Verhältnis von allgemeinem Besteuerungsverfahren und Vorsteuer-Vergütungsverfahren

Ein im Ausland ansässiger Unternehmer, der gemäß § 18 Abs. 3 Satz 1 UStG eine Umsatzsteuererklärung für das Kalenderjahr abzugeben hat, ist – entgegen Abschn. 18.15. Abs. 1 Satz 2 UStAE – berechtigt und verpflichtet, alle in diesem Kalenderjahr abziehbaren Vorsteuerbeträge in dieser Steuererklärung geltend zu machen.

Verhältnis von allgemeinem Besteuerungsverfahren und Vorsteuer-Vergütungsverfahren

Nach § 18 Abs. 3 Satz 1 UStG hat der Unternehmer im Regelfall für das Kalenderjahr eine Steuererklärung abzugeben. Wie sich aus der Bezugnahme in § 18 Abs. 3 Satz 1 UStG auf § 16 Abs. 1 bis 4 und § 17 UStG ergibt, besteht die Verpflichtung zur Abgabe der Umsatzsteuer-Jahreserklärung für die Unternehmer, die einen oder mehrere der in diesen Vorschriften bezeichneten Tatbestände verwirklicht haben. Hierzu gehören insbesondere steuerbare Umsätze nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG, soweit für sie die Steuerschuldnerschaft gegeben ist (vgl. § 16 Abs. 1 Satz 3 UStG), und die in den Besteuerungszeitraum fallenden, nach § 15 UStG abziehbaren Vorsteuerbeträge (§ 16 Abs. 2 Satz 1 UStG). Ferner ist ein Unternehmer in den Fällen, in denen er die Steuer nach § 14 Abs. 2 UStG oder nach § 14 Abs. 3 UStG schuldet, nach § 18 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 16 Abs. 1 Satz 4 UStG verpflichtet, eine Umsatzsteuer-Jahreserklärung abzugeben. Dies gilt –wie im Streitfall– auch für Unternehmer mit Sitz im Ausland.

Danach war die Klägerin zur Abgabe einer Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr verpflichtet, ohne dass es entscheidungserheblich ist, ob die Verpflichtung zur Abgabe darauf gestützt wird, dass die Umsatzsteuer für die den Gutschriften zugrunde liegenden Umsätze –wie von der Klägerin erklärt– gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG oder –wie vom Finanzamt vertreten– wegen unrichtigen Steuerausweises nach § 14 Abs. 2 i.V.m. § 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG entstanden ist.

Setzt das Finanzamt gegen einen im Ausland ansässigen Unternehmer nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG, nach § 14 Abs. 2 i.V.m. § 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG oder nach § 14 Abs. 3 i.V.m. § 13a Abs. 1 Nr. 4 UStG Umsatzsteuer im allgemeinen Besteuerungsverfahren fest, so sind gemäß § 16 Abs. 2 Satz 1 UStG von der berechneten Steuer die in den Besteuerungszeitraum fallenden, nach § 15 UStG abziehbaren Vorsteuerbeträge abzusetzen.

Dem steht –entgegen der Ansicht des Finanzamt– nicht entgegen, dass nach § 18 Abs. 9 UStG zur Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens die Vergütung der Vorsteuerbeträge (§ 15 UStG) an im Ausland ansässige Unternehmer, abweichend von § 16 und § 18 Abs. 1 bis 4 UStG, in einem besonderen Verfahren durch Rechtsverordnung geregelt werden kann[1].

Nach § 18 Abs. 9 Satz 1 UStG kann die Vergütung von Vorsteuerbeträgen an im Ausland ansässige Unternehmer abweichend von den §§ 16, 18 Abs. 1 bis 4 UStG in einem besonderen Verfahren (Vergütungsverfahren) geregelt werden.

Aufgrund dieser Ermächtigung ist gemäß § 59 UStDV die Vergütung der abziehbaren Vorsteuerbeträge (§ 15 UStG) an im Ausland ansässige Unternehmer (§ 13b Abs. 4 UStG) abweichend von § 16 und § 18 Abs. 1 bis 4 UStG nach den §§ 60 und 61 UStDV durchzuführen, wenn der Unternehmer im Vergütungszeitraum

  1. im Inland keine Umsätze im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 5 des Gesetzes oder nur steuerfreie Umsätze im Sinne des § 4 Nr. 3 des Gesetzes ausgeführt hat,
  2. nur Umsätze ausgeführt hat, für die der Leistungsempfänger die Steuer schuldet (§ 13b UStG) oder die der Beförderungseinzelbesteuerung (§ 16 Abs. 5 und § 18 Abs. 5 UStG) unterlegen haben, oder
  3. im Inland nur innergemeinschaftliche Erwerbe und daran anschließende Lieferungen im Sinne des § 25b Abs. 2 des Gesetzes ausgeführt hat.

§ 18 Abs. 9 UStG und das im Streitjahr geltende Vorsteuer-Vergütungsverfahren beruhen auf Art. 17 Abs. 3 und 4 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17.05.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern i.V.m. der Richtlinie 79/1072/EWG.

