Tabaksteuer und das Zolllager – Lieferzettel für das Steueraussetzungsverfahren

Durch Verwendung von Lieferzetteln erfolgt keine wirksame Eröffnung eines Steueraussetzungsverfahrens nach § 27 Abs. 12 ZollV.

Tabaksteuer und das Zolllager – Lieferzettel für das Steueraussetzungsverfahren

Nach § 15 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 TabStG, § 14 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 BierStG und § 143 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 BranntwMonG entsteht die Steuer zum Zeitpunkt der Überführung der jeweiligen verbrauchsteuerpflichtigen Waren in den steuerrechtlich freien Verkehr durch die Entnahme aus dem Steuerlager, es sei denn, es schließt sich ein weiteres Verfahren der Steueraussetzung oder eine Steuerbefreiung an. Zur Belieferung von Seeschiffen mit unversteuertem Schiffsbedarf hat die Klägerin nach den Feststellungen des Finanzgericht verbrauchsteuerpflichtige Waren aus ihrem Steuerlager entfernt und für diese Waren lediglich einen nach § 27 Abs. 12 ZollV vorgeschriebenen „Lieferzettel für Schiffs- und Reisebedarf gemäß § 27 ZollV“ ausgestellt. Da sich an die Entfernung aus dem Steuerlager weder ein weiteres Steueraussetzungsverfahren noch eine Steuerbefreiung angeschlossen hat, ist die jeweilige Verbrauchsteuer nach den genannten Bestimmungen entstanden.

Mit der Verwendung des vorgeschriebenen Lieferzettels gemäß § 27 Abs. 12 ZollV wird kein Versandverfahren unter Steueraussetzung eröffnet. Denn soweit keine Ausnahmen vorgesehen sind, gelten nach § 10 Abs. 1 TabStG, § 9 Abs. 1 BierStG und § 138 Abs. 1 BranntwMonG Beförderungen nur dann als unter Steueraussetzung durchgeführt, wenn sie mit einem elektronischen Verwaltungsdokument nach Art. 21 VStSystRL erfolgen. Danach handelt es sich bei der Verwendung des eVD um eine materielle Voraussetzung des Steueraussetzungsverfahrens, deren Nichterfüllung zur Entnahme der Ware in den steuerrechtlich freien Verkehr führt[1]. Die Klägerin hat weder ein eVD noch ein im Streitjahr nach § 61 Satz 1 Nr. 2 der Tabaksteuerverordnung, § 53 Satz 1 Nr. 2 der Biersteuerverordnung und § 68 Satz 1 Nr. 2 der Branntweinsteuerverordnung für eine Übergangszeit noch zugelassenes VD, sondern ausschließlich den von § 27 Abs. 12 ZollV geforderten Lieferzettel verwendet. Dieser Lieferzettel kann jedoch das verbrauchsteuerrechtlich vorgeschriebene VD nicht ersetzen. Da er nicht die gleichen Angaben enthält, die für das VD vorgeschrieben sind (z.B. die Verbrauchsteuernummern von Versender und Empfänger, KN-Codes der alkoholischen Getränke sowie Bezugs- und Rechnungsnummern), kann der Lieferzettel auch nicht als Handelsdokument i.S. des Art. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 2719/92 der Kommission vom 11.09.1992 zum begleitenden Verwaltungsdokument bei der Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren unter Steueraussetzung[2] angesehen werden.

Nach den Feststellungen des Finanzgericht hat sich an die Entfernung der verbrauchsteuerpflichtigen Waren aus dem Steuerlager weder ein weiteres Steueraussetzungsverfahren noch ein zollrechtliches Nichterhebungsverfahren angeschlossen. Infolgedessen kommt aufgrund der in § 4 Nr. 3 TabStG, § 3 Nr. 3 BierStG und § 132 Nr. 3 BranntwMonG festgelegten Begriffsbestimmung, die den steuerrechtlich freien Verkehr negativ vom Steueraussetzungsverfahren; und vom zollrechtlichen Nichterhebungsverfahren abgrenzt, nur noch in Betracht, dass sich die Waren nach ihrer Entfernung aus dem Steuerlager im steuerrechtlich freien Verkehr befunden haben. Einen dritten, der Steuerentstehung entgegenstehenden Status kennt das deutsche Verbrauchsteuerrecht nicht. Die nationalen Vorschriften sind insoweit eindeutig und bedürfen auch keiner den Steuerentstehungstatbestand der Entfernung aus dem Steuerlager einschränkenden richtlinienkonformen Interpretation.

