Die Frage, ob die Formgebung Voraussetzung für die Einreihung einer Ware in das Kap. 68 KN ist, beantwortet sich in Anwendung der Allgemeinen Vorschriften für die Auslegung der KN (AV) und der dazu ergangenen Rechtsprechung[1]. Danach ist das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der Positionen der KN und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln festgelegt sind (AV 1 und 6). Die Position und Unterposition mit der genaueren Warenbezeichnung gehen der Position und Unterposition mit allgemeiner Warenbezeichnung vor (AV 3 Buchst. a und 6).

KN bezeichnet „Waren aus Steinen oder anderen mineralischen Stoffen (…), anderweit weder genannt noch inbegriffen“, von der Unterpos. 6815 91 00 KN werden „andere“ Waren aus mineralischen Stoffen erfasst, „Magnesit, Dolomit oder Chromit enthaltend“. Von einer bestimmten „Formgebung“ der Ware ist nicht die Rede. Auch die Anmerkungen zu Kap. 68 KN und die von der Europäischen Kommission zur KN (ErlKN) und von der Weltzollorganisation zum Harmonisierten System (HS) ausgearbeiteten Erläuterungen (ErlHS), die ein wichtiges, wenn auch nicht rechtsverbindliches Hilfsmittel zur Auslegung der einzelnen Tarifpositionen sind, enthalten keine solchen Vorgaben für die Einreihung.
Die Auffassung des Hauptzollamt, das Schmelzmagnesiachrom sei noch nicht als „Ware“ i.S. der Pos. 6815 KN anzusehen, weil darunter nur weiterverarbeitete Erzeugnisse, nicht aber Vorerzeugnisse wie das Schmelzmagnesiachrom fielen, ist nicht zu folgen. Der vom Hauptzollamt für seine Auslegung angeführte Vergleich mit den in ErlHS zu Pos. 6815 KN Rz 2.0 bis 12.0 aufgeführten Waren erlaubt einen solchen Schluss nicht, denn es handelt sich hierbei nur um eine beispielhafte Aufzählung, aus der sich nicht herleiten lässt, unter einer „Ware“ i.S. der Pos. 6815 KN seien nur Fertigerzeugnisse zu verstehen.
Nach dem in erster Linie maßgeblichen Wortlaut der Tarifpositionen ist zwischen einem mineralischen Stoff des Abschn. – V KN einerseits und einer Ware aus einem solchen Stoff andererseits zu unterscheiden. Sowohl Magnesit als auch Chromit sind von Abschn. – V KN erfasste mineralische Stoffe. Dass eine Verarbeitung durch ein Verschmelzen dieser Stoffe zu einem neuen, anderen Erzeugnis und damit zu einer „Ware aus […] mineralischen Stoffen“ führt, ist nicht zweifelhaft. Ob in diesem Erzeugnis Magnesit und Chromit noch i.S. der Unterpos. 6815 91 00 KN „enthalten“ sind (was das Hauptzollamt allerdings nicht bezweifelt) oder stattdessen die Unterpos. 6815 99 00 KN einschlägig ist, kann offenbleiben; eine grundsätzliche klärungsbedürftige Rechtsfrage ergibt sich jedenfalls insoweit nicht.
Die Frage, ob in die Pos. 6815 KN einfache Mischungen von mineralischen Erzeugnissen der Kap. 25 und 26 bzw. des Kap. 28 KN gehören, stellt sich nicht, denn es handelt sich bei dem Schmelzmagnesiachrom nicht um eine „einfache“ Mischung, sondern um ein durch Schmelzen der Ausgangsprodukte Magnesit und Chromit in einem Lichtbogen gewonnenes Zwischenprodukt.
Ob das streitige Erzeugnis auch die Voraussetzung für eine Einreihung in die Pos. 3824 KN erfüllt, kann offenbleiben. Wäre dies der Fall, müsste das Erzeugnis gleichwohl gemäß AV 3 Buchst. c der Pos. 6815 KN zugewiesen werden.
Etwas Anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass in der Zollaussetzungsverordnung (EU) Nr. 1344/2011 des Rates vom 19.12 2011[2] ein als „Schmelzmagnesia mit einem Gehalt an Dichromtrioxid von 15 GHT oder mehr“ bezeichnetes Erzeugnis unter dem KN-Code 3824 90 97 aufgeführt ist. Zum einen ist nicht festgestellt -und im Revisionsverfahren könnten entsprechende Feststellungen auch nicht nachgeholt werden-, dass das streitgegenständliche Schmelzmagnesiachrom und die in der VO Nr. 1344/2011 erfasste Ware identisch sind. Zum anderen handelt es sich bei der VO Nr. 1344/2011 nicht um eine verbindliche Einreihungsregelung i.S. des Art. 9 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23.07.1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif[3], mit der von einer nach den Regeln der KN gebotenen Einreihung abgewichen werden könnte. Vielmehr zielt sie ausweislich ihres 1. und 6. Erwägungsgrundes ausschließlich ab auf die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der EU-Unternehmen, weil und solange -u.a.- bestimmte gewerbliche Waren nicht oder nur in unzureichender Menge hergestellt werden können.
Bundesfinanzhof, Beschluss vom 13. Februar 2014 – VII B 122/13