Nach Art. 1 der Richtlinie 79/1072/EWG gilt für „die Anwendung dieser Richtlinie … als nicht im Inland ansässiger Steuerpflichtiger derjenige Steuerpflichtige nach Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie 77/388/EWG, der in dem Zeitraum nach Artikel 7 Absatz 1 erster Unterabsatz Sätze 1 und 2 in diesem Land weder den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit noch eine feste Niederlassung, von wo aus die Umsätze bewirkt worden sind, noch – in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer festen Niederlassung – seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort gehabt hat und der in dem gleichen Zeitraum im Inland keine Gegenstände geliefert oder Dienstleistungen erbracht hat mit Ausnahme von:

  1. Beförderungsumsätzen und den damit verbundenen Nebentätigkeiten, die gemäß Artikel 14 Absatz 1 Buchstabe i), Artikel 15 oder Artikel 16 Absatz 1 Teile B, C und D der Richtlinie 77/388/EWG steuerfrei sind, oder
  2. Dienstleistungen, bei denen die Steuer gemäß Artikel 21 Nummer 1 Buchstabe b) der Richtlinie 77/388/EWG lediglich vom Empfänger geschuldet wird“.

Wie sich aus dem zweiten Erwägungsgrund der Richtlinie 79/1072/EWG ergibt, ist es ihr Zweck zu vermeiden, dass ein in einem Mitgliedstaat ansässiger Steuerpflichtiger die Steuer, die ihm in einem anderen Mitgliedstaat für die Lieferung von Gegenständen oder die Inanspruchnahme von Dienstleistungen in Rechnung gestellt worden ist, endgültig tragen muss und damit einer Doppelbesteuerung unterliegt. Nach dem achten Erwägungsgrund sehen die in der Richtlinie 79/1072/EWG enthaltenen Durchführungsbestimmungen insbesondere vor, dass die Bescheide über die Erstattungsanträge binnen sechs Monaten nach Einreichung dieser Anträge zuzustellen und die Erstattungen innerhalb derselben Frist vorzunehmen sind.

Die Richtlinie 79/1072/EWG bezweckt damit –wie auch mit der Schaffung einer zentralen Antragsstelle– eine Vereinfachung und Beschleunigung der Vorsteuererstattung an im Ausland ansässige Steuerpflichtige in bestimmten Fällen.

Die Richtlinie 79/1072/EWG bezweckt aber nicht, dass im allgemeinen Besteuerungsverfahren allein für im Ausland ansässige Unternehmer die Möglichkeit versagt wäre, den Vorsteuerabzug geltend machen zu können.

Ausgehend von diesen Grundsätzen liegen im Streitfall die Voraussetzungen für die Anwendung des Vergütungsverfahrens nach § 18 Abs. 9 UStG i.V.m. § 59 UStDV nicht vor. Zwar handelt es sich bei der Klägerin um ein im Ausland ansässiges Unternehmen, das entsprechend § 59 Nr. 2 UStDV nur Umsätze ausgeführt hat, für die der Leistungsempfänger die Steuer schuldet (§ 13b UStG).

Gleichwohl reicht dies für die Anwendung des Vergütungsverfahrens nicht aus; denn im Fall einer Steuerfestsetzung durch das Finanzamt entfaltet § 59 UStDV bei der gebotenen unionsrechtskonformen Auslegung für gleichzeitig geltend gemachte Vorsteuerbeträge –entgegen der Auffassung des Finanzamt– keine Sperrwirkung für das allgemeine Besteuerungsverfahren (vgl. § 18 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 16 Abs. 2 Satz 1 UStG)[2].

Die Auffassung der Finanzverwaltung steht im Widerspruch zu dem fünften Erwägungsgrund der Richtlinie 79/1072/EWG, nach dem die Regelung nicht dazu führen darf, dass die Steuerpflichtigen, je nachdem, in welchem Mitgliedstaat sie ansässig sind, unterschiedlich behandelt werden. Daher ist es unionsrechtlich geboten, dass jeder Unternehmer, der dem allgemeinen Besteuerungsverfahren im Inland unterliegt –unabhängig davon, wo er ansässig ist– auch den Vorsteuerabzug aus abziehbaren Vorsteuerbeträgen geltend machen kann[3].

Es würde zudem nicht zu der von dem Vergütungsverfahren angestrebten „Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens“ (vgl. § 18 Abs. 9 Satz 1 UStG) führen, den im Ausland ansässigen Unternehmer für ein Kalenderjahr, für das er nach § 18 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 16 Abs. 1 UStG eine Umsatzsteuer-Jahreserklärung abzugeben hat, daneben zur Geltendmachung der abziehbaren Vorsteuer im Vergütungsverfahren zu verpflichten[4].

Der Wortlaut des § 18 Abs. 9 Satz 1 UStG i.V.m. § 59 UStDV steht einer solchen unionsrechtskonformen Auslegung nicht entgegen; denn dort heißt es nicht, dass in den in § 59 UStDV genannten Fällen nur eine Erstattung im Vorsteuer-Vergütungsverfahren möglich ist.