Der Gesetzgeber hat mit der Normierung der in § 15 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 TabStG, § 14 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 BierStG und § 143 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 BranntwMonG festgelegten Steuerentstehungstatbestände das einschlägige Unionsrecht zutreffend umgesetzt.

Nach Art. 7 Abs. 1 VStSystRL entsteht der Verbrauchsteueranspruch zum Zeitpunkt und im Mitgliedstaat der Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr. In Art. 7 Abs. 2 VStSystRL hat der Unionsgesetzgeber abschließend die Fälle benannt, in denen von einer Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr auszugehen ist. Danach gilt z.B. die Entnahme aus dem Verfahren der Steueraussetzung, d.h. auch die Entfernung aus einem Steuerlager, als Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr. Die Behauptung der Klägerin, es handele sich lediglich um eine nicht abschließende Auflistung von Regelbeispielen, findet weder eine Stütze in den Erwägungsgründen noch in den Regelungen der VStSystRL. Im achten Erwägungsgrund wird ausdrücklich darauf hingewiesen, es sei nach wie vor für ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarktes erforderlich, dass die Voraussetzungen für die Entstehung des Verbrauchsteueranspruchs in allen Mitgliedstaaten gleich sind. Mit dieser Zielvorgabe ließe es sich schwerlich vereinbaren, den Begriff des steuerrechtlich freien Verkehrs und damit die Steuerentstehung in einer unbestimmten Anzahl von Fällen offen zu halten und die in Art. 7 Abs. 2 VStSystRL getroffenen Regelungen als ergänzungsbedürftig zu erachten oder in den Fällen durch eine teleologische Interpretation einzuschränken, in denen nach Auffassung der Klägerin bloße Formverstöße vorliegen bzw. eine steuerliche Kontrolle außerhalb eines Steueraussetzungsverfahrens gewährleistet ist. Die von der Klägerin vertretene Rechtsansicht führte dazu, dass es die Mitgliedstaaten in der Hand hätten, den Zeitpunkt der Steuerentstehung und der Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr in Abweichung von den in Art. 7 Abs. 2 VStSystRL festgelegten Vorgaben durch die Anordnung rein nationaler Kontrollmaßnahmen, wie sie die Lieferzettel nach § 27 Abs. 12 ZollV sind, selbst zu bestimmen.

Für die von der Klägerin vertretene Rechtsansicht lässt sich auch Art. 10 VStSystRL nichts entnehmen[3], der lediglich die Erhebungskompetenz der Mitgliedstaaten im Fall von Unregelmäßigkeiten regelt, die eine Überführung der Waren in den steuerrechtlich freien Verkehr nach Art. 7 Abs. 2 Buchst. a VStSystRL zur Folge haben. Dass der Begriff der Unregelmäßigkeit als Oberbegriff für alle Fälle gewählt wurde, die zu einer Steuerentstehung führen, belegt die im Wesentlichen identische Regelung in Art. 38 VStSystRL, nach der im Fall einer begangenen bzw. festgestellten Unregelmäßigkeit die Waren einer Verbrauchsteuer unterliegen bzw. die Verbrauchsteuer zu entrichten ist. Zudem wird der Begriff der Unregelmäßigkeit in Art. 10 Abs. 6 VStSystRL und Art. 38 Abs. 4 VStSystRL identisch dahingehend bestimmt, dass er jede nicht ordnungsgemäße Beendigung einer Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren umfasst.

