre Verpflichtung gemäß Art. 96 Abs. 1 Buchstabe a) ZK, dafür zu sorgen, dass die Ware innerhalb der vorgeschriebenen Frist unverändert der Bestimmungsstelle gestellt wird.
Der Beklagte war auch zuständig für die Abgabenerhebung. Art. 215 Abs. ZK bestimmt:
Die Zollschuld entsteht
- an dem Ort, an dem der Tatbestand eintritt, der die Zollschuld entstehen lässt;
- oder, wenn dieser Ort nicht bestimmt werden kann, an dem Ort, an dem die Zollbehörden feststellen, dass die Ware sich in einer Lage befindet, die eine Zollschuld hat entstehen lassen;
- oder, wenn die Ware in ein noch nicht erledigtes Zollverfahren übergeführt worden ist und der Ort innerhalb einer gegebenenfalls nach dem Ausschussverfahren festgelegten Frist weder nach dem ersten noch nach dem zweiten Gedankenstrich bestimmt werden kann, an dem Ort, an dem die Ware in das betreffende Verfahren übergeführt oder im Rahmen dieses Verfahrens in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht worden ist.
In Ausführung dessen bestimmt Art. 450a ZK-DVO in der bis zum 30.06.2009 geltenden[6] Fassung:
„Die Frist nach Artikel 215 Absatz 1 dritter Gedankenstrich ZK beträgt zehn Monate ab dem Zeitpunkt der Annahme der Versandanmeldung.“
Nach diesen Vorschriften ist die Zollschuld bei der Abgangstelle entstanden. Denn es liegen weder Erkenntnisse darüber vor, wo die Entziehung aus der zollamtlichen Überwachung tatsächlich stattgefunden hat, noch liegt ein Fall vor, bei dem es einen Ort gibt, an dem die Zollbehörden feststellen konnten, dass die Ware sich in einer Lage befunden hat, die eine Zollschuld hat entstehen lassen. Vielmehr ist das Schicksal der Ware nach dem Verlassen der Abgangstelle ungeklärt, die damit gemäß Art. 215 Abs. 1, 3. Anstrich ZK Ort der Zollschuldentstehung ist.
Der Beklagte ist dem folgend wegen seiner Zuständigkeit im Bereich der Abgangstelle auch gemäß Art. 215 Abs. 3, Art. 217 ZK die zuständige Zollbehörde für die Festsetzung und Erhebung der Abgaben.
Anders als die Klägerin meint, gibt es – auch in Art. 450a ZK-DVO – keine gesetzlichen Fristbestimmungen, die dem entgegenstehen. Dabei können die Erwägungen der Klägerin im vorliegenden Fall schon deshalb dahinstehen, weil im Zeitpunkt der letztlich maßgeblichen mündlichen Verhandlung des Gerichts, im Jahr 2010, die in der Vorschrift des Art. 450a ZK-DVO geregelte Frist – unbeschadet ihres zwischen den Beteiligten strittigen Anwendungsbereichs – ohnehin bereits abgelaufen war, ohne dass bis dahin ein Nachweis dafür erbracht worden wäre, dass der Ort der Zuwiderhandlung außerhalb Deutschlands gelegen hat.
Die Auffassung der Klägerin, die anzuwendende Regelung bestimme eine Frist, die vor einer Abgabenfestsetzung abzuwarten wäre, ist überdies nicht zutreffend. Richtigerweise führt der Beklagte in seiner Einspruchsentscheidung aus, dass es sich bei der in Art. 450a ZK-DVO geregelten Frist lediglich um die – hier nicht entscheidungsrelevante – Zeitspanne handelt, während derer das Erhebungsverfahren durch die Finanzbehörden einzuleiten ist. Etwas anderes lässt sich dem Wortlaut der Vorschrift nicht entnehmen. Auch der Zweck der Vorschrift führt zu keiner anderen Auslegung.