Vielmehr sieht § 62 Abs. 1 UStDV ausdrücklich Regelungen für den Fall vor, dass bei einem in § 59 UStDV genannten Unternehmer eine Besteuerung nach § 18 Abs. 1 bis 4 UStG durchzuführen ist; im Rahmen des allgemeinen Besteuerungsverfahrens sind dann nur die Vorsteuerbeträge nicht zu berücksichtigen, „die nach § 59 UStDV vergütet worden sind“, nicht aber allgemein die nach § 59 UStDV vergütbaren Vorsteuerbeträge[5]. Dieser aus dem Wortlaut des § 62 Abs. 1 UStDV abgeleitete Umkehrschluss ist entgegen der Auffassung des Finanzamt zulässig.

Dabei kann offenbleiben, ob die Voraussetzungen des § 14 Abs. 2 oder Abs. 3 UStG im Streitfall tatsächlich vorliegen. Entscheidend ist, dass das Finanzamt durch Heranziehung dieser Vorschrift das allgemeine Besteuerungsverfahren angewandt hat. Daran muss es sich festhalten lassen.

Dieses Ergebnis stimmt mit dem des BFH, Urteils in BFHE 233, 360, BStBl II 2011, 834 überein.

Der BFH hat dort entschieden, ein im Ausland ansässiger Unternehmer, der Steuerschuldner nach § 13b Abs. 2 UStG ist und gemäß § 18 Abs. 3 Satz 1 UStG eine Steuererklärung für das Kalenderjahr abzugeben hat, sei berechtigt, alle in diesem Kalenderjahr entstandenen Vorsteuerbeträge in der Jahreserklärung geltend zu machen[6].

Der Streitfall betrifft zwar einen anderen Sachverhalt, er ist dem dortigen aber insofern vergleichbar, als die Klägerin gleichfalls Steuerschuldnerin ist –sei es nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG, nach § 14 Abs. 2 i.V.m. § 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG oder nach § 14 Abs. 3 i.V.m. § 13a Abs. 1 Nr. 4 UStG– und deshalb gemäß § 18 Abs. 3 Satz 1 UStG eine Steuererklärung für das Kalenderjahr abzugeben hat, und vom Finanzamt auch zur Umsatzsteuer veranlagt worden ist.

Die übrigen vom Finanzamt erhobenen Einwendungen greifen ebenfalls nicht durch.

Ohne Erfolg wendet das Finanzamt ein, der im Ausland ansässige Unternehmer unterliege für den Fall, dass der unberechtigte Steuerausweis berichtigt werde, nicht mehr dem allgemeinen Besteuerungsverfahren und sei dann (wieder) zur Geltendmachung seines Vorsteueranspruchs zwingend auf das Vorsteuer-Vergütungsverfahren angewiesen. Ob diese Auffassung zutrifft, kann im Streitfall offenbleiben, weil die Gutschriften nicht berichtigt wurden. Zudem ist eine Berichtigung nach den Angaben der Klägerin im Schreiben vom 05.10.2004 nicht mehr möglich.

Auch die weitere Einwendung des Finanzamt, bei einem Wahlrecht des Steuerpflichtigen, die Vorsteuer sowohl im Vergütungsverfahren als auch im allgemeinen Besteuerungsverfahren geltend zu machen, wäre eine Kontrolle durch die Finanzverwaltung nicht gewährleistet und es bestünde die Gefahr einer doppelten Gewährung des Vorsteuerabzugs, greift nicht durch; denn ein solches „Wahlrecht“ besteht nicht. Im Übrigen hat im Streitfall die Klägerin den –fristgerecht gestellten– Antrag auf Vorsteuervergütung beim BfF zurückgenommen.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 28. August 2013 – XI R 5/11

  1. gl. A. Bunjes/Leonard, UStG, 11. Aufl., § 18 Rz 37; Maunz in Hartmann/Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz, § 18 Rz 248; a.A. Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 03.12.2009 – IV B 9-S 7359/09/10001, BStBl I 2009, 1520, Rz 29; Abschn. 18.15. Abs. 1 Satz 2 UStAE; Sterzinger, Umsatzsteuer-Rundschau 2011, 713, 714; Sterzinger in Birkenfeld/Wäger, Umsatzsteuer-Handbuch, § 214 Rz 332; Huschens, Lexikon des Steuer- und Wirtschaftsrechts Heft 2/2013, Gruppe 7, 145, 175; Huschens in Vogel/Schwarz, UStG, § 18 Rz 150[]
  2. vgl. auch BFH, Urteil vom 07.03.2013 – V R 12/12, BFH/NV 2013, 1133, Rz 15[]
  3. vgl. BFH, Urteil in BFH/NV 2013, 1133, Rz 17[]
  4. vgl. BFH, Urteil vom 14.04.2011 – V R 14/10, BFHE 233, 360, BStBl II 2011, 834, Rz 29[]
  5. vgl. BFH, Urteil in BFHE 233, 360, BStBl II 2011, 834, Rz 29[]
  6. Urteil in BFHE 233, 360, BStBl II 2011, 834, Leitsatz 1[]