Das Verfahren der Steueraussetzung zur Vermeidung einer Steuerentstehung könnte allenfalls in den Fällen als entbehrlich erachtet werden, in denen die Mitgliedstaaten nach Art. 30 VStSystRL auf ihr eigenes Hoheitsgebiet beschränkte Ausnahmen zugelassen haben oder in denen die unionsrechtlichen Regelungen gemäß Art. 5 VStSystRL keine Anwendung finden. Von der nach Art. 30 VStSystRL eröffneten Möglichkeit, vereinfachte Verfahren vorzusehen, hat die Bundesrepublik Deutschland in Bezug auf inländische Freizonen jedoch keinen Gebrauch gemacht. Freizonen sind vom räumlichen Anwendungsbereich der VStSystRL auch nicht ausgenommen (Art. 5 VStSystRL), folglich gehören die deutschen Freihäfen zu dem in den einzelnen Verbrauchsteuergesetzen festgelegten Steuergebiet (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 2 TabStG, § 1 Abs. 1 Satz 2 BierStG, § 130 Abs. 1 Satz 2 BranntwMonG), so dass sich in Bezug auf die anzuwendenden verbrauchsteuerrechtlichen Bestimmungen keine Besonderheiten ergeben. Allein der Umstand, dass eine verbrauchsteuerpflichtige Ware aus einem in einer eingezäunten Freizone des Kontrolltyps – I (Art. 167 Abs. 3 ZK) liegenden Steuerlager entfernt wird, steht somit der Steuerentstehung nach Art. 7 VStSystRL nicht entgegen. Der in der Literatur vertretenen Ansicht[4], nach der selbst eine unrechtmäßige Entnahme aus dem Steueraussetzungsverfahren in einer Freizone aufgrund der dort gewährleisteten zollamtlichen Kontrolle nicht zu einer Überführung in den freien Verkehr führen soll, kann daher nicht gefolgt werden. Denn diese Ansicht schlösse selbst im Fall eines Diebstahls verbrauchsteuerpflichtiger Waren und bei deren Verbleib oder Verbrauch auf dem Freihafengelände eine Steuerentstehung aus. Es liegt auf der Hand, dass ein solches Ergebnis den unionsrechtlichen Vorgaben widerspräche.

Entgegen der Ansicht der Revision gebietet das Urteil des EuGH in Slg. 2010, I-3799 keine einschränkende Auslegung der nationalen Bestimmungen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich der EuGH in diesem Urteil mit dem Eintritt der Verbrauchsteuerpflicht einer Ware bei ihrem vorschriftswidrigen Verbringen in das Zollgebiet der Europäischen Union und der Steuerentstehung in Fällen des Einfuhrschmuggels und nicht mit den Fällen der Steuerentstehung durch Entfernung einer bereits der Verbrauchsteuer unterworfenen Ware aus einem im Unionsgebiet liegenden Steuerlager befasst hat. Im Streitfall steht außer Frage, dass die aus dem Steuerlager der Klägerin entfernten Waren der Verbrauchsteuer unterliegen, so dass sich insoweit eine mit dem Einfuhrschmuggel vergleichbare Problemstellung nicht ergibt. Insbesondere kann die Lagerung einer verbrauchsteuerpflichtigen Ware in einem zugelassenen Steuerlager nicht mit der Situation gleichgesetzt werden, in der sich eine Ware auf dem Transport von einer Drittlandsgrenze zur ersten im Gebiet der Europäischen Union liegenden Zollstelle befindet. Nur für solche Waren, die gemäß Art. 233 Abs. 1 Buchst. d ZK bei ihrem vorschriftswidrigen Verbringen von den örtlichen Zoll- und Steuerbehörden beschlagnahmt worden sind, hat der EuGH den Eintritt der Verbrauchsteuerpflicht und damit die Möglichkeit einer Steuerentstehung mit dem Hinweis verneint, dass (erst) das Vorhandensein vorschriftswidrig verbrachter Waren im Zollgebiet der Europäischen Union eine sehr große Gefahr berge, dass diese Waren letztlich Eingang in den Wirtschaftskreislauf der Mitgliedstaaten finden. Entgegen der Ansicht der Revision lassen sich deshalb die vom EuGH zum Einfuhrschmuggel entwickelten Grundsätze nicht auf den Fall übertragen, dass verbrauchsteuerpflichtige Waren ohne Eröffnung eines Steueraussetzungsverfahrens aus einem Steuerlager entfernt werden.

Im Übrigen hat sich der EuGH in seinem Urteil vom 05.04.2001[5] die Ansicht der Europäischen Kommission zu eigen gemacht, nach der aus der Systematik der Richtlinienbestimmungen zur Definition und Funktionsweise der Steuerlager und des Verfahrens der Steueraussetzung folge, dass eine außerhalb eines solchen Verfahrens angetroffene verbrauchsteuerpflichtige Ware notwendigerweise zu einem bestimmten Zeitpunkt in den steuerrechtlich freien Verkehr überführt worden sei. Indem der Unionsgesetzgeber die „Entnahme“ der Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr gleichgestellt habe, habe er deutlich gemacht, dass jede Herstellung oder Verarbeitung, jeder Besitz und jede Beförderung außerhalb eines Verfahrens der Steueraussetzung zur Entstehung des Steueranspruchs führe. Diesen Ausführungen lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass der EuGH den Eingang der verbrauchsteuerpflichtigen Ware in den Wirtschaftskreislauf eines Mitgliedstaats als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der unionsrechtlich festgelegten Steuerentstehungstatbestände verstanden wissen wollte oder die Ersetzung des Steueraussetzungsverfahrens außerhalb des Anwendungsbereichs des Art. 30 VStSystRL durch rein nationale Maßnahmen der Steueraufsicht für möglich gehalten hat.