Schon für die – ihrem Wortlaut nach eher unklar empfundene[7] – Vorgängervorschrift hatte der Gerichtshof der Europäischen Union in seinem „SPKR“-Urteil vom 14. November 2002[8] bereits klargestellt, dass es sich bei der Fristbestimmung um eine Verfahrensregel handelt, die sich nur an die Verwaltungsbehörden richtet und deren Zweck darin besteht, zu gewährleisten, dass diese Behörden die Bestimmungen über die Erhebung der Zollschuld im Interesse einer schnellen Bereitstellung der Eigenmittel der Gemeinschaft sorgfältig und einheitlich anwenden. Nur die damals zusätzlich in Art. 379 ZK-DVO a. F. bestimmte kürzere Frist von drei Monate habe auch den Zweck, die Interessen des Hauptverpflichteten dadurch zu schützen, dass ihm ausreichend Zeit eingeräumt wird, um gegebenenfalls den Nachweis für die ordnungsgemäße Durchführung des Versandverfahrens oder über den tatsächlichen Ort der Zuwiderhandlung zu erbringen. Es gibt keine Gründe für die Annahme, der Zweck der Vorschrift habe sich mit der Neufassung geändert, deren Wortlaut überdies die Meinung der Klägerin noch weniger zu stützen vermag als die Vorgängervorschrift.
Das Finanzgericht Hamburg Gericht sieht weiterhin in der Regelung in Art. 450b Abs. 2 UA 3 ZK-DVO ein Indiz dafür, dass nach der Vorstellung des Verordnungsgebers die Festsetzung und Erhebung der Abgaben sehr wohl vor Ablauf der in Art. 450a ZK-DVO geregelten Frist erfolgen kann. Denn in der genannten Vorschrift wird geregelt, dass Behörden, die bereits Abgaben vereinnahmt haben, diese einer anderen Behörde erstatten, wenn es nach der Vereinnahmung zu einem Nachweis des Ortes der Tatbestandsverwirklichung kommt. Aus dem Inhalt dieser Bestimmung ist zu schlussfolgern, dass eine Vereinnahmung schon zu einem Zeitpunkt zulässig sein muss, in dem die Frist des Art. 215 Abs. 1, 3. Anstrich ZK i. V. m. Art. 450a ZK-DVO, nach der gegebenenfalls der Ort der Abgangstelle der Ort der Zollschuldentstehung ist, noch nicht abgelaufen ist.
Schließlich ist auch darauf hinzuweisen, dass in dem Fall, dass vor dem Erlass des Abgabenbescheid – wie die Klägerin meint – die normierte Frist zugewartet werden müsste, für die Frage der Rechtmäßigkeit auf den Bescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung abzustellen wäre, die jedenfalls im vorliegenden Fall jedenfalls erst nach dem in Art. 450a ZK-DVO geregelten Zeitraum ergangen ist, so dass ein gegebenenfalls in einer verfrühten Festsetzung liegender Verfahrensverstoß geheilt wäre. Das wäre im Übrigen auch bei Anwendung der Vorschrift in ihrer ab dem 1. Juli 2009 geltenden Fassung der Fall.
Finanzgericht Hamburg, Urteil vom 8. September 2010 – 4 K 3/10
- vgl. EuGH, Urteil vom 29.04.2004 – C-222/01, Slg. 2004, I-4683[↩]
- Hohrmann in Dorsch, Zollrecht, Art. 97 ZK Rdnr. 341[↩]
- Hohrmann in Dorsch, Zollrecht, Art. 97 ZK Rdnr. 370[↩]
- vgl. Hohrmann in Dorsch, Zollrecht, Art. 97 ZK Rdnr. 342[↩]
- Hohrmann in Dorsch, Zollrecht, Art. 91 ZK Rdnr. 365 m. w. N.[↩]
- VO (EG) Nr. 2787/2000 der Kommission vom 15.12.2000[↩]
- vgl. Hohrmann in Dorsch, Art. 97 ZK Rdnr. 704[↩]
- EuGH, Urteil vom 14.11.2002 – C-112/01 [SPKR], Slg. 2002, I-10655 Rdnr. 34[↩]