An die Entnahme der streitgegenständlichen Erzeugnisse aus dem Steuerlager hat sich keine Steuerbefreiung angeschlossen. Nach dem Sinn und Zweck der in den § 15 Abs. 1 TabStG, § 14 Abs. 1 BierStG und § 143 Abs. 1 BranntwMonG getroffenen Regelungen soll eine Steuerentstehung in den Fällen verhindert werden, in denen die verbrauchsteuerpflichtige Ware einer steuerbegünstigten Verwendung zugeführt werden soll. Durch den Verzicht auf eine Entstehung der Steuer trotz Überführung der Ware in den steuerrechtlich freien Verkehr wird ein aufwändiges Entlastungsverfahren vermieden. Eine fortdauernde steuerliche Kontrolle durch Anwendung eines weiteren Steueraussetzungsverfahrens ist im Fall einer Steuerbefreiung nicht erforderlich. Von einer in den genannten Bestimmungen angesprochenen Steuerbefreiung kann jedoch dann nicht ausgegangen werden, wenn das Gesetz im Hinblick auf einen bestimmten Ge- oder Verbrauch der Ware ausdrücklich die Verwendung des Steueraussetzungsverfahrens anordnet und damit die Überführung der Ware in den steuerrechtlich freien Verkehr auf einen späteren Zeitpunkt als dem der Entfernung aus dem Steuerlager verlegt. So liegt es im Streitfall, denn § 27 Abs. 9 Satz 1 ZollV verlangt ausdrücklich, dass in zollrechtlichen Ausfuhrfällen unversteuerte verbrauchsteuerpflichtige Gemeinschaftswaren, die als Schiffs- und Reisebedarf im Seeverkehr abgegeben und bezogen werden, nach den verbrauchsteuerrechtlichen Vorschriften über die Ausfuhr unter Steueraussetzung an die Bezugsberechtigten abzugeben und von diesen auszuführen sind. Folgte man der Ansicht der Revision, nach der Schiffs- und Reisebedarf ohne die Folge der Steuerentstehung auch außerhalb eines Steueraussetzungsverfahrens und lediglich mit einem Lieferzettel nach § 27 Abs. 12 ZollV abgegeben werden könnte, bestünde für die in § 27 Abs. 9 Satz 1 ZollV normierte Regelung kein Anwendungsbereich. Bei diesem Befund kann der Ansicht der Revision nicht gefolgt werden. In diesem Zusammenhang sind auch die von der Klägerin zu § 50 AO und zur zweckwidrigen Verwendung angestellten Überlegungen ohne Belang. Unerheblich ist darüber hinaus, dass Lieferungen von Gegenständen zur Versorgung von Wasserfahrzeugen nach § 8 Abs. 1 Nr. 3 UStG i.V.m. § 4 Nr. 2 UStG von der Steuer befreit sind. Denn die im Umsatzsteuerrecht als echte Steuerbefreiung ausgestaltete Regelung[6] kann auf das Verbrauchsteuerrecht nicht übertragen und zur Auslegung und Anwendung der Steuerentstehungstatbestände herangezogen werden.

Der Bundesfinanzhof hält die von ihm vorgenommene Auslegung des einschlägigen Unionsrechts auf Grund der Rechtsprechung des EuGH für eindeutig. Ein Anlass zur Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH besteht demnach nicht[7].

Bundesfinanzhof, Beschluss vom 9. April 2014 – VII R 7/13

  1. Schröer-Schallenberg/Bongartz, Überblick über die Einführung von EMCS, ZfZ 2009, 161, 165 f.[]
  2. ABl.EG Nr. L 276/1[]
  3. a.A. Reiche, Steuerrechtlich freier Verkehr im Freihafen?, ZfZ 2012, 113, 114 f.[]
  4. Reiche in ZfZ 2012, 113, 115[]
  5. EuGH, Urteil vom 05.04.2001 – C-325/99, Slg. 2001, I-2729[]
  6. vgl. Jatzke in Sölch/Ringleb, UStG, § 8 Rz 5[]
  7. vgl. EuGH, Urteil vom 06.10.1982 Rs. 283/81 -C.I.L.F.I.T.-, Slg. 1982, 3415, Rz 16[]